Ein JUnge und Mädchen lehnen an einem Zaun
Für knapp 100 Kinder und Jugendliche fehlt in Gera aktuell ein Schulplatz. Bildrechte: IMAGO/Addictive Stock

Bildung Warum viele Schüler in Gera keinen Schulplatz finden

22. Februar 2023, 08:31 Uhr

Seit Wochen ist in Gera eine laut Bildungsministerium "hohe zweistellige Zahl" an Schülern nicht in der Schule. Es sind Kinder von Flüchtlingen, aber auch Kinder, die ganz einfach zugezogen sind. Warum dauert es so lange, einen Schulplatz zu finden? Wer ist eigentlich zuständig? Thomas Becker - unser Redakteur für Hörerfragen - hat nachgefragt.

Die Geschichte beginnt auf einer sehr persönlichen Ebene. Eine Familie zieht nach Gera, will den Sohn in der Schule anmelden und scheitert. Wochenlang findet sich kein Platz, irgendwann schaltet sich die ehemalige Lehrerin des Jungen ein und schreibt an Thüringer Medien, auch an MDR THÜRINGEN. Und plötzlich ist es nicht nur ein Einzelfall.

Ein Anlaufpunkt für Eltern auf der Suche nach einem Schulplatz ist für Gera das Schulamt Ostthüringen. Amtsleiter Berthold Rader sagte MDR THÜRINGEN, dass 65 Schüler aktuell auf einer Warteliste für die Regelschulen stünden, für drei neue Grundschüler an der IGS (Staatliche Integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe) gebe es keine Probleme.

Nun sollte eine Warteliste nicht zum Grundkonzept gehören. Deshalb wurde die Situation in Gera auch plötzlich ein Thema für das übergeordnete Thüringer Bildungsministerium.

Prof. Dr. Winfried Speitkamp ist dort Staatssekretär und räumt ein, dass sowohl Berichte von außen, aber auch die wöchentlichen Abstimmungsrunden der Schulämter dazu beigetragen haben, dass das Thema nun ganz oben auf der Tagesordnung steht. Gera habe ein besonderes Problem, was mit einer geringeren Versorgung mit Lehrkräften zu tun habe, aber auch mit besonders hohen Zuzugszahlen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.

Sind nun genügend Plätze da oder nicht?

Die Aussagen der Stadt Gera als Schulträger, zuständig für die Schulgebäude, und des Schulamts Ostthüringen, zuständig für Lehrer und Schüler, könnten unterschiedlicher kaum sein. Beim Lehrermangel herrscht noch Einigkeit, doch während Schulamtsleiter Berthold Rader Kapazitätsprobleme an den Schulen sieht, bestätigte Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos), dass man eigentlich genug Platz habe für alle Schüler.

Staatssekretär Winfried Speitkamp aus dem Bildungsministerium ordnet das letztlich dahingehend ein, dass das kein Widerspruch sein muss. Denn nicht jeder Raum, der vielleicht physisch da ist, kann vom Schulamt auch tatsächlich bespielt werden.

Dass es genügend Plätze gibt, bezieht sich auf die Tatsache, dass es dort noch freie Räume gibt, für die man aber neue Lehrkräfte braucht.

Prof. Dr. Winfried Speitkamp, Staatssekretär im Bildungsministerium

Das Problem ist also, dass auch ein Klassenzimmer mit Komplett-Ausstattung alleine keinen Unterricht abhalten kann. Und genau das ist das Problem in Gera. Klassenzimmer und Schüler sind da, aber keine Lehrer. Nun ist natürlich niemand so naiv zu glauben, dass in den kommenden Tagen in Gera ein Bus hält, aus dem neue Lehrer aussteigen. Also müssen andere Lösungen her.

Zum Beispiel kann man Kinder in bestehende Klassen integrieren, wohnortnah möglichst. Deshalb waren die zuständigen Behörden in den vergangenen Wochen mit dem Zollstock unterwegs, um herauszufinden, wie viele zusätzliche Kinder noch in die Klassenräume gesetzt werden könnten und sie kamen laut Amtsleiter Berthold Rader zu dem Schluss: Einer geht noch!

Gemeinsam mit dem Schulträger, also der Stadt Gera, habe man die Kapazität der Klassen von 25 auf 26 Kinder erhöht und ist in weiterführenden Gesprächen.

Wir haben die Kapazität in den Klassen von 25 auf 26 Schüler erhöht.

Berthold Rader, Amtsleiter Schulamt Ostthüringen

Zum Beispiel spricht man darüber, wie man es organisiert bekommt, dass eine relativ kleine Klasse vielleicht in einen kleineren Raum umzieht, damit die größer werdende Klasse noch ein paar Kinder mehr aufnehmen kann. Leider werden aktuell aber viele Klassen größer.

Im Gegensatz dazu sind aus pädagogischer Sicht eigentlich geringere Klassenstärken erstrebenswert und die Begeisterung der betroffenen Eltern dürfte deshalb Grenzen haben. Schließlich geht es nicht um Stauraum, wo man Gegenstände abstellt, stattdessen sollen Kinder ausgebildet werden, die eine Zukunft haben wollen. Nun geht es oft um die gleichen Klassenräume, die in der DDR schon Klassenstärken von 30 und mehr Kinder gesehen haben. Und aus denen ist auch etwas geworden. Ist nicht also doch jetzt der richtige Zeitpunkt für eine pragmatische Lösung?

