Thüringen Geld für Hilfe bei Nachbarn: Wer es bekommt und wo es hakt
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03. August 2023, 07:59 Uhr
Um pflegende Angehörige und Verwandte zu entlasten, soll es in Thüringen eine sogenannte Nachbarschaftshilfe geben. Von den Pflegekassen sollen die Helfer einen Entlastungsbetrag bekommen. Doch bislang fehlen die Voraussetzungen für die Nachbarschaftshilfe.
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Mehr als 160.000 Menschen in Thüringen sind zurzeit pflegebedürftig. Mehr als die Hälfte davon wird zu Hause betreut von Angehörigen und Verwandten. Um diese pflegenden Angehörigen zu entlasten, machte die Thüringer Landesregierung im April dieses Jahres per Verordnung den Weg frei für eine sogenannte Nachbarschaftshilfe.
Das heißt, hier können Menschen einem pflegebedürftigen Nachbarn im Alltag helfen - und dafür über die Pflegekassen einen Entlastungsbetrag von 125 Euro pro Monat bekommen. Nur: Bisher haben die Pflegekassen noch nicht die Voraussetzungen für die Nachbarschaftshilfe geschaffen.
Pflegekassen setzten Verordnung nicht um
Für den Thüringer Bürgerbeauftragten Kurt Herzberg ist das Verhalten der Pflegekassen fragwürdig. Seit über vier Monaten sei es in Thüringen rechtlich möglich, dass Menschen pflegebedürftigen Nachbarn helfen - und dafür den Entlastungsbetrag der Kassen von bis zu 125 Euro bekommen könnten. "Doch leider setzen die Pflegekassen die geänderte Thüringer Verordnung nicht um", kritisiert Herzberg.
Was dafür noch fehlt, sind die entsprechenden Kurse und Schulungen für die Pflegenden. Sie müssen absolviert werden, um Nachbarschaftshilfe leisten zu dürfen. Nur: "Diese Kurse, für die die Kassen verantwortlich sind, werden nicht angeboten. Sodass faktisch eine Ausgrenzung stattfindet", so Herzberg.
Der Bürgerbeauftragte bekommt nach eigenen Angaben von vielen verärgerten Menschen Anrufe, die ihren pflegebedürftigen Nachbarn gerne helfen würden - es aber nicht können, weil die Kurse fehlen. Herzberg richtet daher an die Pflegekassen diesen Vorwurf: "Die Vermutung liegt nahe, dass man die Zeit hinauszögert, um nicht jetzt zahlen zu müssen."
Nachbarschaftshilfe bedeutet Hilfe im Alltag
Nachbarschaftshilfe bedeutet nicht, einen Nachbarn etwa medizinisch zu versorgen. Vielmehr gehört dazu, einen Pflegebedürftigen zum Beispiel zum Arzt zu begleiten, mit ihm spazieren zu gehen, für ihn einzukaufen, zu putzen, zu waschen, mit ihm zu Spiele zu spielen oder Gymnastik zu machen. Der Nachbarschaftshelfer oder die Nachbarschaftshelferin darf mit der pflegebedürftigen Person nicht verwandt oder verschwägert sein. Wer Nachbarschaftshilfe leisten will, muss sich bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen registrieren lassen.
Die Pflegekassen selbst weisen den Vorwurf zurück, die Nachbarschaftshilfe ausbremsen zu wollen. Sie halten es nach eigenen Angaben für richtig, dass die Landesregierung dafür per Verordnung den Weg frei gemacht hat. "Jedoch hätte das Land die Inhalte dieser Rechtsverordnung gemeinsam mit den Pflegekassen besser orchestrieren sollen", stellt Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen, stellt fest. "Dann wäre das zügige Umsetzen der Nachbarschaftshilfe schnell möglich gewesen und den Betroffenen im besten Falle sofort zugutegekommen."
Das Problem ist nach Angaben der Kassen: Die für die Nachbarschaftshilfe nötigen Kurse müssen vorbereitet und zertifiziert werden. Dafür ist qualifiziertes Personal nötig, das nicht von einem Tag zum anderen zur Verfügung steht. "Die Vorlaufzeit hierfür geeignete Kursanbieter zu finden, war schlichtweg zu kurz bemessen", bemängelt Dziuk.
Kurse in Thüringen wohl ab September
Das Thüringer Sozialministerium widerspricht hier allerdings. Nach Angaben des Ministeriums wurden die Pflegekassen bereits seit Sommer 2022 an den Gesprächen zur Nachbarschaftshilfe beteiligt. Am 25. Juli dieses Jahres seien die Kassen noch einmal angeschrieben und aufgefordert worden, tätig zu werden. "Der Ball liegt jetzt bei den Kassen", sagte eine Sprecherin des Ministeriums MDR THÜRINGEN.
Nach Angaben des Sozialministeriums und der Barmer Ersatzkasse könnte es im September so weit sein, dass die Kurse für die Nachbarschaftshilfe angeboten werden. Es müssen insgesamt fünf Kurse von jeweils 90 Minuten Länge belegt werden. Die Kurse werden kostenfrei und auch digital angeboten. Nach fünf Jahren ist ein Auffrischungskurs vorgeschrieben.
Das sagen unsere User dazu
Etliche Reaktionen lieferten zum Teil beißende Kritik: "Wer von den Nachbarn wird für kleine Dienste solche Kurse belegen? Das können sich doch nur Leute ausdenken, die mit Pflege und Realität nicht in Berührung kommen" (Kloster). B.R. schrieb, eine Kasse habe auf Anfrage sieben notwendige Kurse genannt, unter anderem zu Demenz, Inkontinenz, Schlaganfall oder Selbstfürsorge. "Geschätzter Zeitaufwand ca. 6 Monate. Danach darf man ihm FAST unbürokratisch etwas Geld für Benzin und Zeit zukommen lassen.(...) Was bitte soll hier erreicht werden frage ich mich ernsthaft." Aus Sicht von salzbrot würden die Kurse für die Kassen teurer als die Helferentschädigung. "Davon abgesehen, weiß ich nicht welcher der Kurse überhaupt sinnvoll ist für diese Tätigkeit. Wichtiger dürften angeleitete Austauschgruppen von solchen Helfer:innen sein." Bria21 kritisierte die Konstruktion an sich: "Muss man alles so kompliziert machen und aus allem Geld schlagen und kann nicht einfach unbürokratisch hilfsbereit sein?" Auf Facebook schrieb Cornelia Klett: "Bis dahin sind viele gestorben, helfe gerne auch so wo ich kann."
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 02. August 2023 | 19:00 Uhr
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