Nachgefragt Wer sind die neuen Mieter im alten Eisenwarenladen in Weimar?

05. August 2023, 05:00 Uhr

Ein Fahrradverleih, eine Werkstatt gleich nebenan, dazu Beratung zum Obstbaumschnitt, Verkauf von Thüringer Apfelsaft, Saatgutbörsen und eine Umweltbibliothek mit langer Geschichte - all das vereint sich im neuen Domizil der Grünen Liga Thüringen, das im Mai im ehemaligen Eisenwarenladen in Weimar eröffnet hat.

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Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

"Sobald die Tür offen steht, kommen Leute rein, schauen sich um und fragen, was es jetzt hier zu kaufen gibt", erzählt Grit Tetzel, die an diesem Samstag Dienst im Laden hat. Und fast immer entspinnt sich dann ein Gespräch über den alten Eisenwarenladen, den offenbar nahezu jeder Weimarer kannte.

Auch Tetzel selbst kannte den Laden schon lange. Sie ist Geschäftsführerin der Grünen Liga Thüringen. Die Grüne Liga hat ihre Wurzeln in den kirchlichen Umwelt- und Friedensgruppen sowie vielen örtlichen Natur- und Umweltschutzinitiativen der DDR. Diese gründeten 1990 die Grüne Liga – das Netzwerk Ökologischer Bewegungen.

Große Freude über den Mietvertrag

Die alten Räume in Weimar waren schon lange zu klein geworden. Als bekannt wurde, dass der Eisenwarenladen in der Ferdinand-Freiligrath-Straße schließen würde, bewarb sich die Liga sofort als Nachmieter. Am 1. Februar wurde dann der Mietvertrag unterschrieben und das Abenteuer konnte starten.

"Wir hatten damit gerechnet, Wände rausreißen zu müssen, weil der Laden ja früher so verwinkelt war" erzählt Tetzel. "Aber das waren alles nur Regale." Fast alle Möbel hatte Matthias Riediger im Laden stehen lassen, sie waren damals extra für seinen Großvater angefertigt worden.

Regelrechte "Begeisterungsstürme" habe das Ausräumen verursacht, sagt Tetzel. Nicht nur die Möbel an sich, ihre Qualität, ihre Funktionalität und ihr durchdachter Aufbau sind "einfach schön". Auch, dass in vielen Schubladen noch ganz viele Sachen lagen, die oft für Kopfzerbrechen gesorgt haben. "Bei manchen Dingen kamen wir einfach nicht darauf, wofür die gemacht sind."

Auch auf Begriffe, die sich niemand erklären konnte, stieß das Team beim Ausräumen immer wieder: "Wer weiß beispielsweise, was ein Volo-Haken ist? Und wo kommt der Begriff her?"

Glücklicherweise fand sich im Laden auch ein altes Eisenwaren-Buch, das wirklich viele Fragen beantworten konnte. Bei anderen Sachen konnten Freunde helfen.

Freunde waren es auch, die dann zum Renovieren eingeladen wurden. Dazu Mitarbeiter, die regelmäßig bei Projekten der Grünen Liga dabei sind. Es wurde gemessen, gebaut, gemalert und eingeräumt - Möbel aus dem ehemaligen Verkaufsraum und dem Lager fanden neue Plätze. Auch der zweite Raum ist jetzt, anders als früher, für Kunden geöffnet.

Fahrradverleih mit Werkstatt

In diesem zweiten Raum findet jetzt der Fahrradverleih Platz. Aus etwa 50 Rädern besteht die Flotte inzwischen, dazu kommen einige Kinderfahrräder und Zubehör wie Helme und Kindersitze. Nicht nur Touristen leihen hier Räder, auch Einheimische. Beispielsweise, wenn Besuch kommt.

All diese Räder werden in der hauseigenen Werkstatt gepflegt und repariert. Außerdem kann man dort mit etwas Hilfe auch sein eigenes Rad in Ordnung bringen, dieser Bereich, sagt Tetzel, soll künftig auch noch ausgebaut werden. Ausgestattet ist die Werkstatt inzwischen, auch hier finden sich immer wieder "Restbestände" aus dem alten Eisenwarenladen.

