Mario Voigt und Steffen Dittes
Steffen Dittes (Linke) und Mario Voigt (CDU, re. im Bild) liefern sich einen Schlagabtausch im Landtag. Bildrechte: IMAGO/Jacob Schröter

Nach AfD-Erfolg in Sonneberg Warum CDU und Linke streiten statt gestalten

30. Juni 2023, 16:01 Uhr

Während die AfD auf einer Erfolgswelle zu reiten scheint, wirken deren politische Wettbewerber in Thüringen angeschlagen und zerstritten. Linke und CDU, die beiden stärksten Parteien im Landtag, müssten jetzt - mehr denn je - Verantwortung übernehmen. Stattdessen überziehen sie sich gegenseitig mit Vorwürfen. Sonneberg scheint nichts verändert zu haben.

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke dachte gleich größer: Der Wahlerfolg in Sonneberg sei ein "politisches Wetterleuchten über dem Rennsteig". Für ihn ist der erste AfD-Landrat nicht weniger als ein Fanal - ein Zeichen, das das ganze Land sehen und ergreifen soll.

Dass die Wähler ein politisches Amt für die nächsten sechs Jahre lieber dem AfD-Kandidaten anvertrauen als einem seiner drei demokratischen Wettbewerber, ist mehr als nur ein Denkzettel. Vor allem weil die Stichwahl zeigte, dass es CDU, SPD, Linke, Grüne und FDP im ländlichen Bereich nicht mal mehr gemeinsam schaffen, die nach Einschätzung des Verfassungsschutzes rechtsextremistische Partei aufzuhalten.

Was bedeutet rechtsextrem?

Rechtsextreme vertreten einen aggressiven Nationalismus, der Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit abwertet und das eigene Volk überhöht. Ferner lehnen sie freiheitliche demokratische Grundordnung, ihre Institutionen und deren Repräsentanten ab. Stattdessen schwebt ihnen eine gesellschaftliche Neuordnung nach dem Führerprinzip vor, bei dem die Freiheit des Einzelnen durch das Kollektiv beliebig eingeschränkt werden kann. Zur Durchsetzung dieser Vorstellungen sind Rechtsextreme zu Gewalt bereit oder nehmen diese billigend in Kauf.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung/MDR

Die Fehler der anderen

Was aber müssen die politischen Wettbewerber anders machen? Steffen Dittes, der für die Linkspartei im Landtag sitzt, fordert eine Änderung des Politikstils, der sich in den letzten Jahren verschärft habe: "Politische Vorschläge werden sehr schnell verbrämt, personalisiert, zugespitzt und als etwas absolut Unannehmbares dargestellt". Damit meint Dittes nicht seine Partei oder seine Koalitionspartner, sondern die Thüringer CDU, die mit "Habecks Heizungswahnsinn" und dessen "Energiestasi" zuletzt billigen Populismus betrieben habe. "Die CDU geht durchs Land und erzählt die Geschichte vom Bevormundungsstaat und tut damit das, was die AfD schon immer macht. Damit gibt sie diesen Leuten recht und die AfD profitiert", meint Dittes.

Mario Voigt, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag analysiert: "Es ist jeder aufgerufen, in einer Demokratie immer wieder zu prüfen, was er besser machen kann, damit Menschen, die unsere Demokratie ablehnen, nicht Nährboden bekommen." Und dann zieht Voigt über Rot-Rot-Grün her: SPD und Linke hätten bei der Landratswahl rund 20 Prozent der Stimmen verloren und für seine CDU ginge es darum "klarzumachen, dass wir für ein anderes Staats- und Gesellschaftsbild stehen als die Grünen in Berlin. Habeck war der beste Stimmensammler für den Protest in Sonneberg", so Voigt.

Diese Aussagen sind Beispiele für die Geisteshaltung, die sowohl Dittes als auch Voigt an den Tag legen, wenn Sie über die parlamentarische Krise reden, die wir derzeit in Thüringen erleben: Fehler machen in erster Linie die anderen.

