Analyse des Landtags "Windindustrie" und "Maßnahmenkritiker": Welche Begriffe im Thüringer Landtag hervorstechen
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20. August 2024, 16:22 Uhr
Parteien wollen mit Sprache überzeugen, angreifen, Wähler mobilisieren, Themen auf die Agenda setzen. Jede Partei bedient sich dazu unterschiedlicher Argumente. MDR Data hat die Landtagsreden der vergangenen fünf Jahre analysiert. Die Ergebnisse zeigen, mit welchen Kernbegriffen Politiker im Thüringer Landtag um die Deutungshoheit ringen.
Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, das wusste schon Immanuel Kant. Was aus dem Mund herauskommt, gibt zumindest in Teilen wieder, was im Kopf passiert. Der MDR hat deshalb alle Reden im Thüringer Landtag aus den vergangenen fünf Jahren gesammelt und mit textanalytischen Methoden ausgewertet.
Der Blick in die Protokolle zeigt: Jede Fraktion verwendet zu denselben Themen unterschiedliche Begriffe. Das Wort Klimaanpassung taucht beispielsweise fast ausschließlich in Reden von Grünen-Politikern auf; Schiefergas ist ein für die FDP-Gruppe charakteristisches Wort und die AfD-Politiker sprechen häufig von Altfraktionen oder linksgrünen Ideologen.
Jeder Fraktion lassen sich einige solcher Stichworte zuordnen, die fast ausschließlich in ihrem Vokabular vorkommen und ihre Reden häufig charakterisieren. Diese Kernbegriffe sind in den untenstehenden Wortwolken abgebildet. Und weil Sprache auch ein Zeugnis des Menschenbilds ist, sagen sie einiges darüber aus, wie die Abgeordneten der sechs im Landtag vertretenen Parteien ticken.
Wie die "Kernbegriffe" in der MDR-Analyse definiert sind
- Als Kernbegriffe sind jene Worte definiert, die seit 2019 mindestens in zehn verschiedenen Redebeiträgen einer Fraktion vorkamen und – hochgerechnet auf den Redeanteil – mindestens zehnmal so häufig wie bei allen anderen Fraktionen zusammen.
- Gemeint sind also Begriffe, die regelmäßig und fast ausschließlich von Mitgliedern einer bestimmten Fraktion verwendet werden. Die Ergebnisse sind nach aussagekräftigen Begriffen gefiltert.
- Je mehr Begriffe eine Wortwolke enthält, desto mehr Kernbegriffe hat die zugehörige Fraktion. Je größer ein Begriff abgebildet ist, desto häufiger taucht er in den Redebeiträgen dieser Fraktion auf.
1. Die Linke: Nachhaltig gegen die Skeptiker
Etwa die Hälfte der vergangenen Legislaturperiode fällt in die Zeit der Pandemie und das zeigt sich auch an den Kernbegriffen der Linken-Politiker, die in ihren Redebeiträgen häufig über Skeptiker und Maßnahmenkritiker sprechen. Ein weiteres wichtiges Themenfeld: die sozialökologische Transformation, die mit Hilfe von Nachhaltigkeitsinvestitionen in regenerative Energien vorangetrieben werden soll.
Dass Lehrerinnenbildung als Kernbegriff auftaucht, liegt vor allem daran, dass die Linke Wörter häufig gendert, während andere Parteien fast ausschließlich von Lehrerbildung sprechen.
2. Die CDU: Technokraten gegen unbesetzte Stellen
Die Kernbegriffe der CDU zeugen von einem technokratischen Duktus: Für Windräder braucht es Vorrangflächen, extremistische Vorfälle finden in Berichtszeiträumen statt und die CDU-Fraktion interessiert sich für Stellenbesetzungsverfahren für unbesetzte Posten in den Thüringer Ministerien. Bei B3, B6 und A16 handelt es sich übrigens nicht um Autobahnen, sondern um Besoldungsgruppen. Was wiederum zeigt, wie sehr sich die CDU im Landtag auf Kritik an der Thüringer Landesregierung bei der Besetzung von Spitzenposten konzentriert hat:
Außerdem vernehmen die Abgeordneten der Konservativen viele Hilferufe: von den überforderten Intensivstationen, von klammen Kommunen und von Bäckereien und Handwerksbetrieben, die über die hohen Energiekosten klagen.
3. Die AfD: Ankläger und Schwarzmaler
Die AfD hat mehr als doppelt so viele Kernbegriffe wie jede andere Partei. Der Wortschatz des als rechtsextremistisch eingestuften Landesverbandes unterscheidet sich deutlich von den anderen Fraktionen im Landtag.
Aufklapper: Was bedeutet rechtsextrem?
