Faktencheck Falschaussage von AfD-Fraktionschef Urban im sächsischen Landtag?
Hauptinhalt
03. Februar 2023, 20:24 Uhr
In einer Debatte über westliche Waffenlieferungen und den Krieg in der Ukraine am Donnerstag im sächsischen Landtag hat AfD-Fraktionschef Jörg Urban behauptet, in der Ukraine seien alle oppositionellen Parteien verboten. Das aber stimmt so nicht.
In der Landtags-Debatte am Donnerstag hat AfD-Fraktionschef Jörg Urban bestritten, dass mit westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine dort auch europäische Werte verteidigt würden. Als Argument behauptete er dazu:
In der Ukraine sind sämtliche oppositionellen Parteien verboten.
Im Kontext der Rede war dies dann am Donnerstagabend auch im Beitrag des MDR SACHSENSPIEGEL zu sehen und zu hören:
Die Aussage von Urban ist so allerdings nicht richtig, auch wenn in der Ukraine die Opposition seit dem russischen Angriff nicht sonderlich auffällt und es Verbote von Parteien schon vor dem Krieg häufiger gab, so wie auch neue Zusammenschlüsse. Tatsächlich aber gilt ein Dekret des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, das nach der russischen Invasion in seinem Land als pro-russisch eingestufte Parteien verbot, darunter aber auch einige andere, woran auch im Westen umgehend Kritik laut wurde.
Einige der Parteien zogen dagegen vor Gericht, allerdings ohne Erfolg. So sind aktuell die Aktivitäten von zwölf Parteien verboten, von denen einige als pro-russisch gelten.
Daneben traf es aber auch einige regionale und eher linke Parteien, für die das nicht unbedingt gilt.
Auch deshalb sah etwa der Soziologe Volodymyr Ishchenko vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin in der jüngsten Umwandlung erst befristeter Verbote in permanente "ein gewisses Demokratiedefizit". André Härtel von der Stiftung Wissenschaft und Politik hielt das in dieser Kriegslage allerdings für durchaus berechtigt, da von einigen der Parteien tatsächlich die Gefahr ausgegangen sei, "systematisch gegen den ukrainischen Staat zu arbeiten".
Die größte davon, die "Oppositionsplattform für das Leben" hatte bei den Wahlen 2019 im Parlament 44 Sitze gewonnen. Ihr Chef gilt als persönlicher Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, weshalb angenommen wurde, dass sie nach einem möglichen Sturz der ukrainischen Regierung in Folge der russischen Invasion eine führende Rolle hätte spielen sollen.
Opposition kleinteilig und zersplittert
Zur Sache gehört auch, dass die Parteienlandschaft in der Ukraine sehr kleinteilig und zersplittert ist. Neben den Abgordneten von zehn Parteien sind viele unabhängige Mandatsträger und kleinere Parteien mit nur einem Sitz im Parlament vertreten. Von 450 Abgeordneten sind aktuell etwa 421 aktiv.
Davon gehören 240 der Regierungspartei an. Weitere 29 gelten als unabhängig. Auch 25 Abgeordnete der verbotenen "Oppositionsplattform" wurden zuletzt noch immer vom Parlament als Mitglieder genannt.
Der "Oberste Rat" (Werchowna Rada) in Kiew Das Parlament der Ukraine hat 450 Sitze, von denen mindestens 27 zurzeit vakant sind. Die Abgeordneten werden alle fünf Jahre zur Hälfte in regionalen Wahlkreisen gewählt, zur anderen über Parteien-Listen in Verhältniswahl. Das Parlament kann die Regierung per Misstrauensvotum ohne Zustimmung des Präsidenten abberufen. Kritisiert werden jedoch mangelnde Abgrenzungen zwischen Parlament, Präsident und Regierung in der Verfassung.
Laut einer Analyse der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung stehen hinter nicht wenigen der einzelnen Abgeordneten andere mächtige Akteure und sie "durchdringen das Parlament".
Auch das lähmt die Opposition. Diese zeigt aktuell aber vor allem wegen des Kriegs wenig Aktivität gegen die Regierung. Immerhin aber weigerten sich noch im Januar dieses Jahres fast 70 Abgeordnete, einen Appell zu unterzeichnen, den Abgeordneten verbotener Parteien ihre Befugnisse zu entziehen.
Gleichwohl schätzt etwa der Journalist Denis Trubetskoy ein, dass die Opposition wegen des Kriegs nicht opponiert, danach aber wieder eine Rolle spielen werde. Nach einer Einschätzung im "Handelsblatt" arbeitet das Parlament in Kiew nun auch aus Sicherheitsgründen "seit Monaten auf Sparflamme". Dass die Opposition in der Ukraine aber komplett verboten worden sei, stimmt so dennoch nicht.
Der korrupteste Staat Europas?
Darüber hinaus ist auch bei einer weiteren Behauptung von Urban etwas Vorsicht angebracht: "Die Ukraine ist der korrupteste Staat Europas", sagte er noch. Dass Korruption im Land ein Problem ist, wird kaum bezweifelt. Doch hat sich nach Experten-Einschätzung die Lage zuletzt verbessert.
Auch nach Einschätzung von Transparency International macht die Ukraine hier Fortschritte. Lag sie im Korruptions-Index 2021 noch auf Platz 122 von 180, so hat sie sich bis 2022 auf Platz 116 verbessert, liegt mit 33 Punkten im europäischen Vergleich aber weiter auf dem vorletzten Platz. Den letzten hier belegt übrigens Russland – auf Rang 137 mit nur 28 Punkten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 02. Februar 2023 | 19:00 Uhr