Fakt ist! aus Erfurt Die AfD, die nächste Wahl und ein Beschluss aus Berlin: Die Thüringer CDU in der Zwickmühle

04. Juli 2023, 07:36 Uhr

Thüringens CDU hat einen steilen Absturz in der Wählergunst erlebt. Wie kann sie trotzdem mit einer stärkeren AfD und Berliner Vorgaben gleichzeitig umgehen - nur noch ein Jahr vor der Wahl. MDR Fakt ist! fragt nach.

Es klang etwas wie ein einsames Rufen an diesem Abend. Irgendwann mitten in der Sendung forderte Studiogast Lucas Gürtler mehr Inhalte in der politischen Diskussion. Seit einer halben Stunde werde nur über Politik und Parteien diskutiert, am Montagabend beim MDR-Polittalk Fakt ist! aus Erfurt, stellte Gürtler fest, der mit 29 Jahren bereits Chef der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Fahner Höhe im Kreis Gotha ist.

Doch der Zwischenruf hallte nicht lange nach. Es ging an dem sehr lebendigen Diskussionsabend zwar auch um den massiven Absturz der Thüringer CDU in der Wählergunst von einst an die 50 Prozent auf aktuell knapp über 20 Prozent. Doch handelten die Beiträge auch um die Krise der Volksparteien, um den Umgang mit der immer stärker werdenden AfD und wie eine Partei die Menschen überhaupt noch erreichen kann. Mit Kritik an der eigenen Partei sparten dabei weder die beiden CDU-Vertreter Mike Mohring (Landtagsmitglied, Ex-Landeschef und Ex-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag) und Werner Henning (seit fast 30 Jahren Landrat im Eichsfeld-Kreis) noch die Studiogäste.

Ministerpräsident Bodo Ramelow DIE LINKE im Gespräch mit Dr. Mario Voigt CDU in der 94. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 10. November 2022.
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Die Linke) hat keine Mehrheit im Landtag und ist auf Unterstützung der CDU und Landesparteichef Mario Voigt (l.) angewiesen. Bildrechte: IMAGO/Jacob Schröter

Es ging dabei vor allem um Partei-Strategien, politische Zwänge und den Widerspruch zwischen Bundes-CDU und dem "einfachen Bürger". Konkret wurde es selten, spannend war es trotzdem. Der Jenaer Politik-Wissenschaftler Professor Torsten Oppelland als dritter Talkgast veranschaulichte die politische Zwickmühle der Thüringer CDU: Sie dürfe nicht der AfD zu ähnlich werden, müsse aber den AfD-Wähler ansprechen. Sie will in Thüringen regieren, ist aber als Opposition in einer Minderheitsregierung, die keine Mehrheit im Landtag hat, auch ein bisschen "an der Regierung dran". Das mache es für die Thüringer CDU so schwierig. Glaubwürdigkeitsprobleme inbegriffen.

Wie weit Berlin doch von Thüringen entfernt ist: Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU

Mit Wolfgang Jörgens aus Nordhausen und Jörg Seifarth aus Weida waren sich zwei der CDU zugeneigten Studiogäste in der Analyse einig, warum die Partei so stark an der Wählergunst verloren hatte. Der Kontakt zum Wähler sei verloren gegangen, das Konservative fehle. "Wer in Berlin Brandmauern baut, muss sich nicht wundern", verwies Jörgens auf den in Thüringen eigentlich nicht anwendbaren Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU. Dieser legt fest, dass die Partei weder mit Linkspartei noch mit der AfD eine Koalition bilden darf.

Mohring, selbst im Bundesvorstand der CDU vertreten, versuchte, den Widerspruch des Beschlusses so zu erklären: "Damals" sei der Beschluss richtig gewesen, doch "mit der Lebenswirklichkeit in Thüringen hat das nichts zu tun". Was er meinte: Im kleinen Freistaat gibt es mit AfD und Linke zwei Parteien, gegen die nach den aktuellen Umfragen keine Landesregierung gebildet werden kann. Was das für Folgen für die Thüringer CDU hat, da blieb Mohring allerdings im Allgemeinen. Oppelland wechselte auf die Bundessicht, indem er darauf verwies, dass ein Ende des Beschlusses in anderen (wichtigeren) Bundesländern für die Bundes-CDU durchaus ein Risiko mit großen Folgen darstellen könne.

