Beschäftigungsquote Fehlende Anreize durch Bürgergeld für Ukrainer? Das sagen Politik und Wirtschaft
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27. Oktober 2024, 05:00 Uhr
Mit 23 Prozent haben Ukrainer die niedrigste Beschäftigungsquote aller Nationalitäten in Thüringen. Laut AfD und CDU liegt das unter anderem am Bürgergeld, das die Ukrainer bekommen. Doch ist das tatsächlich so?
In einem sind sich die Thüringer Landtagsfraktionen, die Landesarbeitsagentur und auch der Verband der Wirtschaft Thüringens (VWT) einig: Die Anerkennung der Berufsabschlüsse der Ukrainer dauert zu lange. Laut Landesarbeitsagentur sind es aktuell zwischen sechs und 18 Monate.
Ukrainer kennen es nicht, von Sozialhilfen zu leben. Die sind in der Ukraine sehr gering, davon kann man nicht leben.
Dabei haben nach Angaben des Vereins ukrainischer Landsleute rund 70 Prozent der Ukrainer einen Hochschulabschluss und sind durchaus motiviert, zu arbeiten. "Ukrainer kennen es nicht, von Sozialhilfen zu leben. Die sind in der Ukraine sehr gering, davon kann man nicht leben", erklärt Ilona Mamiyeva, Projektleiterin beim Verein ukrainischer Landsleute.
Die Fraktionen von CDU und AfD sehen im Bezug von Bürgergeld hingegen eine Hürde für die Integration im Arbeitsmarkt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat die Beschäftigungsquoten von Ukrainern im europäischen Vergleich untersucht. "Während häufig vermutet wird, dass die Transferleistungen eine zentrale Rolle für die Beschäftigung spielen, wird diese Hypothese in unserer Analyse nicht bestätigt", so das IAB in seinem Bericht.
Deutschland international im Mittelfeld
Ganz vorne dabei sind Großbritannien, die Niederlande und Litauen mit über 50 Prozent Beschäftigungsquoten. Ganz hinten unter anderem Kroatien, Norwegen und Spanien mit unter 15 Prozent. Deutschland bewegt sich mit knapp 27 Prozent im Mittelfeld.
Für die unterschiedlichen Beschäftigungsquoten hat das IAB verschiedene Erklärungen. Unter anderem hätten die Ukrainer in Ländern mit steigender Arbeitslosigkeit geringere Chancen, eine Anstellung zu finden. Höhere Beschäftigungsquoten gebe es in den Ländern, die gering qualifizierte Arbeitskräfte suchen, so das IAB.
Einen weiteren Zusammenhang gibt es laut IAB-Bericht mit der Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsangeboten. Auch die Fraktionen von Linke und SPD sowie der VWT fordern einen Ausbau der Kinderbetreuung, damit ukrainische Mütter einer Arbeit nachgehen können.
Mehr Sprachkurse für Integration nötig
In einem weiteren Punkt sind sich die Fraktionen, der Wirtschaftsverband und auch der Verein ukrainischer Landsleute einig: Das Angebot der Sprachkurse muss ausgebaut werden. Die Wartezeiten für einen Sprachkurs betragen mehrere Monate bis zu einem Jahr. Laut Ilona Mamiyeva dauert jeder Kurs um die drei Monate. Bis das erforderliche Sprachniveau B1 erreicht ist, vergehen also mindestens neun Monate.
Die Fraktion der Linken merkt dazu an, dass viele Ukrainer auch ohne Deutschkenntnisse arbeiten könnten, aber deutsche Arbeitgeber dahingehend zu unflexibel seien. Laut IAB lohnen sich die Investitionen in Sprach- und Integrationskurse langfristig: "Länder, die anfangs gezielt in Bildung und Spracherwerb investieren, erreichen mittel- und langfristig bessere Integrationsergebnisse. Das gilt nicht nur für die Beschäftigungsquote und Verdienste, sondern auch die soziale Eingliederung insgesamt und die Lebensqualität der Geflüchteten“.
Zu viel Bürokratie behindert Arbeitsaufnahme
Mamiyeva hat noch einen weiteren Punkt, an dem es hakt: Die Bürokratie und die Bewerbungsprozesse. "Diese Hürden, die Bürokratie, der Zugang zum Job, das muss abgebaut werden, das muss einfacher gemacht werden. Warum arbeiten in Rumänien oder in Polen mehr Leute? Weil es dort nicht so bürokratisch und kompliziert ist", sagt Mamiyeva.
Sie schlägt vor, Bewerbungsprozesse verstärkt in die Sprachkurse aufzunehmen und dort Bewerbungsgespräche zu üben. Außerdem fordert sie mehr Jobbörsen für Ukrainer und auch andere Migranten, da der direkte Kontakt zu Unternehmen den Geflüchteten leichter falle.
Höhere Arbeitsquoten mit zunehmender Aufenthaltsdauer
Ein weiterer Faktor kommt hinzu: die Zeit. Viele Ukrainer sind seit nunmehr zwei bis zweieinhalb Jahren in Deutschland. Rechnet man die Zeit von der Ankunft bis zu einer dauerhaften Unterbringung, die Dauer der Sprachkurse und Anerkennungsverfahren zusammen wird schnell klar, dass es noch nicht viel Zeit für die Jobsuche gab. "Dann gab es die Energiekrise, da haben viele Unternehmen niemanden eingestellt, weil sie unsicher waren", sagt Mamiyeva.
Und auch das IAB ist zuversichtlich, dass sich die Beschäftigungsquoten in den kommenden Jahren nach oben verbessern werden: "Die Beschäftigungsquoten steigen für alle Gruppen über die Zeit. Dies deutet darauf hin, dass ein erheblicher Teil der anfänglichen Hürden mit zunehmender Aufenthaltsdauer überwunden werden können“.
Was ist nach dem Krieg?
Alle politischen Fraktionen sind sich einig, dass Thüringen die Ukrainer als Arbeitskräfte gut gebrauchen kann. Sowohl in Handwerk, Pflege, technischen Berufen oder weiteren hochqualifizierten Jobs.
Dennoch hat der arbeitspolitische Sprecher und Landtagsabgeordnete der AfD, Uwe Krell, gemischte Gefühle, was die Investitionen in Ukrainer angeht. "Wenn sich die Ukrainer entscheiden, nach Beendigung des Krieges wieder in ihr Land zurückzugehen, dann haben wir vielleicht auf das falsche Pferd gesetzt oder in jemanden investiert, der uns am Ende tatsächlich nicht zur Verfügung steht. Ich halte es für wenig aussichtsreich auf die Ukrainer als künftige Arbeitskraft hier in Thüringen zu setzen", sagt Krell.
Ilona Mamiyeva vom Verein ukrainischer Landsleute sagt, dass die Überlegungen der Ukrainer, auch nach einem Kriegsende in Deutschland zu bleiben, immer wieder schwanken. Vor allem ältere Menschen hätten ein großes Bedürfnis wieder zurückzukehren, so Mamiyeva. Doch wer die neue Sprache allmählich beherrscht, würde wohl auch künftig den Kontakt nach Deutschland halten, vermutet Mamiyeva.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. Oktober 2024 | 19:00 Uhr
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