Kohleausstieg Wasserknappheit: Flutung geplanter Tagebauseen bei Leipzig wird schwierig

07. April 2024, 05:00 Uhr

Spätestens in gut zehn Jahren soll Schluss sein mit dem Kohleabbau südlich von Leipzig. Entstehen soll stattdessen das größtes Gewässer im Neuseenland. Das Wasser für die Flutung soll auch aus nahe gelegenen Flüssen kommen. Aber reicht es?

Der am Aussichtspunkt des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain steht, blickt in ein riesiges Loch. Gewaltige Bagger graben sich in den braun-schwarzen Boden und kippen ihn auf Laufbänder. Später wird die gewonnene Kohle im nahen Kraftwerk Lippendorf verbrannt. Über dem Aussichtspunkt weht die Fahne des Bergbauunternehmens Mibrag, das dort noch jahrelang Kohle abbauen will. Auf einer Schautafel wirbt die Mibrag damit, dass die rekultivierten Bergbauflächen "zahlreichen Tier- und Pflanzenarten neuen Lebensraum und den Menschen Möglichkeiten zur Erholung" bieten sollen. Daneben sind auf einer Karte die Seen eingezeichnet, die einmal entstehen sollen.  

Geplant ist derzeit, dass in dem Tagebau, zu dem die Abbaufelder Schleenhain und Peres gehören, noch bis ins Jahr 2035 Braunkohle abgebaut wird. Dann soll – so zumindest der Plan – aus einem Teil des ehemaligen Tagebaus der Pereser See entstehen. Dieser See soll mehr als zwölf Quadratkilometer groß werden – und damit alle bisherigen Gewässer im Leipziger Neuseenland übertreffen. Dazu kommen zwei weitere, kleinere Seen: einer, der entweder Groitzscher oder Käferhainer See heißen wird und der Neukieritzscher See als sogenannter Restsee.  

Nach bisherigem Plan soll der Pereser See bis Mitte des Jahrhunderts vollständig geflutet werden. Dann könnten auch um dieses Gewässer herum Naherholungsgebiete wie am Cospudener, Markkleeberger oder Zwenkauer See entstehen. 

Warnung vor Wassermangel 

Die Dürren der vergangenen Jahre stellen diese Planungen nun aber in Frage. Experten und Politiker warnen vor einem möglichen Problem: Wassermangel. Volkmar Zschocke ist Landtagsabgeordneter der Grünen in Sachsen und umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er sagt, gerade in einem attraktiven Großraum wie Leipzig wachse der Wasserbedarf für Bevölkerung und Unternehmen. Gleichzeitig brauche auch der dortige Auenwald viel Wasser.

Nun würde noch der Bedarf für die geplanten Seen dazu kommen. "Und wenn man sich diese ganzen steigenden Bedarfe anschaut, dann sieht man schnell, dass bereits heute dafür das Wasser nicht mehr vorhanden ist", sagt Zschocke.

Reicht das Wasser für die Flutung der Seen? 

Die Frage ist also: Reicht das Wasser, um in den kommenden Jahrzehnten riesige Kohlelöcher mit Wasser volllaufen zu lassen? Für die Tagebaue Vereinigtes Schleenhain und den Tagebau Profen an der Grenze zu Sachsen-Anhalt geht Andreas Berkner insgesamt von einem Wasserdefizit von 1,6 Milliarden Kubikmetern aus – Wasser, was für die Flutung der Kohlelöcher benötigt wird.

Eine Karte zeigt Seen im Leipziger Umland und Sachsen-Anhalt 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Berkner leitet den Regionalen Planungsverband Westsachsen und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Rekultivierung von ehemaligen Tagebauen. Die Zahl von 1,6 Milliarden Kubikmetern Wasser verdeutlicht Berkner mit einem Vergleich: "Die größte Talsperre Deutschlands ist nach wie vor die Bleilochtalsperre an der Saale. Und das Volumen, über das wir reden, entspricht etwa dem Siebenfachen der Bleilochtalsperre."

Keine Alternative zur Tagebau-Flutung

Eine Alternative zur Flutung der Seen gibt es für Berkner nicht. Zuschütten könne man die Löcher wegen der enormen Masse, die dafür nötig wäre, jedenfalls nicht. Und sobald die Pumpen in den Tagebauen abgestellt würden, füllten sich die Löcher ohnehin mit Wasser, sagt er. Die Frage sei nur, wie lange das dauere. Solange die Seen nicht mit Wasser gefüllt seien, müsse die Böschung stabilisiert werden.  

Doch Berkner rechnet damit, dass nur rund 40 Prozent des künftigen Sees mit Grundwasser und sogenanntem Sümpfungswasser – also dem aus dem Tagebau abgepumten Grundwasser – aufgefüllt wird. Bisher konnten die neu entstehenden Seen mit Sümpfungswasser aus den noch aktiven Tagebauen geflutet werden. Doch das geht bei den letzten Tagebauen nicht mehr. 60 Prozent des Wassers für die neuen Seen müsste laut Berkner deshalb aus Flüssen zugeleitet werden.  

