Enger Zeltinnenraum mit Gegenständen am Boden und Kleidern, die an der Decke hängen
Leben auf engstem Raum in einer Leipziger Notunterkunft für Geflüchtete: Flüchtlingsrat, Bewohner und Mitarbeiter kritisieren die Zustände in der Unterkunft. Bildrechte: Sächsischer Flüchtlingsrat

Sächsischer Flüchtlingsrat Kritik an Zuständen in Leipziger Notunterkunft für Geflüchtete

26. April 2024, 16:34 Uhr

Leipzig fehlen Unterkünfte für Geflüchtete. Das Problem ist seit langem bekannt - die Stadt hat Notunterkünfte in großen Zelten einrichten lassen. Wie die Menschen darin leben, darüber ist wenig bekannt. Nun hat sich der sächsische Flüchtlingsrat ein Bild davon gemacht und erhebt schwere Vorwürfe. Wir wollten wissen: Was ist da dran?

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Der Online-Artikel des Flüchtlingsrats beschreibt, wie Geflüchtete in Leipziger Notunterkünften leben: Ihr Zuhause sind demnach über viele Monate kleine, durch dünne Holzwände getrennte Räume. Statt Türen haben diese Zimmer nur Plastikvorhänge. Nach oben hin sind sie offen - man sei ständig dem Lärm der Gemeinschaft ausgesetzt. Die Zelte seien im Winter nicht ausreichend beheizt worden, so dass die Menschen vor Kälte nicht hätten schlafen können.

Großer Zeltinneraum mit dünnen Abtrennungen und Plastikvorhängen als Türen
Dünne Wände und Plastikplanen statt Türen - so sehen die Zelte der Notunterkunft von innen aus. Bildrechte: Sächsischer Flüchtlingsrat

Betrieben wird die kritisierte Notunterkunft von einer Firma aus der Gastronomie - die außerdem für eine Gemeinschaftsunterkunft und drei weitere Notunterkünfte für Geflüchtete in Leipzig verantwortlich ist.

Mitarbeiter: Zustände sind menschenunwürdig

Die schlimmen Zustände bestätigen vier ehemalige und aktuelle Mitarbeitende in Schilderungen eigener Erlebnisse. Sie möchten anonym bleiben, bei ihrer Einstellung haben sie eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben. "Also tatsächlich greift der Artikel, wenn überhaupt, noch zu kurz, weil nicht genug Platz war, um alles zu beschreiben, was da wirklich ist. Die Zustände sind wirklich menschenunwürdig." Ein anderer sagt: "Ich kann das auch nur bestätigen, dieser Artikel beleuchtet längst nicht alles - aber es ist alles wahr, hundertprozentig." Und ein weiterer Mitarbeiter berichtet: "Ich bin sehr oft nach Hause gegangen und hab geweint, weil ich es so schlimm fand und ich finde es schön, dass die Menschen jetzt auch endlich mal öffentlich Gehör gefunden haben."

Die Mitarbeitenden berichten außerdem von Ungeziefer in den Unterkünften. Viele Menschen hätten Rückenprobleme durch die dünnen Matratzen oder würden deshalb nur noch auf dem Boden schlafen. Im Sommer herrschten über 40 Grad in den Zeltlagern, ausreichende Kühlung habe es bis zum Ende des Sommers nicht gegeben. Im Winter hätten die Menschen trotz eisiger Kälte keine zweite Decke bekommen.

Mensch mit rotem Kapuzenpullover steht in einem Zelt
Vier ehemalige und aktuell Mitarbeitende haben die Vorwürfe des Flüchtlingsrats bestätigt. Sie möchten anonym bleiben. Bildrechte: Sächsischer Flüchtlingsrat

Betreiber: Stadt ist für Baumaßnahmen verantwortlich

Der Betreiber bestreitet die Vorwürfe, er wolle und könne sich aber nicht öffentlich äußern und verweist auf die Stadt Leipzig. Die sei für alle baulichen Maßnahmen der Notunterkünfte verantwortlich. Wir fragen bei der Stadt nach. Sprecher Matthias Hasberg kann die Vorwürfe in diesem Ausmaß nicht nachvollziehen. "Was hier formuliert wird in dieser Breite, ist uns so nicht bekannt. Es sind Notunterkünfte - wie der Name das schon sagt. Das ist ein Zelt, das krieg' ich nie wirklich warm und nie wirklich dicht, da ist es immer laut drin."

