Neonatologie Neue Frühchen-Station in Weimar eingeweiht
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08. März 2022, 19:46 Uhr
Um Frühgeborene und kranke Neugeborenen in den ersten Lebenstagen und -wochen medizinisch optimal betreuen zu können, ist eine moderne neonatologische Station wichtig. Gleichzeitig ist die Möglichkeit des engen Eltern-Kind-Kontaktes ist in dieser Zeit essentiell. Daher wurde die Frühgeborenenstation in Weimar in den vergangenen Monaten grundlegend modernisiert und familiengerecht gestaltet.
Im letzten Sommer hatten die Bauarbeiten in der Weimarer Frühgeborenen-Station begonnen. Zuerst mussten die kleinen Patienten und auch alle Geräte und Maschinen auf die Kinderstation umziehen.
Dann wurden Wände eingerissen und völlig neue Räume geschaffen. Und all die Steckdosen, Netzwerk- und Gasanschlüsse, die so typisch für Frühgeborenen-Stationen sind, verschwanden hinter so genannten Medien-Wänden. Denn die Zimmer sollten ein bisschen wohnlicher sein als vorher, schließlich verbringen die Eltern der Babys hier sehr viel Zeit.
"Man braucht relativ viel Technik in der Frühgeborenen-Medizin, weil mitunter die Kleinen nicht gut atmen können oder viel Wärme brauchen oder Medikamente. Und uns war sehr wichtig, dass wir die Räume so gestalten, dass sie einerseits sehr praktisch sind, dass man alle medizinischen Dinge gut zur Hand hat, dass man sich andererseits trotz allem wohlfühlen kann und nicht irgendwelche Sorgen bekommt oder vielleicht sogar Ängste" sagt Chefärztin Dr. Kristin Dawczynski. Sie leitet die Kinderklinik in Weimar seit Oktober 2020 und ist froh, dass jetzt alles fertig ist.
Jedes zehnte Baby kommt zu früh
Kommt ein Kind zu früh auf die Welt, sind die Eltern meist nicht darauf vorbereitet. In Deutschland wird etwa jedes zehnte Kind (rund 60.000 von 720.000 Neugeborenen) zu früh geboren, davon rund 8.000 Kinder mit einem Gewicht von weniger als 1.500 Gramm. Umso wichtiger ist es, dass ihnen eine sehr gute medizinische Versorgung zur Verfügung steht. Gleichzeitig ist ein enger Eltern-Kind-Kontakt in dieser Zeit essentiell.
Wichtig findet es die Chefärztin, dass die Eltern sich wohlfühlen auf der Station, denn meistens sind sie noch gar nicht richtig vorbereitet auf die Geburt: "Aber auch wenn das Baby viel zu früh kommt, ist es immer ein Glück, wenn es dann da ist, auch wenn es noch sehr zart ist und sehr klein. Denn es ist dann plötzlich wahrhaftig da. Also man kann es anschauen und man kann es berühren. Ich sehe nicht nur Sorgen in den Gesichtern der Eltern, sondern auch ein Stück Freude, vielleicht auch Erleichterung."
Weimar ist die drittgrößte Geburtsklinik in Thüringen. Mehr als 1.200 Kinder werden hier geboren im Jahr, 100 bis 120 davon kommen zu früh. Dazu kommen noch Kinder, die krank sind, die nach der Geburt intensiv betreut werden müssen. Insgesamt betreut die Neonatologie hier etwa 250 bis 300 Früh- und Neugeborene.
Technik verstecken, soweit es geht
Nach dem Umbau gibt es zehn Plätze, davon vier etwas intensiver ausgestattet mit viel mehr Technik. Und diese Technik ist es auch, die viele Eltern erschreckt.
Deshalb sind beim Umbau so genannte Medienwände eingezogen worden, hinter denen alle möglichen Anschlüsse und Kabel verschwinden, damit die Babyzimmer etwas wohnlicher und gemütlicher aussehen. Wärmere Farben und eine indirekte Beleuchtung soll es den Eltern leichter machen, sich wohlzufühlen, wenn sie ihre Kinder besuchen.
Denn für die Frühchen ist es besonders wichtig, dass die Eltern viel Zeit mit ihnen verbringen. In jedem Babyzimmer stehen dafür bequeme Sessel bereit. Übrigens kommt jedes Kind, das in Weimar geboren wird, unmittelbar danach auf die Brust der Mutter. Känguruhen oder Bonding heißt dieses Konzept.
Zum Aufklicken: Was genau ist Känguruhen?