Gäste aus dem Publikum unterstützten Mohring in seiner Meinung, dass der Beschluss in Thüringen weltfremd sei. Insbesondere gebe es mit Bodo Ramelow einen Ministerpräsidenten der Linkspartei, "der nicht unbedingt schlecht sei", wie es Marion Barthelt aus Mühlhausen formulierte. Sie frage sich, warum die CDU nicht auf ihn zugehe, um Gemeinsamkeiten zu finden. Auch Henning lobte, dass er mit Ramelow in Sachfragen gut zusammenarbeiten könne. Von Mohring gab es auf diese Frage an diesem Abend keine Antwort.

"Aber ich bin Landrat Henning, ich bin nicht die CDU": Die eigene Partei in der Kritik

Nicht mit Kritik an der CDU sparte der seit 1990 immer wieder gewählte Landrat Henning. Nicht nur bestätigte er, dass sich die CDU immer weiter von der Basis entferne. So versuche die Partei, gewählte CDU-Landräte immer mehr zu steuern: "Aber ich bin Landrat Henning, ich bin nicht die CDU."

Doch Henning wurde noch kritischer. "Wenn Parteien keine Antwort haben, können Parteien nur verlieren. Und wenn die Partei nichts mehr taugt, braucht es keine Parteien mehr." Henning kritisierte, dass die Partei nicht allein für sich stehen darf. "Wir müssen überzeugt sein von unseren Ideen. Nur an uns zu glauben, reicht nicht aus. Und so wie es im Moment ist, ist es zu wenig,", sagte der Eichsfelder Landrat. Leider blieb er an dieser Stelle im Ungefähren.

Mohring kritisierte, dass die CDU nicht mehr die Stimmen von linksliberal bis konservativ versammeln würde. "Menschen links und rechts der Mitte müssen akzeptiert werden." Was das genau bedeutet, führte auch er nicht weiter aus. Jedoch hätten für Mohring die einst großen Volksparteien CDU und SPD ihre prägende Kraft verloren. Dazu würden die Bürger kritischer: "Leute wollen weniger Eingriffe in ihr Leben." Sein Mittel dagegen: Parteien müssen "sagen, was sie anders machen wollen. Und dafür auch Lösungen zeigen."

Schließlich gebe es für Mohring einen Glaubwürdigkeitsverlust, wenn Politiker ihre Versprechen nicht einhielten, "wenn Wort und Tat auseinanderfallen", wie er es formulierte. Mohring verwies dabei auf die Bundespolitik: Annegret Kramp-Karrenbauer wurde 2019 Verteidigungsministerin, obwohl sie zuvor erklärt hatte, nicht Ministerin werden zu wollen. Ob Zufall oder nicht: Es war eben jene Kramp-Karrenbauer, die vor der Wahl des FDP-Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten nach Thüringen eilte, um Mohring vergeblich von einer Unterstützung von Kemmerich abzuhalten. Im Anschluss traten beide zurück: Mohring als Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzender und Kramp-Karrenbauer als CDU-Bundesvorsitzende. Auch hier war einiges an politischem Schaden angerichtet.

Für Studiogast Jörgens stand daher fest: Wenn die Partei nicht mehr den Wähler erreiche, mache er dann einfach woanders sein Kreuz. Seifarth ergänzte: Die Wahlkampfsprüche der Parteien seien sich alle ähnlich. Dazu nach der Wahl die Floskeln vom besseren Zuhören und Eingehen auf die Wähler. Aber für den parteilosen VG-Chef Gürtler gab es noch einen anderen Grund, warum die CDU so viel Rückhalt bei den Wählern verloren hat: "Ich nehme die CDU bei mir in der Region nicht mehr wahr."

Der feine Unterschied: Wie mit der erstarkenden Thüringer AfD umgehen?

Eine andere Kernfrage an dem Abend lautete: Wie sollen die Landesparteien mit einer erstarkenden AfD in Thüringen umgehen? Mohrings Ansatz war dabei, dass es einen großen Unterschied ausmache, wenn die AfD einem CDU-Antrag folgt, als wenn CDU einem Antrag der AfD folgt. In Zeiten fehlender Mehrheiten im Thüringer Landtag wäre Ersteres okay, Letzteres ein Dammbruch. Mohrings Begründung: "Wenn es um die Sache geht, muss die Sache im Vordergrund stehen." Wer für die Sache alles stimmt, ist zweitrangig. Eben zur Not auch mit der AfD. Das erinnerte an den Umgang mit Linkspartei oder AfD auf kommunaler Ebene. Doch dazu später.