Stockbetten mit vielen Koffern dazwischen, an einem Bett hängt ein gelber Kindermond
Für Privatsphäre ist in den engen Unterkünften kein Platz. Bildrechte: Sächsischer Flüchtlingsrat

Das ist ein Zelt, das krieg ich nie wirklich warm und nie wirklich dicht, da ist es immer laut drin.

Matthias Hasberg Sprecher der Stadt Leipzig

Hasberg verweist auf regelmäßige Kontrollen der Notunterkünfte unter anderem durch das Sozialamt. Sie seien entsprechend der Umstände in Ordnung gewesen. Dass die Probleme nicht bekannt gewesen sein sollen, wundert eine ehemalige Mitarbeiterin, die wir Betty nennen:

"Wir haben die Beschwerden aufgenommen, meistens einmal die Woche, und sie an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Das waren je nach Zuständigkeit das Sozialamt oder der Träger. Und so kleinere Beschwerden, die objektbezogen waren, um die wurde sich schon mal gekümmert. Aber eben die wichtigen Dinge - sowas wie 'Wir frieren jede Nacht', 'Wir haben Angst, dass in der Hitze unseren Kindern etwas passiert', 'Es gibt hier Ratten', 'Es ist schmutzig' - da wurde nichts getan." Zumindest hat es nach den jüngsten Berichten den Anschein.

Stadt Leipzig plant feste Unterkünfte

Derzeit leben in Leipzig etwa 700 Menschen in Notunterkünften. Die Stadt versucht, feste Unterkünfte zu bauen, wie an der Rackwitzer Straße. Dort sollen ab kommendem Jahr 660 Menschen Platz finden. Das Problem für die Stadt: In der Zwischenzeit kommen weitere Geflüchtete dazu. Die Unterbringung von Geflüchteten in einer Zeltstadt sei natürlich alles andere als ideal, meint auch Matthias Hasberg. Aktuell gebe es für die Stadt aber keine andere Möglichkeit.

Stadtsprecher Hasberg sagt: "Das, was der Flüchtlingsrat hier beschreibt, ist die Beschreibung einer Überforderung der Kommunen. Dann passiert nämlich genau das: Ich kann die Leute nicht mehr so unterbringen, wie ich das möchte - nämlich in einem festen Haus - und muss diese Zelte bauen."

Ehemalige Mitarbeiterin: Externe Kontrollen und Mindeststandards notwendig

Betty, die als Sozialarbeiterin in der Notunterkunft gearbeitet hat, sieht es anders: Es gehe schlicht ums Geld, nicht um die Menschen. Die Notunterkünfte sollen so günstig wie möglich betrieben werden. Die Verantwortung für die Zustände schöben sich Stadt und Betreiber gegenseitig zu. Aus ihrer Sicht müssen dringend Lösungen her.

Große Zeltküche mit vielen Elektroherden, Arbeitsflächen, Spülen und Esstischen
Die Gemeinschaftsküche ist ebenfalls in einem Zelt untergebracht. Bildrechte: Sächsischer Flüchtlingsrat

"Es bräuchte auf jeden Fall irgendeine Art von externer Kontrollstelle, also irgendjemand, der nicht Stadt oder Träger ist und die eben unabhängig diese Zustände kontrollieren müssen", ist sich Betty sicher. "Und im nächsten Schritt, den ich für sehr wichtig halte, wäre eine Einführung gesetzlicher Mindeststandards für Geflüchtetenunterkünfte. Denn momentan gibt es dafür nur Empfehlungen - mitentwickelt von UNICEF."

Und so lange können Träger offenbar auch nicht verpflichtet werden, Türen einzubauen oder im Winter eine zweite Decke auszugeben.

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MDR (kbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 25. April 2024 | 16:30 Uhr

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