Beim Känguruhen oder Känguruing wird das nackte Frühgeborene auf den nackten Oberkörper der Eltern gelegt. Die Körpertemperatur der Eltern wärmt das Kind. Sie werden gewissermaßen zum lebenden Brutkasten. Um die Wärme zu halten, wird das Kind zugedeckt. Je nach Ausstattung der Frühchen-Station sitzen oder liegen Mama oder Papa dabei in einem bequemen Liegestuhl oder im Bett. Häufig steht der Begriff Känguruhen auch für das gesamte Frühchen-Pflegekonzept. Es beinhaltet neben dem regelmäßigen und langen Hautkontakt zwischen Baby und Eltern auch das frühe Stillen, die psychologische Unterstützung der Mutter sowie das Ziel einer zeitigen Entlassung aus der Klinik.
"Das ist immer ein ganz bewegender Moment, wenn man aus dem Inkubator-Bettchen dann das Baby der Mutter auf die Brust legt, das ist immer ein ganz, ganz aufregender Moment für alle, die beteiligt sind. Ob wir das sind als Ärzte und Schwestern oder auch die Mama und der Vater sind dann meistens mit dabei, die dann so den ersten Kontakt zu ihrem Kleinen haben."
Neue Rolle für Väter
Es gibt aber auch ein richtiges Familienzimmer, erzählt Kristin Dawczynski: "Wir haben mitunter auch wirklich Familien da, also auch Mutter, Vater und Kind. Wenn sonst keine weitere Familie den Bedarf hat, dann wird das so für die Familie hergerichtet. Oder es sind zwei Mütter da mit ihren Babys, die in den letzten Tagen noch mal gemeinsam intensiv die Zeit nutzen wollen, mit Unterstützung unserer Schwestern noch mal üben wollen, dass sie richtig fit sind für zu Hause."
Seit etwa 20 Jahren arbeitet die Ärztin jetzt schon in dem Bereich und sie beobachtet, dass die Väter dankbar sind, dass sie willkommen sind auf Geburtsstationen. Und sie sind auch sehr wichtig. Nicht nur, wenn die Frau noch in Narkose liegt.
Wichtige Partnerinnen - Hebammen
Für die Chefärztin sind auch die Hebammen unglaublich wichtig. Sie sind schließlich die Vertrauensperson einer jeden Schwangeren. Sie sind schon viel früher da als die Kinderärzte, oft beantworten Hebammen die ersten Fragen der werdenden Mütter.
Aber natürlich sind sie nicht nur in der Schwangerschaft wichtig, sondern auch in der Phase, wenn das Kind geboren ist: "Auch im privaten Umfeld zu Hause, wo wir Ärzte dann nicht mehr aktiv dabei sind, sondern nur die Dinge mit auf den Weg geben, die wichtig sind. Aber dieses ganz nah an der Familie sein, das leistet die Hebamme und das ist einfach wertvoll."
Rolle der Muttermilch verändert sich
Auch der Blick auf die Bedeutung der Muttermilch für die Frühchen hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. War das Stillen lange die einzige Möglichkeit, Babys zu ernähren, gab es später deutliche Unterschiede zwischen Ost und West, erzählt die Ärztin:
"In Ostdeutschland spielte die Muttermilch eine weit größere Rolle als im Westen. Nach der Wiedervereinigung hat man sich verschiedene Daten in der Frühgeborenen-Medizin angeschaut und war überrascht, dass Frühgeborene aus den östlichen Bundesländern viel, viel weniger Darm-Entzündungen hatten. Und dann hat man das natürlich recherchiert und hinterfragt und hat festgestellt, dass es die Muttermilch sein muss, die hier einen sehr positiven Effekt hat, dass es eben nicht zur Darmentzündung kommt und nicht zu dieser schweren Komplikation im Vergleich zu den westlichen Bundesländern."
Das hatte zur Folge, dass das Stillen Anfang der 90er Jahre wieder deutlich beliebter wurde. "In den östlichen Bundesländern hat man auch Frauenmilchbanken nie geschlossen. Die Frauenmilchbank in Leipzig hat eine unglaubliche Tradition. Und dann hat man die Daten wirklich sehr ernst genommen.“
Man weiß, dass diese Milch das Immunsystem unterstützt, die Verdauung erleichtert und so weiter. Und wenn die Kleinen das noch nicht trinken können, dann wird es abgepumpt.
Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es auch in den Kliniken deshalb ein Umdenken. Inzwischen haben auch einige Frauenmilchbanken in den alten Bundesländern aufgemacht, es gibt inzwischen ein funktionierendes Netzwerk in Deutschland.