Multifunktionsraum lässt Kommunikation zu

Im ehemaligen Verkaufraum passieren jetzt viele Sachen gleichzeitig. Das Büro der Grünen Liga sitzt hier, es gibt einen großen Tisch, an dem man sich über Projekte austauschen kann.

Außerdem gibt es Saatgutbörsen für Kleingärtner (gemeinsam mit der Volkshochschule) und auch die Seminare zum Obstschnitt werden hier vorbereitet. "Hier kommt uns zugute, dass wir ein großes Netzwerk haben und Experten zu vielen Themen heranholen können", sagt Tetzel.

Die Grüne Liga kümmert sich seit vielen Jahren auch um Streuobstwiesen und fährt mit ihrer mobilen Obstpresse durch Thüringen. Jeder kann dann dort sein Obst pressen und seinen eigenen Saft mitnehmen.

Der überschüssige Most wird jetzt auch hier im Laden verkauft. Manchmal sogar in Form von Likör. "Kann man ja auch schön verschenken", sagt Andreas Przybilla, der gerade vorbei kam und schauen wollte, was es jetzt hier gibt.

Umweltbibliothek: Element der Wende-Geschichte

Auf den ersten Blick hatte er auf einen Buchladen getippt, sagt Przybilla. Der Grund: Im Laden steht auch die Weimarer Umweltbibliothek mit etwa 700 Bänden. Die wurde 1989 gegründet und spielte im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution in der DDR eine wichtige Rolle.

Zum Aufklappen: Die Gründung der Umweltbibliothek

Das Aufkommen der Friedensbewegung in der DDR Ende der 1970er-Jahre gab der gesamten Opposition im Land neuen Schwung. Viele Gruppen entdeckten Anfang der 1980er-Jahre das Umweltthema für sich und erreichten damit die unangepassten jungen Leute in der DDR.

Auch die 1986 in Ost-Berlin gegründete Umweltbibliothek wollte unter dem Schutz der Zionskirche einen Zugang zu Themen der Friedens- und Umweltbewegung schaffen. Der Pfarrer der Evangelischen Zionsgemeinde, Hans Simon, stellte den Umweltschützern die Kellerräume des Gemeindehauses der Zionskirche zur Verfügung.

Die UB setzte die Tradition der sogenannten "fliegenden Universitäten", also alternativer Bildungseinrichtungen in Privatwohnungen, fort. Als Teil der basisdemokratischen Alternativbewegungen der DDR bestand ihr Hauptanliegen darin, Öffentlichkeit herzustellen und die Opposition zu vernetzen.

Hier wurde "verbotene" oder in der DDR nicht zugängliche Literatur zur Verfügung gestellt, Untergrundpublikationen gedruckt und verbreitet sowie Veranstaltungen zu Themen durchgeführt, die offiziell  tabuisiert waren. So gab es hier zeitkritische westliche Bücher und politische Fachpublikationen über Themen wie Abrüstung und Umwelt.

Neben der Umwelt spielten auch weltanschauliche und politische Themen eine Rolle. Dies führte die Staatssicherheit zu der Annahme, hinter dem Namen "Umweltbibliothek" verberge sich eine verfassungsfeindliche Gruppe. (Quelle: Stasi-Unterlagen-Archiv)

Heute wird das Material auch von Lehrerinnen und Lehrern genutzt. Beispielsweise kann hier ein Koffer ausgeliehen werden, mit dem die Qualität des Wassers von den Kindern untersucht werden kann. Außerdem hat die Bibliothek für ihre Kunden Zeitschriften abonniert wie "Stiftung Ökotest" oder "Heimat Thüringen".

Gelungener Neustart

Und auch wenn noch längst nicht alles fertig ist, bereut hat Tetzel die Entscheidung für den neuen Laden nicht. Inzwischen, so sagt sie, kommen auch immer öfter Leute rein, die nicht "in Erinnerungen schwelgen" wollen, sondern ganz gezielt Wünsche an die neuen Mieter haben. Und auch die haben noch viel vor mit dem ehemaligen Eisenwaren-Laden.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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