Literatur Adolfs Erbe: Weimar arbeitet Nachlass des Nazi-Schriftstellers Bartels auf
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13. Januar 2022, 05:00 Uhr
Mit Ausnahme von Goethe hat wohl kein Schriftsteller zu seinen Lebzeiten so tiefe Spuren in Weimar hinterlassen wie Adolf Bartels. 50 Jahre lebte er hier und war einer der meistverkauften Autoren seiner Zeit. Trotzdem wurde sein kulturelles Erbe in Weimar bisher quasi verschwiegen - aus Scham: Denn Bartels war Rassist, Antisemit und ein kulturpolitischer Wegbereiter des Nationalsozialismus. Jetzt hat Weimar begonnen, sich mit dem Nazi im Giftschrank auseinanderzusetzen.
Weimars Ruf als Kulturstadt von Weltrang gründet nicht zuletzt auf der Arbeit der einflussreichen Schriftsteller, die hier gewirkt haben: Goethe, Schiller, Herder, Wieland, Nietzsche und der, dessen Name nicht genannt werden darf, Adolf Bartels. Obwohl er zu Lebzeiten äußerst erfolgreich war, schwiegen sich Stadt und Stiftung bisher größtenteils über ihn aus, um das internationale Renommee Weimars nicht zu beschmutzen. Zu schambehaftet war der Nachlass des Nazi-Schriftstellers, als dass die Kulturstadt sich ernsthaft um eine Aufarbeitung bemüht hätte. Lieber widmeten sich Stadt und Stiftung dem gefühlt tausendsten Goethe-Projekt, als den Nazi aus dem Giftschrank zu holen.
Bartels Erbe ist nicht in der Anna Amalia Bibliothek verbrannt
Das änderte sich erst mit Professor Marcel Lepper, der im Sommer 2020 neuer Direktor des Goethe-Schiller-Archivs (GSA) wurde. Der Literaturwissenschaftler erkannte die kulturhistorische Bedeutung von Bartels für Weimar. Schließlich hatte der 1862 in Wesselburen an der Nordsee geborene Bartels fast 50 Jahre in Weimar gelebt und gewirkt. Hier stieg er vom Zeitungsjournalisten zum vielgelesenen Schriftsteller auf - allein "Die deutsche Dichtung der Gegenwart" hat sich mindestens 100.000 Mal verkauft. Und er avancierte schließlich vom antisemitischen Literaturhistoriker zu einem kulturpolitischen Wegbereiter des Nationalsozialismus.
Eine der ersten Amtshandlungen Leppers war es deshalb, ein Pilotprojekt zum Nachlass von Adolf Bartels anzustoßen, das die Pionierarbeit für die zukünftige Forschung leisten sollte. Es galt den Bestand zu sichten. Das Ergebnis, des inzwischen abgeschlossenen Projekts: Erhalten sind rund 1.500 Bücher, Schriften, Flugblätter, die der Schriftsteller, Literaturhistoriker und Verleger der Stadt bei seinem Tod am 7. März 1945 hinterließ. Darüber hinaus fanden sich rund 5.000 Briefe, die Rückschlüsse auf ein enorm großes völkisches Netzwerk rund um Bartels schließen lassen.
Dass dieses Pilotprojekt überhaupt möglich war, verdankt das GSA einem Treppenwitz der Geschichte. Als am 2. September 2004 ein Großbrand in der Anna Amalia Bibliothek ausbrach und mehr als 50.000 Bücher von unschätzbaren Wert in Asche verwandelte, galt zunächst auch der "Nazi-Nachlass" von Bartels als verloren. Später stellte sich aber heraus, dass ausgerechnet der Nazi-Schriftsteller nicht verbrannt war.