35 Kinder pro Klasse, warum geht das nicht mehr?

Die Rechnung, zwei Bänke und vier Stühle und schon haben vier Kinder einen Schulplatz, die geht nicht so einfach auf, erklärt Staatssekretär Winfried Speitkamp. Er hat Verständnis für die Schulleiter, die sagen: Wir können die Räume nicht bis auf den letzten Zentimeter bestücken. Wir müssen die heutigen Sicherheits- und Brandschutzregeln beachten. Wenn etwas passiert, sind wir dran.

Da sind wir wieder bei Verantwortlichkeiten und es wird sich in der Kette der Entscheidungsträger niemand finden, der unterschreibt: Ich halte meinen Kopf hin, wenn tatsächlich einmal etwas passiert.

Und die Sicherheitskonzepte und Vorschriften basieren ja auf Erkenntnissen und Erfahrungen, die man vielleicht mal für kurzzeitige Not-Situationen außer Kraft setzen kann. Wenn draußen ein Wintersturm oder ein Gewitter tobt, wird niemand sagen, bleibt mal draußen, wir haben nur Platz für 26 Leute. Aber von Amts wegen kann man nicht dauerhaft mit Stehplätzen planen.

Wie sieht die Lösung aus für Gera?

Die 26 Kinder pro Klasse statt 25 ist nur ein Teil der Lösung. Es entstehen schließlich auch unterschiedliche Förderbedarfe, wenn zum Beispiel Kinder zu uns kommen, die anfangs nur eingeschränkt Deutsch sprechen. Geras Oberbürgermeister Vonarb setzt darauf, dass das Ministerium nebst nachgelagertem Schulamt Ostthüringen kurzfristig Lehrerkapazitäten organisieren. Und langfristig auch.

Eine Variante wäre es, dass einige Kinder im Umland von Gera in die Schule gehen, wobei "gehen" der falsche Begriff ist, denn sie müssten dann fahren. Mit dem Bus. Offenbar sieht das Schulamt da noch Kapazitäten, die aber kurzfristig nicht genutzt werden können. Denn auch ein zusätzlicher Schülerverkehr muss organisiert und letztlich auch bezahlt werden. Und langfristig steht auch einiges an. Das nächste Schuljahr nämlich.

Ein Kind steht mit blauer Schultüte und Schultüte auf dem Schulhof,
Die Kinder, die im Sommer eingeschult werden, kennt die Stadt Gera eigentlich schon. Bildrechte: IMAGO/Kirchner-Media

Aber die Kinder, die bis zum Stichtag sechs Jahre alt werden, die sind schon in der Stadt, die kennt man sogar schon und man muss demzufolge nicht warten, bis deren Eltern unsere deutsche Bürokratie ausreichend begriffen und ihre Kinder ordnungsgemäß angemeldet haben.

Diesen Vorlauf - das konnte man zwischen den Zeilen heraushören - den muss man jetzt unbedingt besser nutzen. Geras Oberbürgermeister sieht da durchaus Fortschritte im Schulamt und auch im Bildungsministerium: Dass man zum Beispiel künftig frühzeitiger Lehrer einstellt und zwar mehrjährig und dass man mit seinen Angeboten auch nicht als letztes Bundesland um die Ecke kommt.

Unterm Strich haben alle Verantwortlichen betont, dass das Problem in wenigen Wochen vom Tisch ist und alle Kinder einen Schulplatz haben werden. Und mit den langfristigen Lösungen sollte auch die Warteliste Geschichte sein. Gerade dann, wenn Eltern aus anderen Bundesländern zu uns ziehen, spricht sich dort schnell rum, wie "reibungslos" in Thüringen die Schulplatz-Vergabe läuft. In den vergangenen Wochen hat sich (Ost-)Thüringen da nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es wurden schon erste Schritte getan, die haben nur noch nicht zum Erfolg geführt.

Julian Vonarb, Oberbürgermeister Gera

Und Kindern und deren Eltern, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, kann man auf diese Art unsere "deutsche Gründlichkeit" auch nicht beibringen. Spätestens dann, wenn die Familie später einmal außerhalb der Ferien die Großmutter in der alten Heimat besuchen will, wird sie nämlich zu hören bekommen: "Also einfach mal so eine Woche freinehmen, das geht nicht in Deutschland. Wir haben doch Schulpflicht!"

Der Redakteur - Sie fragen, wir antworten Täglich beantwortet "Der Redakteur" Fragen, die Ihnen auf den Nägeln brennen. Unser Redakteur Thomas Becker recherchiert und hält Sie im Programm von MDR THÜRINGEN auf dem Laufenden darüber, wer als Ansprechpartner zur Verfügung steht, welche Experten oder Verantwortlichen hilfsbereit sind und wer sich um eine klare Antwort drückt. Auch Hörerhinweise zu den Fragen sind herzlich willkommen.

MDR (dvs/mam)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 21. Februar 2023 | 16:40 Uhr

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