Ein Jahr nach Kriegsbeginn Das schwierige Ankommen ukrainischer Familien in Leipzig

05. März 2023, 10:56 Uhr

Der Krieg in der Ukraine hat viele Menschen zur Flucht gezwungen. Auch in Leipzig sind Tausende Geflüchtete angekommen, darunter die ukrainische Familie von Tanja Hohn. Ihr Bruder, ihre Schwägerin, die gemeinsame Tochter, zwei Cousinen und deren Kinder flohen nach Leipzig. Nicht alle blieben. MDR SACHSEN hat mit Tanjas Familie ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gesprochen.

Ein Jahr ist es her, dass Tanja Hohns Bruder Sergej mit seiner Familie nach Leipzig kam. Eigentlich wollten sie die schwer kranke Mutter besuchen. Als sie in Leipzig eintrafen, fielen bereits die Bomben auf ihre Heimat. Ein Jahr später tobt der Krieg weiter. Tanja Hohn und ihr Mann helfen, wo sie können. Ihre Familienangehörigen aus der Ukraine versucht derweil den Neuanfang in Leipzig. Doch der gestaltet sich schwierig.

Cousinen zurück in der Ukraine

Cousine Mascha sei mit ihrer Tochter bereits Ende September nach wenigen Monaten in Deutschland in die Ukraine zurückgekehrt, berichtet Tanja Hohn. Für die Unternehmerin sei es schwierig gewesen, in Deutschland Fuß zu fassen. Nun sei sie endlich wieder mit ihrem 18-jährigen Sohn vereint. Als sie gemeinsam ausreisen wollten, sei ihr Sohn nur bis zur Grenze gekommen. Mascha konnte mit ihrer Tochter nach Deutschland fliehen. Ihr Sohn musste zurückbleiben.

Auch Cousine Aljona sei mit ihren beiden Kindern zurückgegangen, berichtet Hohn. "Es ist Gott sei Dank eine ruhige Region und beide haben wieder angefangen zu arbeiten."

Schwierige Jobsuche

Auch für Tanjas Bruder Sergej ist die Suche nach einem Job schwierig. Seine Bewerbung bei einem Fuhrunternehmen war erfolglos. Er versuche es weiter, sagt Tanja Hohn. "Mein Bruder hat seinen Sprachkurs beendet und macht nun ein Praktikum bei Edeka. Er hofft, danach als Fahrer übernommen zu werden." Auch die anderen Neuankömmlinge haben ihre Sprachkurse erfolgreich absolviert und seien auf der Suche nach Arbeit. Der fünfjährige Enkel hofft, im nächsten Jahr die Schule in Leipzig besuchen zu können.

Angekommen in Leipzig

Ein Glücksfall war es, dass Tanja Hohn und ihr Mann für die Verwandten zwei Wohnungen in einem Mietshaus in Gohlis gefunden haben. Dort wohnt jetzt auch ihr Bruder mit seiner Frau und der schwerbehinderten Schwiegermutter in einer Zweiraumwohnung. Derzeit kämpfen die Hohns darum, die Behinderung hierzulande anerkennen zu lassen, damit die Mutter die nötige Betreuung erfährt.

Der Wunsch, nach Leipzig zu ziehen, sei bei ihrem Bruder und der Schwägerin schon früher da gewesen, als sie die Hohns einmal im Jahr besuchten. Die Vorzeichen sind nun anders als erhofft. Dass sie einmal nach Leipzig fliehen müssten, hätten sie nicht gedacht. Wenn es mit der Arbeitssuche klappt, wollen sie sich hier eine Zukunft aufbauen, sagt Tanja Hohn.

Hilfe für Andere

Das Glück, schnell eine Wohnung zu finden, sei allerdings nicht allen vergönnt, erzählt Hohn. "Ich habe erst letzte Woche einer Familie geholfen mit vier Kindern. Die haben ein Jahr lang bei einer Familie im Keller gewohnt und auf Matratzen geschlafen. Sechs Personen in einer Zweiraumwohnung. Jetzt haben sie endlich was gefunden."

Sorge um Freunde und Verwandte

Der andauernde Krieg in ihrer Heimat macht Tanja Hohn weiterhin große Sorgen. "Solange der Krieg nicht beendet ist, leben wir weiterhin in Angst, jemanden zu verlieren. Wir organisieren weiter Spenden und fast jede Woche fährt ein Auto nach Odessa mit dicken, warmen Sachen, Decken, Powerbanks und Thermoskannen." Für die Menschen in der Ukraine gehört der Krieg mittlerweile zum Alltag. "Wenn ich mit meinen Freunden und Verwandten in meiner Heimatstadt telefoniere, berichten sie, dass es schon Gewohnheit geworden ist, dass der Strom ausfällt oder die Heizung. Wenn sie morgens in der Kälte liegen, können sie sich nicht einmal heißes Wasser aufkochen."

Solange der Krieg nicht beendet ist, leben wir weiterhin in Angst, jemanden zu verlieren.

Tanja Hohn

Überleben in der Ukraine schwierig

Zudem seien auch in der Ukraine die Preise massiv gestiegen, sagt Hohn, was das Leben zusätzlich beeinträchtige. "Die Preise für Mehl, Sonnenblumenöl oder Reis sind mehr als um das Doppelte gestiegen. Die Lebensmittelpreise sind in etwa so wie hier, die Menschen verdienen jedoch deutlich weniger." Hinzu komme, dass viele Leute ihre Arbeit verloren haben. Andernorts fehle wichtiges Personal durch den Krieg. "Der Sohn einer Freundin ist Chirurg und kommt manchmal drei Tage nicht nach Hause, weil so viel zu tun ist. Seine Frau bringt ihm dann Essen, damit er durchhält."

Behörden in Sachsen weiterhin überlastet

Hier in Leipzig ist sie dankbar für die Unterstützung der Stadt. Bei den Behördengängen machen ihr jedoch die eingeschränkten Öffnungszeiten zu schaffen. Bei ihrer Arbeit in der Kita beobachte sie zudem, dass die Stadt oftmals zu langsam agiert. "Zum Teil kommen Bescheide über Sozialleistungen – also Essen oder Kitageld – zu spät. Dadurch sind die Kinder dann im Essensstopp. Die Kinder dürfen dann nicht kommen, weil das Essen nicht bezahlt wurde. Die Eltern haben den Antrag pünktlich gestellt, bloß die Behörden kommen nicht hinterher." Wenn den betroffenen Familien der Rückhalt fehlt, sei es besonders schwierig.

MDR (ltt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 31. August 2022 | 19:00 Uhr

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