Rechtsextreme vertreten einen aggressiven Nationalismus, der Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit abwertet und das eigene Volk überhöht. Ferner lehnen sie die freiheitliche demokratische Grundordnung, ihre Institutionen und deren Repräsentanten ab. Stattdessen schwebt ihnen eine gesellschaftliche Neuordnung nach dem Führerprinzip vor, bei dem die Freiheit des Einzelnen durch das Kollektiv beliebig eingeschränkt werden kann. Zur Durchsetzung dieser Vorstellungen sind Rechtsextreme zu Gewalt bereit oder nehmen diese billigend in Kauf.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung/MDR
Die AfD-Politiker verurteilen sogenannte Altfraktionen, die das Land in einen totalitären Gesinnungsstaat umwandeln wollten. Sie wettern gegen angebliche Zwangsmaßnahmen der linksgrünen Ideologen, die die Schulen gefälligst wieder öffnen sollen. Thüringen wird in den Augen der AfD-Abgeordneten mit Windindustrieanlagen zugebaut – stattdessen brauche es eine Wiederbewaldung.
Auf der einen Seite sehen die Abgeordneten der AfD viel Einsparpotenzial im Haushalt, auf der anderen Seite wird Thüringen kaputtgespart. Und einige Male verweist Björn Höcke darauf, dass der Staat zu einem Raub der Parteien geworden sei.
Bei der AfD fällt eine Häufung an negativen Wörtern auf – vermutlich aus Kalkül: "Rechtsextreme Bewegungen leben von einer Rhetorik der Negativität und überschwemmen ihre Anhänger mit negativ formulierten Themen und Nachrichten", sagte Maja Adena vom Wissenschaftszentrum Berlin kürzlich dem "Spiegel". Gemeinsam mit einem Kollegen hat Adena im Rahmen einer repräsentativen Studie untersucht, wie sich das auf das Wohlbefinden der AfD-Wählerschaft auswirkt.
Das Ergebnis der Analyse: Anhängerinnen und Anhänger der AfD sind unzufriedener mit ihrem persönlichen Dasein und bewerten ihre finanzielle Lage schlechter als jene, die andere Parteien bevorzugen – unabhängig von Bildung oder Einkommen. Und je mehr sie sich mit den Negativ-Parolen der Partei beschäftigen, desto stärker der Effekt. Die AfD "infiziere" ihre Unterstützerinnen und Unterstützer geradezu mit negativen Botschaften, so Adena.
4. Die SPD: Besorgt um die Löhne
Ihren Markenkern als Arbeiterpartei will sich die Thüringer SPD anscheinend erhalten, jedenfalls fordern die Abgeordneten starke Betriebsräte und ein auskömmliches Lohnniveau. Dafür brauche es eine Fachkräftesicherung und eine Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Thüringen.
Statt auf ihre Vorredner zu antworten, halten die SPD-Politiker gerne eine Replik und besonders die Abgeordneten Diana Lehmann und Denny Möller sprechen gerne aus der Perspektive von "uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten".
5. Die Grünen: Alles fürs Klima
Die Grünen sehen viele riesengroße Probleme, allen voran natürlich rund um den Klimawandel: Um ihn zu bewältigen, braucht es aus Sicht der Fraktion zahlreiche Klimaanpassungsmaßnahmen, darunter nicht zuletzt ein klimaneutrales Energiesystem und einen funktionierenden Schienenverkehr inklusive Saalbahn und Werrabahn.
Die Grünen-Abgeordnete Laura Wahl setzt sich häufig für die Belange von queeren Personen ein und ihre Kolleginnen Madeleine Henfling und Astrid Rothe-Beinlich fordern eine Stärkung der Polizeivertrauensstelle, bei der man sich über polizeiliche Maßnahmen beschweren kann.
6. Die FDP: Viel Fokus auf gelbe Energie
Die Abgeordneten der FDP mahnen sehr häufig beispielsweise vor unverhältnismäßigen Ausgangssperren, die "wir als Liberale" natürlich nicht unterstützen könnten. Thomas Kemmerich spricht nicht nur von "Made in Germany" sondern auch von "Made in Thuringia", außerdem arbeiten sich die FDP-Politiker an der Energieversorgung ab: Wind und Photovoltaik seien nicht grundlastfähig, stattdessen solle man mehr über die Gewinnung von Schiefergas nachdenken, und auch die vorschnelle Abschaltung der AKWs bedauert die Fraktion.
Hinweis
Wenn Sie möchten, können Sie sich auch direkt ein Bild von den Reden der Abgeordneten und Ministerinnen und Minister machen. Der Landtag bietet dafür eine umfassende Suchfunktion im Netz an.
In den Analysen kurz vor der Landtagswahl hat sich MDR Data auch damit beschäftigt, wie sich die Spitzenkandidaten der Parteien in den vergangenen fünf Jahren geäußert haben. Oder auch damit, welche Begriffe die Abgeordneten bei den Streitthemen Windkraft und Extremismus benutzen. Diese Recherchen finden Sie hier:
Redaktionelle Mitarbeit: David Straub, MDR THÜRINGEN
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 20. August 2024 | 18:00 Uhr
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