Staatlich verordneter Kunstraub Wie in der DDR private Kunstsammler enteignet wurden
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20. Oktober 2022, 11:17 Uhr
Im Januar 1962 lässt die Stasi in einer großangelegten Aktion mehr als 21.000 Bankschließfächer aufbrechen. Später – in den 1970er-Jahren – werden Kunstsammler und Antiquitätenhändler ins Visier genommen und müssen ihre Schätze wegen konstruierter Steuerschulden an den Staat abgeben. Der staatlich verordnete Kunstraub hat in der DDR System.
Es ist am Nachmittag des 6. und 7. Januar 1962. Die Aktion "Licht" ist bereits sorgfältig vorbereitet: Auf Anordnung von MfS-Chef Erich Mielke treffen sich Stasi-Leute mit den Direktoren und leitenden Mitarbeitern von 217 Banken und Sparkassen, um einen beispiellosen Raubzug zu starten. Rund 21.000 Bankschließfächer und Tresore werden aufgebrochen, die seit langer Zeit unberührt geblieben waren. Deren Inhalt wird entnommen und zu Geld gemacht. Der Erlös fließt in die Staatskasse der DDR. Den Stasi-Plünderern ist dabei schnell klar, dass es sich bei den Besitzern des Raubguts nicht nur um "Republikflüchtlinge" handelt, sondern auch um Menschen, die im Holocaust ihr Leben verloren haben.
Stasi plündert herzogliches Archiv
Im thüringischen Altenburg hofft die Stasi, sich die Besitztümer des letzten regierenden Herzogs von Sachsen-Altenburg, Ernst II., aneignen zu können, die man im Hauptstaatsarchiv der Stadt vermutet. Heinz Wießner, der damals Zeuge der Aktion "Licht" ist, erinnert sich kurz nach der Wende: "Die Stasi-Leute haben sich einschließen lassen in die Räume und haben dann mit Brechstangen und Beilen die Kisten geöffnet, in denen die Archivalien lagen."
"Am Nachmittag kam ein Stasi-Mann wieder und erklärte diese Teile des Hausarchivs für beschlagnahmt und die Sachen, zweieinhalb LKW-Ladungen, wurden abtransportiert", so Wießner weiter. "Wenn man jetzt zurückblickt auf diese Aktion, dann kommt einem das vor wie ein Coup aus einem Western. Nur dass es sich nicht um Banditen handelt, die auf eigene Faust etwas unternehmen, sondern um eine staatlich privilegierte Räuberbande. Denn das war die Stasi damals", so der Zeitzeuge weiter.
DDR macht Beute in Millionenhöhe
Die beschlagnahmten Güter werden dem DDR-Ministerium für Finanzen übergeben. Der Wert der gestohlenen Gegenstände beträgt laut einem Abschlussbericht schätzungsweise zwischen 3,6 und 4,1 Millionen Mark. Das Geld stammt aber nicht nur aus dem Diebesgut der Bankfächer. Auch Gewölbe und Keller von Schlössern, Kirchen und Klöstern werden penibel durchsucht. Die Ausbeute ist allerdings geringer als erhofft: Schmuck im Wert von 1,4 Millionen Mark, 180 Gemälde, zehn Kupferstiche, 100 Handschriften.
Stasi-Chef Mielke weiß, dass die Aktion Licht illegal ist und ordnet deshalb an, alle Unterlagen darüber zu vernichten. Deshalb finden sich in den Archiven nur noch wenige Spuren. Trotz der geringeren Erlöse verbucht Erich Mielke die Aktion Licht insgesamt als Erfolg. Und möglicherweise kam die Stasi so auf den Geschmack. In den 70er-Jahren werden nicht mehr aktiv Bankfächer aufgebrochen. Die Stasi geht nun subtiler vor und ändert das Muster: Besitzer von Kunst und Antiquitäten werden beschuldigt, gewerblichen Handel mit Antiquitäten zu treiben. Danach werden extrem hohe Steuerforderungen konstruiert und die Sammler beschuldigt, den Staat hintergehen zu wollen. Die DDR beschlagnahmt die "Hehlerware".
Private Kunstsammler im Visier
So wird dem selbständigen Handwerksmeister und Kunstsammler Frank Lilienthal vorgeworfen, Antiquitäten als illegale Handelsware gehortet zu haben. In Untersuchungshaft wird ihm eine Steuerrechnung von 630.000 Mark präsentiert – eine unglaublich hohe Summe für DDR-Verhältnisse. "Man hat mich gefragt, wie ich mir die Begleichung vorstelle – und hat dann gesagt, da können Sie Ihre Antiquitäten an Zahlung statt geben", erinnerte sich der Zeitzeuge in einem TV-Beitrag.
So wie Lilienthal ergeht es vielen privaten Kunstsammlern in der DDR, haben die Historiker Arno Polzin und Ralf Blum herausgefunden. Systematisch spioniert die Staatssicherheit die Szene aus, beschafft sich Informationen über die Wohnungen der Sammler, an welcher Wand beispielsweise welche Gemälde hängen. Dabei berücksichtigt die Stasi auch die aktuellen Konjunkturen und Moden auf dem westlichen Antiquitätenmarkt. "Der Westen war immer der Maßstab. Und da gab es Konjunkturen, mal waren beispielsweise Porzellanpuppen gefragt. Dann gab es eine Zeit, da wurden Kutschen gesucht oder Klaviere. Und dann wurde geschaut, wie kommt man an solche Objekte?", so Blum.
Raubkust in den Westen verhökert
In einem gigantischen Lager in Mühlenbeck bei Berlin sammelt der Staat die geraubten Kunstschätze, um sie in den Westen zu verhökern. Die Abwicklung läuft über die Kunst- und Antiquitäten-GmbH von Alexander Schalck-Golodkowski. Der soll mit dem Verkauf der geraubten Kunstwerke und Antiquitäten das in der DDR dringend benötigte Westgeld heranschaffen.
In der Zeit von 1973 bis 1989 werden 430 Millionen Valutamark durch den Verkauf von geraubten Kunstgegenständen erwirtschaftet. Das Kunst- und Antiquitätenlager in Mühlenbeck wird nach der Wende geschlossen. Viele Kunstsammler und deren Nachkommen suchen aber bis heute nach ihrem Besitz.
(Dieser Artikel erschien erstmals im April 2020.)