Wenig Zusammenarbeit – viel Konflikt

Das führt dazu, dass Thüringen in wichtigen Fragen auf der Stelle tritt. Das zeigt sich auch an dem derzeit wichtigsten Gesetzesvorhaben: dem Haushalt 2024. "Wir haben seit Januar das Angebot an die CDU gerichtet über den Haushalt 2024 zu reden, damit wir im Wahljahr Klarheit haben", sagt Dittes. Doch Gesprächstermine würden von der CDU immer wieder herausgezögert und abgesagt. Stattdessen stellte die CDU im Alleingang am Donnerstag einen "Übergangshaushalt" vor, den Finanzministerin Taubert prompt als "unseriös" vom Tisch wischte.

Woran aber liegt es, dass Minderheitsregierung und CDU nicht mal mehr in essenziellen Fragen wie dem Haushalt zusammenarbeiten? "Die CDU ist gefangen in ihrem Gleichsetzungsschema von AfD und Linke und sie kommen nicht zu der Einsicht, dass es etwas anders ist, mit einer Linken zusammenzuarbeiten, die in Thüringen seit 2014 den Ministerpräsidenten stellt", meint Dittes.

"Da werden linke Legenden gesponnen", entgegnet Voigt. Die Regierung hätte den Haushalt bis zur Sommerpause auf den Weg bringen müssen, aber Rot-Rot-Grün sei sich selbst nicht einig. Ferner sei die CDU im Landtag gesprächsbereit, aber Rot-Rot-Grün dürfe keinen Wahlkampfhaushalt erwarten, der Geschenke verteilt.

Das gelähmte Parlament

Seit dem Ende des Stabilitätsmechanismus im Sommer 2021, den die Rot-Rot-Grüne Minderheitsregierung mit der CDU zur Bewältigung der Regierungskrise 2020 vereinbart hatten, wirkt das Parlament teilweise gelähmt - und das, obwohl es so produktiv ist wie nie zuvor. Ein Blick in die Statistik der parlamentarischen Initiativen (online evtl. noch nicht aktualisiert) im Thüringer Landtag zeigt, dass noch nie so viele Drucksachen (8.245 - Stand 27.6.2023) erarbeitet wurden und noch nie so viele Anfragen gestellt wurden (5.769 - Stand 27.6.2023). Auch die bislang 201 eingebrachten Gesetzentwürfe sind ein rekordverdächtiger Wert für eine Wahlperiode, die noch etwas mehr als ein Jahr läuft.

Das Problem ist, dass noch nie so viele Gesetzentwürfe gescheitert sind. Nur 107 sind bis heute im Landtag verabschiedet worden, also knapp mehr als die Hälfte. Das ist die schlechteste Erfolgsquote aller Landesregierungen seit 1990. Zum Vergleich: Im Durchschnitt aller Regierungen waren zwei Drittel der Gesetzentwürfe erfolgreich. Den Spitzenwert schaffte die Regierung aus CDU und SPD unter Bernhard Vogel mit 83 Prozent. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Das aktuelle Parlament arbeitet viel, leistet aber wenig.

Wie die AfD mit 19 Stimmen die anderen bloßstellt

Währenddessen gelingt es der AfD vereinzelt, das Parlament für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und die anderen Parteien gegeneinander aufzuwiegeln. Das Spielhallengesetz, das die FDP in den Landtag einbrachte, führte vor, wie ohnmächtig die Rot-Rot-Grüne Minderheitsregierung ist, wenn CDU, FDP und AfD sich einig sind. Plötzlich machten die Oppositionsparteien die Regierungsarbeit und erließen ein Gesetz. Dabei nutzte die AfD die Gunst der Stunde. Denn das Gesetz wurde mit 40 zu 32 Stimmen beschlossen. Rot-Rot-Grün hätte das Gesetz also theoretisch verhindern können, wenn ihre Abgeordneten vollzählig gewesen wären.

