Überarbeitung nötig Verfassungsgerichtshof Leipzig: Sächsisches Polizeigesetz teilweise verfassungswidrig
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25. Januar 2024, 18:03 Uhr
Telefonate abhören, Autokennzeichen erfassen und Videoüberwachung an der Grenze: Vor vier Jahren wurde die sächsische Polizei mit mehr Rechten ausgestattet. Die gehen in Teilen aber zu weit, sagt der Verfassungsgerichtshof zum geltenden Sächsischen Polizeigesetz. Das Gericht sah bestimmte Paragrafen als unvereinbar an mit der Sächsischen Verfassung - zum Beispiel die verdeckte Überwachung oder das Datensammeln. Nun liegt das Urteil vor.
- Sachsens Verfassungsrichter lassen das Polizeigesetz trotz kritisierter Punkte bis zu einer Frist weiter gelten.
- Die Richter hatten diverse Regelungen im Sächsischen Polizeigesetz beanstandet.
- Die Kläger der Fraktionen Die Linke und der Grünen haben das Urteil positiv bewertet.
Der Verfassungsgerichtshof Leipzig hat Sachsens Polizeigesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt. Wie die Justizbehörde am Donnerstag mitteilte, hat der Normenkontrollantrag von 35 Landtagsabgeordneten von Linken und Grünen teilweise Erfolg gehabt. Die Kläger sahen den Datenschutz, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Freiheitsreche verletzt. Mit dem Verfahren wollten sie die betreffenden Regeln kippen lassen. Nach dem verbindlichen Urteil muss nun die sächsische Regierung die beanstandeten Punkte überarbeiten.
Der Verfassungsgerichtshof hat die beanstandeten Paragrafen im Polizeigesetz aber nicht ganz gestrichen. Sie seien nur mit der Sächsischen Verfassung nicht vereinbar und fielen teilweise unter den Datenschutz oder das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Dennoch gelten diese Punkte vorläufig weiter, bis der Sächsische Landtag einer Neuregelung zugestimmt hat. Hierfür wurde dem Landtag eine Frist bis Ende Juni 2026 gesetzt.
Diese Punkte im Polizeigesetz hat das Gericht beanstandet (Auszug)
- Verdeckte Überwachungen mit technischen Mitteln auch außerhalb der Wohnung, z.B. mit Videokameras und Abhörgeräten, vor allem wenn sie gebündelt werden (Paragraf 63). Laut Gericht fehlen genaue, klare Vorgaben zu Anlass, Zweck und Grenzen.
- Zu lasche Vorgaben für den Einsatz von Fußfesseln, Aufenthalts- und Kontaktverbote (Paragraf 21).
- Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Personen (Paragraf 64).
- Überwachung der Telekommunikation mit Datenerhebung zum Beispiel des Mailverkehrs (Paragraf 66).
- Identifizierung und Lokalisierung von Handys mit Gerätenummer und Nummern der SIM-Karte mit der Möglichkeit, Bewegungsprofile zu erstellen (Paragraf 68).
- Ausnahmen, nach denen die Polizei Betroffene nicht über deren verdeckte Überwachung informieren muss (Paragraf 74).
- Die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten aus Strafverfahren zur Gefahrenabwehr (Paragraf 80).
Erlaubt: Kontrollen von Autokennzeichen und Handgranaten für SEK
Als zulässig betrachtet hingegen der Verfassungsgerichtshof den Einsatz von sogenannten besonderen Waffen wie Maschinengewehren und Handgranaten durch polizeiliche Spezialeinheiten wie dem SEK. Den Richtern zufolge verstößt der Waffeneinsatz weder gegen die Landesverfassung noch gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch das automatische Erfassen von Kfz-Kennzeichen sowie deren Kontrollen innerhalb und außerhalb des grenznahen Raumes seien verfassungsrechtlich zulässig.
Innenminister Schuster: Werden Gesetz nachschärfen
Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) legte das Urteil nicht negativ aus. "Wir sehen uns im Grundtenor des Gesetzes weitestgehend bestätigt. Keine der beklagten Normen wurde für nichtig erklärt", betonte er am Donnerstagabend. Der CDU-Politiker kündigte an, das Polizeigesetz an den geforderten Stellen nachzuschärfen. Die lange Frist gebe seiner Behörde eine gute Möglichkeit, die Absicht des Gerichts umzusetzen.
Positive Reaktionen aus dem Sächsischen Landtag
Die Kläger-Fraktionen reagierten am Donnerstag positiv auf das Urteil: "Ich werte die Entscheidung des Gerichts als Sieg für die Bürgerrechte der Menschen in Sachsen", sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Rico Gebhardt. Das Urteil zeige dem Gesetzgeber klare Grenzen auf: "Die Polizei braucht zeitgemäße, aber stets verhältnismäßige Instrumente." Der innenpolitische Sprecher der sächsischen Grünen, Valentin Lippmann, geht indes von "einem erheblichen Änderungsbedarf" aus.
Die Polizei braucht zeitgemäße, aber stets verhältnismäßige Instrumente.
Wozu ist der Sächsische Verfassungsgerichtshof da?
- Er fällt Urteile zur sächsischen Landesverfassung. Dazu gehören Streitigkeiten über einzelne Paragrafen, Wahlergebnisse oder über die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes wie des Polizeigesetzes mit der Sächsischen Verfassung.
- Die Entscheidungen des mit neun Richterinnen und Richtern besetzten Gerichtes sind bindend für den Landtag, die Landesregierung und für sächsische Behörden und Gerichte.
Quellen: www.verfassungsgerichtshof.sachsen.de, www.jura.uni-leipzig.de
Das von Sachsens früherem Innenminister Roland Wöller (CDU) initiierte Gesetz gilt seit Januar 2020. Es räumt der Polizei mehr Rechte ein, etwa beim Abhören von Telefonen und bei der automatisierten Erfassung von Autokennzeichen. Bei der Videoüberwachung in Grenznähe erlaubt es in begrenztem Maße einen Datenabgleich via Gesichtserkennung. Die Landesregierung wollte damit auf neue Herausforderungen wie Terrorismus, grenzüberschreitende Kriminalität und Internetkriminalität reagieren.
MDR (wim)/dpa/afp
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 25. Januar 2024 | 19:00 Uhr