Traditionsbetrieb Eisenwarenladen in Weimar schließt nach 84 Jahren
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21. Oktober 2022, 21:16 Uhr
Seit 1938 verkauft Familie Riediger Eisenwaren in Weimar und hat in dieser Zeit viele Krisen überstanden. Doch jetzt hat Matthias Riediger sich entschieden, den Laden zu schließen. Und auch wenn es ihm schwerfällt - Ende November endet die Geschichte dieses Familienbetriebs.
Matthias Riediger war gerade 20, als er zum ersten Mal hinter dem Ladentisch stand. "Das weiß ich noch genau, das war am 16. Juli 1979." Eigentlich wollte er nur die Zeit zwischen Abitur und Armee überbrücken und nach dem Wehrdienst in Weimar studieren. Doch es kam anders.
Drei Jahre später unterschrieb Riediger seinen Arbeitsvertrag im Eisenwaren-Laden seines Vaters. Und seit 1997 führt er ihn.
Verkäufer mit Leib und Seele
Das Beste daran sind für Matthias Riediger die Gespräche mit den Kunden. Und die beschränken sich nicht nur auf die Beratung beim Einkauf: "Von manchen Stammkunden kenne ich inzwischen die ganze Familiengeschichte, das ist schon bewegend".
Von manchen Stammkunden kenne ich inzwischen die ganze Familiengeschichte, das ist schon bewegend.
Trotzdem ist es immer wieder faszinierend, wie er mit einem Griff genau die richtige Schraube aus Hunderten von Schubkästen holt, wie er aus einer vagen Beschreibung die Wünsche der Kunden herauslesen kann und die passenden Winkel und Werkzeuge auf dem Ladentisch ausbreitet. Ende November aber ist das vorbei. Matthias Riediger muss seinen Laden schließen.
Zeiten noch schlechter als zu Corona
Gründe, so sagt er, gebe es viele. Zuerst natürlich die Gesundheit. Dann hat einer seiner Großhändler aufgegeben, Riediger müsste sich einen neuen suchen. "Aber ich kann ja auch nicht jeden Monat Geld ins Geschäft tragen." Jetzt ist es sogar noch schwieriger als zu Corona-Zeiten, sagt er. "Die Menschen haben sich angewöhnt, alles im Internet zu bestellen, das ist bequemer."
An manchen Tagen kämen gerade zwei, drei Kunden, erzählt Riediger. "Ich habe manchmal mehr Kunden gehabt, die Pakete abgeholt haben, als Leute, die etwas gekauft haben."
Und wenn dann irgendetwas nicht passt, weil eben doch die Beratung gefehlt hat? "Dann schicken sie es zurück und kommen zu mir."
Stammkunden sind fassungslos
Carsten Meyer kauft seit 30 Jahren hier ein: "Ich habe kein Auto und da ist es sehr praktisch, einen solchen Laden hier in der Innenstadt zu haben. Außerdem ist die Beratung hier spitze und man bekommt wirklich alles." Meyer kann kaum glauben, dass es den Laden bald nicht mehr geben soll. Und wie ihm geht es vielen.
Denn gerade für die gute Beratung, das Fachwissen, die freundliche Art ist Matthias Riediger in Weimar bekannt. "Ich bin da reingewachsen. Ich habe immer ein paar Sachen, die es woanders nicht gibt. Und die Gespräche genieße ich. Und ja, nach über 40 Jahren weiß man, wo jede Schraube liegt. Ja, und jeder andere Artikel auch."
Familienbetrieb Riediger mit langer Tradition
Gegründet hat das Geschäft Riedigers Großvater im Jahr 1938. Damals noch in der Teichgasse in Weimar. Als der im Krieg war, blieb der Laden geschlossen. "Die Großmutter musste allerdings auf alles aufpassen. Beim Bombenangriff am 9. Februar 1945 auf Weimar sind bei uns alle Schaufensterscheiben zerstört worden."
Zwischen Weihnachten und Neujahr war immer Inventur. Da saßen alle da und haben gezählt. Da mussten auch wir Kinder ran.
Zu DDR-Zeiten blieb sein Vater selbständig, hatte aber die Ware in Kommission für die HO verkauft. "Das sah dann aber so aus, dass Weimar beispielsweise mal 20 Bohrmaschinen bekommen hat. Zehn gingen an die HO und zwei an uns."
Und schon damals hielt die ganze Familie gemeinsam den Laden am Laufen. "Zwischen Weihnachten und Neujahr war immer Inventur. Da saßen alle da und haben gezählt. Da mussten auch wir Kinder ran."
Wechselvolle Geschichte gemeistert
Der nächste Bruch für den kleinen Laden kam mit der Wende: "Wir wurden ja ins kalte Wasser geschmissen. Mussten Marktwirtschaft lernen, Preisbildung und all das." Auch Angebote für Kooperationen flatterten damals ins Haus, erinnert sich Riediger. "Ja, Joint Venture hieß das. Zum Glück hat das mein Vater nicht gemacht."
Außerdem hätte niemand mehr DDR-Produkte kaufen wollen, erzählt er. "Aber auch da war mein Vater clever und hat nicht gleich alles weggeschmissen."
Denn nach einer geraumen Zeit waren die Sachen dann plötzlich wieder gefragt. "Irgendwann sind die Leute nämlich auf die Idee gekommen, dass die West-Schlösser ja gar nicht in die Ost-Türen passen. Entweder musste man also eine neue Tür bauen oder eben ein altes DDR-Türschloss nehmen. Und die verkaufen wir heute noch."
Abschiedsschmerz wird noch verdrängt
Darüber, jetzt bald alles ausräumen zu müssen, will Matthias Riediger noch nicht nachdenken: "Soweit bin ich noch nicht. Das mache ich erst nächsten Monat." Alles, was bis dahin nicht verkauft ist, wird weggeworfen. Das sei zwar schade, so Riediger, aber verschenken könne er es auch nicht: "Dann muss man nämlich Umsatzsteuer auf das Verschenkte bezahlen".
Auch dazu, was er machen will, wenn der Schlüssel sich zum letzten Mal gedreht hat, gibt es noch keine Pläne: "Wir waren 18 Jahre lang nicht im Urlaub. Ich glaube, das ist jetzt mal dran."
So richtig kann sich niemand vorstellen, dass es den kleinen Eisenwaren-Laden bald nicht mehr gibt. "Aber ich habe den Entschluss nun mal gefasst", sagt Matthias Riediger. "Da müssen sie jetzt durch. Und meine Frau steht hinter mir."
Eins aber will er aus seinem Laden unbedingt mit nach Hause nehmen: "Meinen Tresor. Franz Jäger Berlin. Der kommt auf jeden Fall mit."
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR SPUTNIK | Podcast | Deine Meinung | 18. Januar 2022 | 14:00 Uhr
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