Beim Umgang mit der AfD setzte Mohring zudem darauf, sich inhaltlich abzugrenzen, sie aber nicht politisch auszuschließen. Er verwahrte sich dagegen, dass er eine "Brandmauer" zur AfD einreißen wolle. Er warnte, dass die versuchte Ausgrenzung der AfD zu einer Unregierbarkeit führen könne - wie bei den neuen Regeln zur Wahl der Parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag. Weil kein AfD-Politiker im Kontrollausschuss des Verfassungsschutzes sitzen soll, seien so hohe Hürden errichtet worden, dass die anderen Parteien Probleme haben, nun eine Mehrheit für ihre Kandidaten zu erhalten. Und wenn die AfD noch weiter zulege bei der nächsten Landtagswahl, könnte sie womöglich alles blockieren, befürchtet der CDU-Politiker.

Doch Mohring kritisierte auch, dass der Umgang mit der AfD in der Vergangenheit falsch gewesen sei - was ja schon die steigenden Zustimmungswerte zeigen würden. Genauer wurde Mohring erneut nicht, verwies nur darauf, dass die AfD ein gesamtdeutsches Problem sei.

Noch schwieriger wird das alles in einer Minderheitsregierung. Doch Oppelland verwies dabei darauf, dass es durchaus erfolgreiche Versuche gegeben habe, ohne eigene Mehrheit zu agieren. So habe es einen Stabilitätsmechanismus gegeben. Eine Absprache zwischen rot-rot-grüner Minderheitsregierung und CDU hatte die Regierungskrise nach dem Rücktritt von Thomas Kemmerich in Thüringen beendet. Für ein reichliches Jahr gab es eine begrenzte Zusammenarbeit, um einen Haushalt zu beschließen oder die schließlich gescheiterten Neuwahlen 2021 vorzubereiten. Auch ein aktuelleres Beispiel, wie es ohne die AfD im Landtag doch geklappt hatte, lieferte Oppelland: Nach langem Ringen konnten sich die rot-rot-grüne Minderheitsregierung im Vorjahr mit der CDU auf einen Kompromiss beim Bau von Windrädern einigen. Auch einen Haushalt konnte der Landtag verabschieden. Doch trotzdem bleiben neue Gesetze ein sehr zähes Geschäft.

Mohring und Studiogast Christian Tanzmeier, CDU-Fraktionsvorsitzender im Sonneberger Kreistag, waren sich schließlich einig, dass eine Strategie der jüngsten Zeit der AfD noch mehr Wähler beschafft habe: Gemeinsame Wahlaufrufe von Linkspartei, Grünen, SPD oder CDU: "Die Menschen hatten die Allparteien-Koalition satt", berichtet Tanzmeier von der Wahl, als erstmals in Deutschland ein Landrat der AfD gewählt wurde. Viele hätten die AfD - obwohl weit rechts - aus Protest gewählt. Und weil die AfD Dinge benenne und damit Menschen erreiche, ergänzte Studiogast Marion Barthelt.

Im Kreistag gibt es keine politischen Mauern mehr

Und wie sieht es mit der AfD und der Linkspartei auf der kommunalen Ebene, also im Kreistag oder im Gemeinderat, aus? Ganz anders als in der Landes- oder Bundespolitik. Darin waren sich die Diskutierenden an dem Abend einig. Denn hier müsse keine Regierung gestützt werden, erklärte Politikwissenschaftler Oppelland. Zwei Studiogäste, die Sonneberger CDU-Kommunalpolitiker Christian Tanzmeier und Uta Bätz, machten es konkret: Im Kreistag, indem sie beide sitzen, gehe es nicht um links oder rechts, sondern es müsse über eine Investition für einen Kindergarten, um einen Radweg, eine Straße entschieden werden. Bätz, die auch CDU-Vorsitzende des Sonneberger Ortsverbandes ist, erklärte: "Wir kommunizieren mit allen Parteien." Auch wenn sie die AfD oder die Linkspartei nicht bei Namen nannte, wurde klar, dass sie eine gemeinsame Abstimmung nicht ausschloss, wenn die Entscheidung "gut und wichtig für Landkreis und Bürger ist".

Tanzmeier wurde noch konkreter: Wenn in einem Kreistagsausschuss ein CDU-Politiker mit einem Kreistagsmitglied von AfD oder Linkspartei sich zu einem konkreten Vorschlag verständigt, sei dies noch lange keine Zusammenarbeit. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU werde also nicht umgangen.

Landrat Henning, durch sein Amt auch Vorsitzender des Kreistages, schilderte ähnliche Erfahrungen aus dem Eichsfelder Kreistag, in dem auch Thüringens AfD-Rechtsaußen Björn Höcke sitzt: "Der Kreistag ist kein Parlament, eher ein Gemeinderat." Und damit kein Ort für Parteipolitik. Damit sei er selbst mit Höcke bisher "gut gefahren".

MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | FAKT IST! aus Erfurt | 04. Juli 2023 | 22:10 Uhr

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