Drogen Kritik und offene Fragen: Wie in Thüringen auf die Cannabis-Legalisierung reagiert wird

22. März 2024, 21:23 Uhr

Das umstrittene Gesetz zur Legalisierung von Cannabis-Konsum kann nach Zustimmung durch den Bundesrat wie geplant am 1. April in Kraft treten. Ärzte, Suchthilfe und Familienverbände in Thüringen sehen das Gesetz kritisch oder verweisen auf noch ungeklärte Fragen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht von einem "emotionalen Thema".

Die Reaktionen auf die Teil-Legalisierung von Cannabis fallen in Thüringen sehr unterschiedlich aus. Der Bundesrat hatte das umstrittene Gesetz am Freitag gebilligt.

Justizministerin Doreen Denstädt (Grüne) hat mit dem Gesetz ein Problem. Wie auch die übrigen Länder-Justizminister verweist sie auf die zusätzliche Arbeitsbelastung für die Justiz. Das Cannabis-Gesetz sieht unter anderem eine Amnestie-Regel vor. Danach werden bereits verhängte Haft- oder Geldstrafen wegen der Cannabis-Delikte erlassen, die in Zukunft nicht mehr strafbar sind. In Thüringen ist dabei von 4.500 Fällen die Rede. Vor allem bei Fällen, in denen sich die Urteile aus unterschiedlichen Delikten zusammensetzten, werde das ein Problem. Das Gesetz soll am 1. April in Kraft treten.

Ärzteverband: Jedes Nervengift stört Hirn-Entwicklung

Sehr kritisch sieht der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Thüringen die Teil-Legalisierung. "Jegliche Art von Nervengift stört die Hirn-Entwicklung", sagte Landesverbandsvorsitzende Heike Reichelt, die ihre Praxis in Ilmenau hat. Die Gehirn-Bildung sei in manchen Fällen erst mit 25 Jahren abgeschlossen. Schon beim Rauchen gebe es einen Zusammenhang, dass Kinder von rauchenden Eltern später selber häufiger rauchten als Kinder von Nichtrauchern. Das sei auch bei Cannabis möglich. Zudem werde Cannabis in der Regel geraucht. "Da konsumieren andere über die Luft mit."

In ihrer Praxis gebe es Fälle, in denen Kinder ab zwölf Jahren Alkohol oder Zigaretten konsumierten. Eben weil die legal leicht zu bekommen seien. "Und wir befürchten, dass das bei Cannabis auch so kommt", so Reichelt. Mitunter bekomme sie Entlassungsberichte von jungen Patienten aus Krankenhäusern, die bewusstlos aufgegriffen wurden, weil sie gleich mehrere Drogen auf einmal konsumiert haben - Mischkonsum nennt das die Ärztin. "Noch sind das Einzelfälle, aber wir fürchten, das wird mehr."

Suchthilfe: Aufklärung über Cannabis ist noch wichtiger geworden

Das ist der Grund, warum die Einrichtungen im Trägerverbund der Suchthilfe in Thüringen (SiT) mahnen, dass Hilfsangebote für Süchtige erhalten bleiben und solche Angebote gestärkt werden müssten, die Cannabis-Konsumenten so aufklären, dass sie verantwortungsbewusst handeln. "Ziel ist es, den Konsum von Cannabis sicherer zu gestalten." Besonders Jugendliche müsste Wissen vermittelt werden, um Risiken besser einschätzen zu lernen. Entkriminalisierung könne auch dazu beitragen, dass Konsumenten offener über eine mögliche Sucht sprechen und eher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Aus Sicht der Suchthilfe ist bisher nicht ausreichend geklärt, wie etwa im Fall von Cannabis-Konsum der Mindestabstand zu Schulen oder Kindergärten überprüft werden soll oder ob Sperrzonen gekennzeichnet werden - und ob dort nicht auch Alkohol-Konsum gleich mit verboten werden sollte. Auch beim Umgang von Cannabis-Klubs mit der Abgabe an Jugendliche gebe es noch Fragezeichen.

Verkehrswacht warnt vor Auswirkungen im Straßenverkehr

Kein gutes Haar lässt der Verband kinderreicher Familien in Thüringen an dem Gesetz. Rauchen und Alkohol stifteten schon genug Schaden. Nun komme unnötigerweise eine weitere Droge hinzu. Jens Finger von der Landesverkehrswacht sagte, die Auswirkungen der Droge im Straßenverkehr sei nicht ausreichend erforscht. Einmaliger Konsum oder Langzeitkonsum machten einen Unterschied, es gebe Wechselwirkungen mit Alkohol, die Reaktionsfähigkeit der Betroffenen leide. "Wer kifft, darf nicht Auto fahren", so Finger.

Neben medizinischer Kritik monierte die kassenärztliche Vereinigung Thüringen, dass das Gesetz überhaupt behandelt wurde. "Es ist bedenklich, dass die Legalisierung von Cannabis angesichts der zahlreichen Probleme in unserem Land ein zentrales Anliegen der Ampel-Koalition ist", sagte die erste Vorsitzende Annette Rommel.

Ramelow nennt Kritik am Gesetz teilweise deplaziert

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) sagte, die Kritik an dem Gesetz sei teilweise deplatziert. Am lautesten seien jene Kritiker, die mit Alkohol überhaupt kein Problem hätten. Viel schlimmere Auswirkungen habe in den letzten Jahren der Konsum von Crystal Meth gehabt. Und an diesem Verbot werde überhaupt nicht gerüttelt. Das Thema sei sehr emotional und er hoffe, das sei jetzt abgeräumt.

Die Linke-Fraktion im Thüringer Landtag hält das Gesetz zwar auch nicht für optimal. Aber das sei besser als der Status quo: "Trotz des Ziels einer cannabiskonsumfreien Gesellschaft hat das Verbot weder Angebot noch Konsum verringert, sondern sogar erhöht", sagte Kati Engel, Sprecherin für Suchtprävention in der Fraktion. "Illegale Strukturen und organisierte Kriminalität wurden begünstigt, während Aufklärungs- und Präventionsarbeit behindert wurde. Ein Verbot geht stets mit Tabuisierung einher. Gerade Jugendliche brauchen aber eher ein offenes Ohr anstelle von Bestrafungsangst."

Die AfD hatte bereits vor der Abstimmung vor einer Legalisierung gewarnt. Das Risiko für Jugendliche werde größer, die versprochene Entlastung für Polizei und Justiz werde es nicht geben.


MDR (flog/dr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tage | 22. März 2024 | 18:15 Uhr

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