"Man weiß, dass diese Milch das Immunsystem unterstützt, die Verdauung erleichtert und so weiter. Und wenn die Kleinen das noch nicht trinken können, dann wird es abgepumpt und es gibt dann eben über ein kleines Fläschchen oder über eine kleine Sonde."
Grenzen der Neonatologie
Das kleinste Baby, das Dr. Kristin Dawczynski retten konnte, damals noch am Universitätsklinikum Jena, wog gerade mal 460 Gramm, geboren in der 24. Schwangerschaftswoche. Aber wo genau liegt die Grenze? Was kann, was darf die Neonatologie? Für Kristin Dawczynski und ihre Kollegen ein wichtiges Thema.
"Es geht ja nicht nur um das Überleben, sondern wir fragen uns auch, wie dieses Kind überlebt. Dafür hat der Gesetzgeber uns einen Rahmen gegeben. Und zwar ist es so, dass ab 22 plus 0 bis 23 plus 6 der Graubereich der Lebensfähigkeit liegt. Also ein bisschen mehr als die Hälfte einer natürlichen Schwangerschaft.
Und dieser Graubereich dient dazu, um Gespräche zu führen mit der Familie und mit einem Expertengremium. Das ist das, was die Zentren der Maximalversorgung machen. Wir sagen hier in Deutschland dazu Level 1-Zentren. Und dort wird genau abgewogen: Macht man alles, macht man diese maximale Therapie mit allem, was technisch möglich ist, oder verzichtet man auf das eine oder andere?"
Aufenthalt soll möglichst angenehm sein
In Weimar ist das allerdings nicht oft der Fall, denn die Kinder hier sind mindestens 1.250 Gramm schwer. Laut Chefärztin haben die eine Überlebenschance von fast 100 Prozent: "Da gibt es einfach so viel Reife schon in dem Kind und nur eine kleine Unterstützung von uns ist notwendig, um die Kinder gut starten zu lassen. Und dann natürlich Stück für Stück, Woche für Woche sie zu begleiten. Trotzdem sind es mitunter noch mal zwölf Wochen, die wir brauchen, bis sie nach Hause gehen können."
Und auf der neu gestalteten Station in der Kinderklinik Weimar können diese zwölf Wochen für die kleinen Patientinnen und ihre Eltern jetzt so schön wie möglich gestaltet werden.
Die Einteilung der Geburtskliniken in Thüringen
Laut Krankenhausspiegel Thüringen unterscheiden sich die Geburtskliniken im Freistaat nach vier Versorgungsstufen:
Perinatalzentren Level I
Dies ist die höchste Versorgungsstufe. Nur hier sollen - möglichst schon vor der Geburt - Mütter eingeliefert werden, deren Kind voraussichtlich vor der 29. Schwangerschaftswoche und mit einem Gewicht unter 1.250 Gramm geboren wird. In Thüringen gibt es in folgenden Krankenhäusern Perinatalzentren Level I (in unserer Karte lila).
- Helios Klinikum Erfurt
- SRH Zentralklinikum Suhl
- Universitätsklinikum Jena
Perinatalzentren Level II
Die Zentren Level II sind vorgesehen für die Versorgung von Neugeborenen ab einem voraussichtlichen Gewicht von über 1.250 Gramm und einer Entbindung oberhalb von 29 Schwangerschaftswochen. In Thüringen gibt es in folgenden Krankenhäusern Perinatalzentren Level II (in unserer Karte türkis).
- Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar
- SRH Wald-Klinikum Gera
- St. Georg Klinikum Eisenach
- Thüringen-Kliniken "Georgius Agricola", Saalfeld
- Südharz Klinikum Nordhausen
Zentren mit perinatalem Schwerpunkt
Perinatale Schwerpunkte gibt es in Krankenhäusern, die eine Geburtsklinik mit angebundener Kinderklinik haben. Sie sind für Frühgeborene über 1.500 Gramm und mit einem Entbindungstermin oberhalb von 32 Schwangerschaftswochen vorgesehen (in unserer Karte orange).
Geburtskliniken
In Geburtskliniken ohne Perinatalzentrum oder perinatalen Schwerpunkt sollten nur Schwangere mit einem Entbindungstermin ab der 36. Schwangerschaftswoche ohne zu erwartende schwere Komplikationen ihre Kinder zur Welt bringen. Das sind rund 90 Prozent aller Schwangeren.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. November 2021 | 16:00 Uhr
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