Nach Kampagne Arbeiterkind aus dem Osten: Linker Nam Duy Nguyen mit Direktmandat im Landtag
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11. September 2024, 05:00 Uhr
Die Linken haben bei den Landtagswahlen zwei Direktmandate geholt. Dank der Grundmandatsklausel ziehen sie damit in den sächsischen Landtag ein, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind. Der Verein Campact startete im Vorfeld der Wahl einen Aufruf zum taktischen Wählen, unter anderem für Nam Duy Nguyen, den Wahlsieger im Leipziger Süd-Osten. MDR SACHSEN-Reporter Konstantin Henß hat mit ihm gesprochen.
Das Zentrum-Südost ist laut der Internetseite der Stadt Leipzig ein eher gemischtes Viertel. Hier gibt es neben Wohnvierteln auch Gewerbegebiete und Teile der Universität. Mein erster Eindruck bestätigt das. Auf dem Weg zur Tarostraße fahre ich an Autozentren, Wohnblocks und verschiedensten Geschäften vorbei.
Bei den vergangenen beiden Landtagswahlen 2019 und 2014 ging dieser Wahlkreis an die CDU. Doch nicht dieses Jahr. 2024 holt sich hier die Linke das Direktmandat. Der Gewinner des Wahlkreises Leipzig 1 wird als der "Retter der Linken", der erste nicht-weiße Landtagsabgeordnete Sachsens, das "Arbeiterkind aus dem Osten" betitelt. Doch wer ist Nam Duy Nguyen?
"Ich bin durch und durch Ossi"
Nguyen ist in Dresden geboren, in Freital aufgewachsen und hat die meiste Zeit seiner Jugend in Riesa verbracht. Als Kind einer vietnamesischen Vertragsarbeiterfamilie zu DDR-Zeiten sei seine Kindheit und Jugend von Umzügen geprägt gewesen. Sein Vater war erst Vertragsarbeiter und habe sich dann nach der Wende mit einem Blumenladen und Zeitungskiosk selbstständig gemacht. Er berichtet von einer schönen Kindheit, wenn auch von Armut geprägt. Für einen Urlaub habe es trotz der harten Arbeit seiner Eltern nie gereicht.
Diese Zeit habe den 28-Jährigen sehr geprägt. Erfahrungen, die seiner Aussage nach auch viele andere Sachsen machen würden, egal ob Menschen aus eingewanderten Familien oder nicht: Jahrelang arbeiten, aber zum Leben reicht das Gehalt nicht.
Obwohl meine Eltern immer geschuftet haben, hat es nie für einen Urlaub gereicht. Wir mussten immer viel sparen.
Ostdeutschland braucht eine starke Linke
Während seiner Studienzeit erlebt Nam Duy Nguyen viele Demonstrationen und Proteste mit. Besonders "Pegida" sei damals für ihn ein großes Thema gewesen. Er habe aus Riesa vor allen Dingen Rechte mit Springerstiefeln gekannt, klassische Nazis von der NPD. Als dann "normale Menschen" gegen Geflüchtete auf die Straße gegangen seien, habe ihn das entsetzt.
Aber zum ersten Mal vermeintlich normale Menschen zu sehen, die massenhaft auf die Straße gehen und gegen Muslime gehetzt haben, das hat mir echt zugesetzt.
Auch Nguyen musste sich gezwungenermaßen schon früh in seinem Leben mit Rassismus auseinandersetzen. Nicht zuletzt deshalb entschied er sich Flagge zu bekennen und politisch aktiv zu werden. Seine Wahl fiel dabei auf die Linke. In seinen Augen die einzige Partei, die immer nah an den Leuten sei, die wenig Geld hätten. Eine Partei, die nicht käuflich sei und keine Unternehmensspenden annehme.
Campact und das taktische Wählen
Verfolgt man die Nachrichten rund um Nam Duy Nguyen, wird man früher oder später über die Zahl 25.000 Euro stolpern. So viel Geld hat der niedersächsische Verein Campact an ihn gespendet, mit dem Ziel die Sperrminorität der AfD dadurch zu verhindern. Und das mit Erfolg. Die Linke gewinnt in Leipzig zwei Direktmandate. Durch die damit greifende Grundmandatsklausel zieht sie in den sächsischen Landtag ein.
Felix Kolb, Vorsitzender von Campact, ist der Auffassung dass deren Kampagne einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung der Sperrminorität geleistet hat. In den vier Wahlkreisen, die sie mit ihrer Kampagne in den Blick genommen haben, würden die Erststimmenergebnisse der Parteien stark von den Zweitstimmen abweichen, teilte er mit. Seiner Meinung nach sei dies ein Zeichen dafür, dass viele Menschen dort strategisch gewählt hätten.
Sperrminorität
Für bestimmte Entscheidungen und Wahlen in einem Landtag ist eine Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten notwendig. Dazu zählen unter anderem Gesetze, die die Landesverfassung ändern, die Besetzung von Richterposten am Landesverfassungsgerichtshof oder von Stellen am Landesrechnungshof.