Schlüsselfigur zum Weimar des frühen 20. Jahrhunderts
Kurz nach dem Brand, veröffentlichte Volkhard Knigge, der damalige Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, einen ausführlichen Artikel in der Zeit zu Bartels. Darin machte er auch seinem Ärger Luft, dass der vermeintliche Verlust des Bartels-Erbe eher als Randnotiz vermerkt wurde und keine große Beachtung fand. Denn Knigge hatte schon früh erkannt, dass Adolf Bartels eine Schlüsselfigur in der Weimarer Stadtgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts war:
Nicht Weimars 'ewiger Ruhm' spiegelt sich in Bartels' Hinterlassenschaften, sondern Weimars und Deutschlands selbst gewählter Weg in völkische Überheblichkeit, Ultranationalismus, Rassenwahn und schließlich in das 'Dritte Reich'. Denn Adolf Bartels […] war eine Schlüsselfigur der völkischen Bewegung und bereits vor Beginn des Weltkrieges ein Vorkämpfer des entschiedenen Rassenantisemitismus.
Tatsächlich lassen sich an Bartels Wirken die besorgniserregenden Entwicklungen in Weimar ab 1900 nachvollziehen. Wer sich beispielsweise fragt, warum Gropius und das Bauhaus Weimar 1925, nach nur sechs Jahren, wieder verlassen mussten, wird unter anderem bei Bartels fündig. Als Speerspitze der Heimatkunstbewegung wirkte er in die Stadtgesellschaft und ins Bauhaus hinein. Darüber hinaus habe Bartels massiv mit seinen Kreisen gegen das Bauhaus sowie die künstlerische und gesellschaftliche Modernisierung agitiert, so Lepper.
Netzwerker und "literarischer Großvater der Nazis"
Ferner lässt sich an der Person Bartels auch nachvollziehen, warum die Nazis in Thüringen so schnell Fuß fassen konnten und der Freistaat 1932 als Mustergau galt. "Es braucht erstmal eine Durchsättigung von Fehlinformation und Propaganda, damit sich überhaupt größere Teile der Bevölkerung in so eine fatal falsche Richtung bewegen", erklärt Lepper und sieht darin Bartels‘ größten Beitrag.
Damals schon im gehobenen Alter machte er mit seinem bildungsbürgerlichen Erscheinungsbild rechte Ideologien und Antisemitismus im Bürgertum anschlussfähig. Sein Weltbild prägte nachfolgende Generationen, die seine Werke teilweise in der Schule oder an den Universitäten lasen.
Gleichzeitig beschäftigte er in der von ihm verlegte Zeitschrift "Deutsches Schrifttum" junge Talente, wie Hans Severus Ziegler und Rainer Schlösser. Vom ihm protegiert, stiegen sie später zu wichtigen Köpfen in der NS-Kulturpolitik auf. Unter Literaturwissenschaftlern gilt Bartels deshalb bis heute als "literarischer Großvater der Nazis" (S. Fuller, 1996).
Wie umtriebig Bartels bei der Netzwerkarbeit war, zeigt sich an seinen Mitgliedschaften. So war er zunächst in den rechten Parteien DVP und DNVP aktiv, ehe er 1925 in die NSDAP eintrat. Nachweislich involviert war er beim völkischen "Werdandi-Bund" sowie den rassistischen und antisemitischen "Deutschbund" und "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund". Bei letzterem lernte er vermutlich auch Fritz Sauckel, den späteren NSDAP-Gauleiter Thüringens, kennen, der Bartels zu zahlreichen NS-Ehrungen verhalf. Er war es auch, der Bartels für "Die Geschichte der Thüringer Literatur" engagierte und ihm dafür ein Honorar von 3.000 Reichsmark zahlte.
Pseudowissenschaftler und militanter Antisemit
In der Rolle als Vorkämpfer und Altvorderer war Bartels so bedeutend, dass ihm Hitler 1925 einen persönlichen Besuch in Weimar abstattete. Nach 1933 trat Bartels nur noch wenig öffentlich in Erscheinung. So eröffnete er etwa an der Seite von Joseph Goebbels die "Großdeutschen Dichtertage". Dass er dennoch großes Ansehen im NS-Staat genoss, zeigen die Festspiele, die die Nazis zu seinen 70., 75. und 80. Geburtstag veranstalteten. Außerdem bezog er einen Ehrensold.