Ein anderer Fall, in dem die AfD für einen Antrag der Minderheitsregierung stimmte, sorgte ebenfalls für Aufsehen. CDU und FDP hatten einen Untersuchungsausschuss zur Personalpolitik der Landesregierung einsetzen wollen. Rot-Rot-Grün signalisierte Zustimmung, beantragte aber eine kleine Änderung: Der Ausschuss sollte die früheren CDU-Regierungen doch gleich mit untersuchen. Diesem Änderungsantrag stimmte die AfD zu und veränderte damit die ursprüngliche Stoßrichtung des Untersuchungsausschusses, der jetzt nicht nur Linke, SPD und Grüne unter die Lupe nimmt, sondern auch die CDU.

Mit ihren 19 Stimmen im Thüringer Landtag schafft es die AfD also immer wieder politisch wirkmächtig zu werden. Selbst wenn sie keine eigenen Anträge durchbringen kann, so gestaltet sie schon jetzt die Thüringer Politik in einem kleinen Maße mit. Dabei offenbart sie immer wieder medienwirksam, wie zerstritten die übrigen Parteien sind, die sich anschließend gegenseitig mit Anschuldigungen überziehen.

Eine schwere Hypothek für die Demokratie

Das schlechte Bild, das die Demokratie in Thüringen derzeit abgibt, schlägt sich auch in einer aktuellen Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig nieder, die eine tiefsitzende Unzufriedenheit mit dem politischen System festgestellt hat. Demnach sind nur 39,9 Prozent der Thüringer mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Ferner wünschen sich rund 52 Prozent der Menschen im Freistaat eine "starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert". Etwa genauso viele Menschen stimmen antisemitischen und antimuslimischen Aussagen zu.

Mario Voigt, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender der CDU in Thüringen.
Die Wahl in Sonneberg ist verloren und die AfD bereitet nicht nur Mario Voigt (CDU) weiter Kopfzerbrechen. Bildrechte: IMAGO/ari

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass "autoritäre, fremdenfeindliche und rechtspopulismusaffine Einstellungen" bei einem Drittel der Thüringer eine ernstzunehmende Hypothek für demokratische Politik seien. Weiter heißt es: "Die Tendenzen der Erosion demokratischer Kultur und der Gefährdung des demokratischen Zusammenhalts sind in Thüringen greifbar, das Weitererstarken der AfD gleichsam deren Symptom und Katalysator."

Die Crux mit dem Kompromiss

Um Thüringen voranzubringen und die Demokratie in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, müssten die CDU und die Minderheitsregierung wieder stärker zusammenarbeiten. Das wäre beim Haushalt möglich, aber auch bei Bildungs- und Verwaltungsreformen, die ohnehin langfristige Projekte darstellen und damit nicht direkt auf das Konto der nächsten Regierung einzahlen.

Die Crux an der Sache ist, dass beide Seiten vorgeben, genau das zu wollen. So spricht Voigt von der "konstruktiven Opposition", die seine CDU sei und Dittes von "den vielen Zugeständnissen", die Linke, SPD und Grüne gemacht hätten. Der Kompromiss käme wegen dem jeweils anderen nicht zustande, meinen der Linke und der Konservative einstimmig.

Und noch etwas stimmt nachdenklich: Beide Parteien halten an dem klassischen Gegeneinander von Regierung und Opposition fest, wohl wissend, dass die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse Kooperation nötig machen: Dittes sagt, dass bei einer Minderheitsregierung die demokratische Opposition stärker in die Verantwortung genommen werden müsste. "Aber genau mit dieser neuen Rolle, hat die CDU ihre Schwierigkeiten." Wenig überraschend sieht das Voigt völlig anders: "Rot-Rot-Grün hat immer noch nicht verstanden, dass sie eine Minderheit sind in diesem Land und da muss man mehrere Schritte auf eine Opposition zugehen, wenn man was erreichen will."

MDR (ask)

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