Eine Mann raucht einen Joint
Das neue Cannabisgesetz wurde am 23. Februar 2024 im Bundestag verabschiedet. Bildrechte: IMAGO / Jochen Eckel

Legalisierung Cannabis-Gesetz-Amnestie: Thüringer Justiz muss Tausende Haft- und Geldstrafen überprüfen

10. März 2024, 16:33 Uhr

Das neue Cannabis-Gesetz soll ab 1. April gelten. Ein Ziel ist es, durch die Teillegalisierung die Justiz künftig deutlich zu entlasten. Doch die fürchtet jetzt vor allem Überlastung, weil sie alte Fälle überprüfen muss.

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Die mit dem neuen Cannabis-Gesetz verbundene rückwirkende Amnestie droht die Thüringer Justiz zu lähmen. Nach Angaben des Justizministeriums müssten Tausende frühere Cannabis-Strafverfahren erneut geprüft werden. Mehrere Bundesländer behalten sich unter anderem wegen der übermäßigen Justizbelastung und Rechtsunsicherheiten vor, im Bundesrat zum Cannabis-Gesetz Änderungen anzubringen und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das könnte die teilweise Legalisierung der Droge verzögern. Die Thüringer Staatskanzlei teilte MDR THÜRINGEN mit, das Regierungskabinett habe sich zum Verhalten im Bundesrat am 22. März noch nicht verständigt.  

Staatsanwaltschaften müssen mehr als 4.500 Fälle sichten 

Laut dem Thüringer Justizministerium haben die Staatsanwaltschaften bislang bereits 4.500 abgeschlossene Strafverfahren identifiziert, die aufgrund des rückwirkenden Straferlasses erneut gesichtet werden müssten. Ministeriumssprecher Oliver Will sagte MDR THÜRINGEN, die Zahl der relevanten Fälle werde jedoch noch steigen. Es gehe um verhängte Freiheits-, Bewährungs- und Geldstrafen. Allein für die "technische Auslese und anschließende Lektüre der Papierakten" sei mindestens eine halbe Stunde je Fall einzuplanen.

Um nur die bereits identifizierten Fälle in einem ersten Schritt zu sichten, wäre ein Mitarbeiter mehr als ein Jahr lang beschäftigt. Elf Mitarbeiter würden dafür rechnerisch fünf Wochen benötigen, wenn sie sich ausschließlich dieser Aufgabe widmeten, so Will. 

Gesamtstrafen für mehrere Delikte neu bewerten 

Ergeben die Akten weitere Hinweise auf einen Straferlass, schließe sich weiterer umfangreicherer Arbeitsaufwand an. Dann müsste im Detail geprüft werden, ob die Tatbestände von den Ausnahmen des neuen Cannabis-Gesetzes gedeckt sind und Haft- oder Geldstrafen zurückzunehmen oder zu senken sind.

Zudem müssten die Gerichte eingeschaltet werden, wenn für mehrere Straftatbestände eine Gesamtstrafe verhängt wurde und nun ein enthaltenes Strafdelikt rückwirkend entfällt.

Wenn das Gesetz am 1. April so kommt, dann stellt das die Staatsanwaltschaft in der Praxis vor kaum lösbare Probleme.

Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen

In erster Linie geht es um Strafverfahren, in denen Haft- und Bewährungsstrafen noch nicht vollständig verbüßt oder Geldbußen noch nicht eingetrieben wurden. Hannes Grünseisen von der Staatsanwaltschaft Erfurt sagte MDR THÜRINGEN, wenn das Cannabis-Gesetz am 1. April so komme, dann "stellt das die Staatsanwaltschaft in der Praxis vor kaum lösbare Probleme". Alle Kollegen seien an dem Thema dran, aber es werde sehr schwierig, erst recht in so einem kurzen Zeitfenster. Grünseisen geht von "sehr vielen Fällen" aus. 

Rückwirkend Abstand zu Spielplätzen ermitteln 

Auch rechnet der Oberstaatsanwalt mit zusätzlichem Ermittlungsaufwand, etwa um die zahlreichen Ausnahmen des neuen Gesetzes abzuprüfen. Gegebenenfalls müsse zum Beispiel rückwirkend geklärt werden, ob Cannabis mindestens 100 Meter entfernt von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Sportstätten konsumiert wurde.

Denn nur dann wäre das nach dem neuen Gesetz - auch rückwirkend - straffrei. Solche Aspekte müssten völlig neu ermittelt werden, weil sie bisher rechtlich keinerlei Rolle spielten, so Oberstaatsanwalt Grünseisen. Dazu gehört auch die neue Gesetzesregelung, die den Konsum von Haschisch und Marihuana in Fußgängerzonen nur zwischen 20 und 7 Uhr morgens erlaubt.   

Zahlreiche Cannabis-Pflanzen wachsen in die Höhe. 1 min
Bildrechte: MDR/Stephan Hönigschmid

Cannabis-Gesetz soll Justiz deutlich entlasten  

Der Bundestag hatte am 23. Februar 2024 mehrheitlich das neue Cannabisgesetz verabschiedet. Es soll ab 1. April gelten und Anbau, Abgabe, Besitz und Konsum der Droge teilweise legalisieren. Unter anderem die mit dem Gesetz verbundene Amnestie-Regelung für Cannabis-Drogendelikte hatte bereits vorab für scharfe Kritik, etwa vom Deutschen Richterbund, gesorgt.

Laut Strafgesetzbuch werden alle noch nicht vollstreckten Strafen erlassen, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar sind. Dabei ist es laut der Gesetzesbegründung der Bundesregierung ein erklärtes Ziel des Cannabis-Gesetzes, die deutsche Justiz deutlich zu entlasten. Das Einsparpotenzial bei den Gerichten wird dabei mit rund 225 Millionen Euro jährlich beziffert, weil dann zahlreiche Strafdelikte mit Cannabis-Bezug nicht mehr verfolgt werden. 

25 Gramm Haschisch oder Marihuana zulässig 

Das Cannabisgesetz in seiner vom Bundestag verabschiedeten Fassung gestattet Erwachsenen künftig den Anbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen in der eigenen Wohnung. Außerdem soll die gemeinschaftliche nicht-kommerzielle Cannabis-Erzeugung in streng regulierten Anbauvereinigungen ermöglicht werden.

Zudem erlaubt das Gesetz Erwachsenen jederzeit bis zu 25 Gramm getrocknetes Haschisch (Cannabis-Harz) oder Marihuana (weibliche Cannabis-Blüten) zum Eigenverbrauch bei sich zu führen. In der eigenen Wohnung wäre die doppelte Drogenmenge straffrei. Die Drogen müssen jedoch vor dem Zugriff vor Kindern und Dieben geschützt aufbewahrt werden.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 18. März 2024 | 22:10 Uhr

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