In diesem Zusammenhang ist es nötig, seine Erfolge genauer zu betrachten. Denn Bartels überzeugte nicht durch Qualität, vielmehr profitierte er vom Zeitgeist. "Bartels ist von vornherein ein Pseudowissenschaftler. Das beginnt mit der abgebrochenen Schule und dem geschmissenen Studium", sagt Lepper und führt weiter aus, dass Bartels schon zu seiner Zeit von Autoren belächelt wurde: "Diejenigen die damals literarisch urteilsfähig waren, stellten fest, dass jemand wie Bartels, der so sehr für das Deutschtum trommelt, so ein schlechtes Deutsch schreibt."
Gleichwohl legte sich Bartels immer wieder mit literarischen Größen seiner Zeit an und denunzierte sie als Juden – selbst einen Thomas Mann, der nachweislich keiner war. Dass Bartels bei seiner "Judenriecherei" (Kurt Tucholsky über Bartels) äußerst dilettantisch arbeitete, fiel selbst Gleichgesinnten auf:
Niemand wird Bartels' deutsche Gesinnung wie seine großen Verdiente in Zweifel ziehen. Dies Buch aber ist ein völliger Versager, dem außer der Gesinnung kein Verdienst zuzuschreiben ist.
Sein wissenschaftliches und literarisches Unvermögen übertünchte Bartels hingegen mit immer hetzerischeren Parolen. Wer verstehen will, wie Buchenwald und der Ettersberg zum Massengrab wurden, der findet in Bartels rassistischen und antisemitischen Schriften ihre in Worte gekleideten Vorboten. So forderte er wiederholt, man müsse "die Juden […] gründlich bekämpfen" (1919) und "das ganze westliche Rußland […] rücksichtslos germanisieren" (1913). Zitate, die an Hitlers "Mein Kampf" erinnern, welches Bartels übrigens als "die bedeutendste Veröffentlichung" seit Bismarcks Autobiografie bezeichnete.
Weiteres Projekt zu Bartels in Weimar geplant
So unbedeutend Bartels als Schriftsteller und Wissenschaftler heute auch sein mag, so wichtig ist er doch in Hinblick auf sein Wirken als Wegbereiter für den NS-Staat. Deshalb soll in Weimar noch in diesem Jahr ein neues Forschungsprojekt an das schon bestehende anschließen. Es soll den Nachlass Bartels' in wissenschaftlichen Katalogen systematisch verzeichnen. Das sei zwar "Kärrnerarbeit", wie Lepper es nennt, aber sie sei notwendig, um das Netzwerk rund um Bartels im Detail zu erschließen.
Wie ernst es Weimar inzwischen mit der Aufarbeitung des Nazi-Schriftstellers nimmt, zeigt sich auch daran, dass das neue Forschungsprojekt durch das Bauhausmuseum und die Gedenkstätte Buchenwald flankiert wird. Beide Institutionen seien an der Bartels-Forschung sehr interessiert, sagt Lepper.
So werde derzeit auch ein Projekt zum "braunen Bauhaus" vorangetrieben. Teil dieses Projekts werden auch die Arbeiten von Hans Groß (manchmal auch "Grohs" geschrieben) sein, der bis heute exemplarisch für eine rechte Strömung im Bauhaus steht und sich sowohl in seinen Holzschnitt-Arbeiten, als auch in seinen Reden auf Bartels bezog.
Was die neuen Forschungsprojekte zu Tage fördern werden, lässt sich noch nicht absehen. Fest steht, dass sich mit der Klassik Stiftung, dem Bauhaus-Museum und der Gedenkstätte Buchenwald gleich drei kulturelle Schwergewichte der Stadt mit Bartels beschäftigen werden. Die Zeit des Schweigens aus Scham scheint damit endgültig vorbei zu sein.
Quelle: MDR/ask
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. Januar 2022 | 05:00 Uhr
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