Wenn eine Partei mehr als ein Drittel der Sitze in einem Landtag hat, hat sie die sogenannte Sperrminorität erreicht. In Sachsen entspricht das 41 von 120 Sitzen. Die Partei kann dann diese Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit blockieren bzw. im Vorfeld erschweren und so Druck auf die anderen Parteien ausüben.
Bundeszentrale für politische Bildung
Viele Pressevertreterinnen und –vertreter sehen die Campact-Zahlung kritisch. Auch Nguyen findet differenzierte Worte zum Thema. Er erzählt, dass er die Unterstützung von Campact grundsätzlich begrüßt hat. Seiner Auffassung nach sei nichts verwerfliches daran, wenn eine ziviligesellschaftliche Organisation wie Campact demokratische Akteure dabei unterstützen möchte, den Wahlkampf gegen die AfD zu gewinnen.
Ich finde ich es richtig, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen Flagge bekennen und sagen: (...) wir möchten demokratische Akteure dabei unterstützen, dass sie in den politischen Systemen erhalten bleiben, im Parlament erhalten bleiben.
Doch als studierter Politikwissenschaftler stehe er taktischem Wählen eher kritisch gegenüber. Er würde die Menschen immer dazu aufrufen, das zu wählen, was sie inhaltlich vertreten. Doch wenn es darum gehe Faschisten zu verhindern, könne taktisches Wählen ein notwendiges Übel sein.
Des Weiteren hätte er sich gewünscht, das Campact die gesamte Linke unterstützt hätte, wie sie es Thüringen mit den Grünen getan hat. In seinen Augen hätte das dazu führen können, dass andere linke Direktkandidaten wie zum Beispiel Marco Böhme im Leipziger Westen noch besser hätten abschneiden können.
Eine Finanzspritze für seinen Wahlkampf
Nach den Aussagen Nguyens ist das gesamte Geld von Campact in seinen Wahlkampf geflossen. Gerade als Newcomer sei das hilfreich gewesen: für seine Wahlkampfhelfer, Räumlichkeiten, Plakate und so weiter. Er habe nicht die gleichen finanziellen Mittel wie die etablierten Parteien in seinem Wahlkreis, die unter anderem auf Diäten der Abgeordneten zurückgreifen könnten.
Doch die Kosten und der zeitliche Aufwand seien dennoch da. Nguyen berichtet, dass er während des Wahlkampfs mit Hilfe von über 300 Helferinnen und Helfern an mehr als 50.000 Wohnungen geklingelt habe. Dabei seien in etwa 14.000 Gespräche zustande gekommen.
Campact-Spende eine Art "Nachteilsausgleich"
Seiner Auffassung nach sei die Campact-Spende als eine Art "Nachteilsausgleich" im Gegensatz zu den etablierten Parteien in seinem Wahlkreis zu sehen. Inhaltlich, so erzählt er, habe Campact bei seiner Kampagne allerdings nichts mitzureden gehabt. Das sei seine Bedingung für die Annahme der Spende gewesen.
Ob man das jetzt als fair oder unfair bezeichnet, muss ich auf jeden Fall sagen, dass in der Parteienlandschaft so viele Unternehmen ihre Finger im Spiel haben. Da ist tatsächlich die Linke das einzige weiße Blatt, das sich da nicht von Lobbyisten einspannen lässt.
Wie groß der Einfluss der Kampagne von Campact auf sein Wahlergebnis war, ist nur schwer nachzuvollziehen. Nguyen ist jedoch selbstbewusst genug zu sagen, dass die Menschen ihn vor allen Dingen gewählt hätten, weil sie seinen Wahlkampf überzeugend fanden.
In Gesprächen zum Beispiel an Infoständen oder während des Haustürwahlkampfs sei die Finanzspritze seiner Aussage nach selten Thema gewesen. Auch die Tatsache, dass Campact aus Niedersachsen und eben nicht aus den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern kommt, sei kaum zur Sprache gekommen.
Die Linke neu aufstellen
Nguyen ist sich sicher, dass größtenteils seine Kampagne und seine politischen Überzeugungen zu seinem Wahlsieg geführt haben. An anderen politischen Akteuren wie zum Beispiel des BSW der ehemaligen Linken Sarah Wagenknecht möchte er sich nicht abarbeiten. Seiner Meinung nach tue seine Partei gut daran, auf sich selbst zu blicken und herauszufinden, weshalb sie nicht die Antworten auf die Unzufriedenheiten vieler Leute gefunden haben.
Er möchte, dass mehr Menschen selbst wieder aktiv werden und die Anliegen eben dieser in den Vordergrund der Politik gestellt werden.
Viele Menschen glauben, dass sich der Zustand, der aktuell für den Frust sorgt, nicht mehr ändern wird. Und das ist ein großes Problem, welches wir angehen müssen.
Doch auch ihm ist bewusst, dass sein Mandat von heute auf morgen keine Veränderung herbeiführen wird. Dennoch brauche es seiner Auffassung nach eine starke Linke, besonders in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern. Dort, wo die Linke in den letzten Jahren viel Vertrauen verspielt habe.
MDR (koh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 02. September 2024 | 19:00 Uhr