Kein Wasser aus Elster und Pleiße 

Im bisherigen Entwurf des Braunkohleplans aus dem Jahr 2022 für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain heißt es noch, dass das Wasser für die Flutung aus der Weißen Elster sowie aus der Pleiße über das Pumpwerk Sermuth, die Überleitungsstrecke zur Eula und den Speicher Witznitz kommen soll. Berkner sagt inzwischen aber: "Wir können klar sagen, dass die Flüsse, die in unmittelbarer Nähe liegen – also die Pleiße und die Weiße Elster – das Dargebot nicht haben, um die Flutung in dem Zusammenhang zu gewährleisten."

Berkner verweist insbesondere auf Mulde und Saale als Alternativen. Für eine Überleitung könne man auf bereits bestehende Infrastruktur zurückgreifen. Allerdings gebe es technische und ökologische Grenzen, wie viel Wasser auf diesem Weg zugeleitet werden kann. Insbesondere mit Blick auf mögliche neue Ansiedlungen von Folgeindustrien mit hohem Wasserbedarf zeigt sich Berkner daher skeptisch. Berkner sagt, solange die Flutung laufe, könnten weitere Wassernutzungswünsche nicht berücksichtigt werden. "Wir müssen Prioritäten setzen in diesem Zeitraum und das wird einen Zeitraum von etwa 15 Jahren umfassen", sagt er. 

Denn um zwei Meter pro Jahr soll das Wasser in den künftigen Seen ansteigen, erklärt Berkner. Grundwasser fließt zwar ohnehin in die Restlöcher, sobald die Pumpen der Tagebaue abgestellt werden. Doch ohne zusätzliche Flutung dauere das extrem lange, betont auch Carsten Drebenstedt, Professor für Bergbau-Tagebau an der TU Freiberg. Zudem solle eine gezielte schnellere Flutung die Böschungen stabilisieren und die Wasserqualität erhöhen.  

Wasserbedarfe für Sachsen sollen bald vorliegen 

Doch woher genau welche Mengen Wasser aus nahe gelegenen Flüssen in die Tagebau-Restlöcher fließen dürfen, muss noch erarbeitet werden. Uwe Müller vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie verweist auf laufende Berechnungen, wie sich der Wasserhaushalt in Sachsen entwickeln wird – auch mit Blick auf klimatische Veränderungen wie stärkere Verdunstung und weniger Niederschläge.

Trinkwasserversorgung hat die oberste Priorität. Der muss alles andere untergeordnet werden.

Uwe Müller Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie

Ende des Jahres sollen die Ergebnisse für ganz Sachsen da sein, Mitte des Jahres bereits Wassermodellierungen für das Mitteldeutsche Revier. Erst wenn man wisse, was verfügbar ist, könne man über die Verteilung sprechen, sagt Müller. "Trinkwasserversorgung hat die oberste Priorität. Der muss alles andere untergeordnet werden. Und dann ist es ein gesamtgesellschaftlicher Abwägungsprozess, welche Nutzung man zulässt. Wir wollen ja auf alle Fälle sicherstellen, dass keine Übernutzung stattfindet."

Kohleausstieg schon früher? 

Die Zeit drängt, denn eigentlich soll im Jahr 2035 mit der Abbaggerung im Tagebau Vereingtes Schleenhain Schluss sein. Aber vielleicht stellen die Kohlebagger ihre Arbeit auch schon früher ein. Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag festgehalten, dass der Kohleausstieg "idealerweise" auf 2030 vorgezogen werden soll. Fachleuten zufolge könnte die Kohleverstromung bis dahin unrentabel werden. Darauf verwies auch das Umweltbundesamt zuletzt in einem Bericht.  

Grünen-Politiker Zschocke macht deshalb Druck und fordert, dass das wasserwirtschaftliche Gesamtkonzept nun zügig entwickelt werde. Er will zudem, dass die Funktion der Seen neu diskutiert wird. Es stelle sich die Frage, "inwiefern die Bergbaufolgeseen künftig zum Beispiel auch eine viel stärkere Speicherfunktion bekommen, um zum Beispiel in langen Trockenphasen, die wir gerade in den letzten Jahren erlebt haben, dazu dienen, den Mindestabfluss für die Gewässer im Südraum Leipzig sicherzustellen, also um zum Beispiel auch sicher zu stellen, dass der Auwald nicht austrocknet". Doch dann veränderten sich auch die Nutzungsmöglichkeit der Seen, sagte Zschocke. Der gesamte Gewässerverbund im Raum Leipzig müsse neu simuliert und gesteuert werden, um sich auf Klimaveränderungen einzustellen. In der Lausitz wird schon länger über die Speichermöglichkeiten der Seen nachgedacht – nun könnte es auch im Leipziger Neuseenland soweit sein.  

Zschocke fordert zudem, auch die Verdunstung der Seen in den Blick zu nehmen – helfen könnten dabei etwa Solaranlagen auf den Seen. Und noch etwas betont der Grünen-Landtagsabgeordnete: Man müsse schauen, wer die Kosten für die Wasserkonzepte trage. "All das, was hier ansteht, wird teuer. Das wird richtig teuer. Das trifft die Wirtschaft, die Landwirtschaft, die Wasserversorgung, die Kommunen. Und das übersteigt dann auch die Belastungsfähigkeit der Kommunen." Darum fordert Zschocke, die Bergbauunternehmen nicht aus der Verantwortung zu lassen.

MDR (lg)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 07. April 2024 | 19:30 Uhr

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