Stadtgeschichtliches Museum Neue Schau in Leipzig erkundet NS-Raubgut im eigenen Bestand
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23. Oktober 2024, 10:01 Uhr
Kunst mal anders betrachten – nicht als Liebhaber, sondern als Provenzienforscher. Das ermöglicht eine neue Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. Die Schau "Das fehlende Puzzleteil – Objekte, Herkunftsgeschichte, Schicksale" zeigt, durch welche Hände die Kunstobjekte des Museums bereits gegangen sind und welche Schicksale, vor allem mit Blick auf die NS-Zeit, hinter den Kunstwerken stecken. Besucherinnen und Besucher können sich dabei selbst als Forscher ausprobieren.
- Die Ausstellung "Das fehlende Puzzleteil" lässt Besucher zu Provienzforschern werden.
- Fünf Jahre Forschungsarbeit stecken in der Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.
- Nicht alle Geschichten hinter den Kunstwerken können abschließend geklärt werden.
Mitten in der Ausstellung steht ein großer Touchscreen, der die Besucherinnen und Besucher selbst zum Provenienzforscher werden lässt. Auf dem Screen sieht man Kunstwerke, die auch in der Ausstellung hängen, nur mit dem Unterschied, dass man sie haargenau untersuchen kann. Durch Heranzoomen und Anklicken winziger Details erschließen sich dem Museumsbesucher interessante Informationen über die Historie der Gemälde. Vor allem deren Rückseiten sind besonders spannend für die Provenienzforschung.
Ausstellung in Leipzig macht Gäste zu Forschern
Auf der des Ausstellungsstücks "Le Pardon" beispielsweise fällt direkt ein kleiner zerrissener Papierschnipsel ins Auge. Er ist krakelig mit Kuli beschrieben. Die Jahreszahl 1970 lässt sich entziffern und Fragmente der Firma "Hermann Reinhardt, Spedition und Lagerungsgeschäft Leipzig" sind erahnbar.
Für Ausstellungskuratorin und Provenienzforscherin Lina Frubrich ist das Papierstück sehr aufschlussreich. Nach etwas Recherche liefert es ihr erste Informationen über den Verbleib des Gemäldes. Sie vermutet, dass es bei der Leipziger Firma in den 1970er-Jahren eingelagert oder von ihr transportiert gewesen sein muss.
Fünf Jahre Forschungsarbeit in Leipziger Ausstellung
Das interaktive Forschungsspiel lässt den Besucher ansatzweise nachempfinden, wie detailliert die Forscherin in den letzten fünf Jahren gearbeitet haben muss. Mit ersten bruchstückhaften Anhaltspunkten hat sich Lina Frubrich anschließend durch Akten und Archive gewühlt. Rund 400 Objekte aus dem Museumsfundus konnte sie so bisher untersuchen. Gut 50 davon sind jetzt in der Ausstellung zu sehen, wie zum Beispiel der "Fall Sonntag".
Carl Sonntag war mit einer Jüdin verheiratet. Sie und ihre drei Kinder wurden in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt. Zuvor war Carl Sontag zu viel Reichtum gelangt, weil er künstlerische Einbände für Bücher gestaltete. Damit hat er eine große Bibliothek und eine Kunstsammlung aufbauen können. Er ist zwar vor 1930 verstorben, aber seine Frau wurde aufgrund ihres jüdischen Glaubens verfolgt und ist circa 1940 in die USA emigriert.
Daraufhin sind die Besitztümer der Familie beschlagnahmt und in Leipzig versteigert worden. Das Stadtgeschichtliche Museum hat aus der Versteigerung neun Grafiken erworben und nun ausgestellt. Aber auch das Museum der Bildenden Künste und die Stadtbibltiothek besitzen noch Werke aus Sonntags Sammlung.
Die Nachfahren der Familie Sonntag konnte Lina Frubrich mittlerweile in Österreich ausfindig machen. Sie gaben ihr Einverständnis, dass das Stadtgeschichtliche Museum die Grafiken weiter ausstellen darf.
Provenienzforschung an ihren Grenzen
Nicht immer können Nachforschungen wie im "Fall Sonntag" abgeschlossen werden, denn oftmals fehlen ausreichend Hinweise. Das liege häufig an der Quellenlage, erklärt Lina Frubrich. Vieles sei nicht mehr überliefert oder Nachfahren nicht mehr auffindbar. Schlussendlich müsse dann ein Objekt mit einer bedenklichen Provenienz eingestuft werden. Viele davon befinden sich auch in der Ausstellung.
Kunstwerke mit bedenkliche Provenienzen möchte das Museum auch künftig für seine Gäste kenntlich machen. Bis dahin gibt die angenehm überschaubare Ausstellung "Das fehlende Puzzleteil" einen Einblick in den aktuellen Stand der Provenienzforschung und erinnert gleichzeitig an Opfer des Nationalsozialismus.
Informationen zur Ausstellung:
"Das fehlende Puzzleteil
Objekte, Herkunftsgeschichten, Schicksale"
23.10.2024 – 13.4.2025
Adresse:
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Haus Böttchergäßchen
Böttchergäßchen 3
04109 Leipzig
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, Feiertags: 10 bis 18 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: td,lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Oktober 2024 | 10:15 Uhr