Demonstration am Tag X in Leipzig Experte zu Einkesselung: Eltern sollten eine Klage erwägen
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07. Juni 2023, 18:07 Uhr
Nach den Demonstrationen am Samstag in Leipzig sorgt vor allem die stundenlange Einkesselung von teils Minderjährigen durch die Polizei für Diskussionen. Der Experte für Polizeirecht, Clemens Arzt, hält diese für rechtswidrig.
Das stundenlange Festhalten von mehr als 1.000 Menschen und zum Teil Minderjährigen könnte rechtswidrig gewesen sein. Darauf weist der Experte für Polizei- und Versammlungsrecht, Clemens Arzt, hin. "Eine solche Maßnahme gegen Hunderte von Menschen für eine so lange Dauer, die scheint mir rechtlich nicht zulässig gewesen zu sein", sagt der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin gegenüber MDR Investigativ.
Die Demonstration und die Polizei
Am sogenannten "Tag X" der linksextremen Szene demonstrierten am Samstag in Leipzig Tausende Menschen, nachdem am Mittwoch das Urteil gegen Lina E. gesprochen worden war. Alle Demonstrationen zum Tag X mit Bezug zu Lina E. waren verboten worden. Eine Demonstration zur Versammlungsfreiheit am Alexis-Schumann-Platz konnte stattfinden. Statt der erwarteten 100 Teilnehmer waren dort am Samstagnachmittag bis zu 2.000 Menschen gekommen. Da es zu wenige Ordner gab und sich eine Minderheit des bunt gemischten Teilnehmerfelds vermummte, entschied die Polizei, dass die Demo nicht loslaufen dürfe.
Kurz nach 18 Uhr eskaliert die Lage, als Vermummte versuchen, auszubrechen. Etwa 150 Vermummten versuchten, den Ring der Polizisten zu durchbrechen – es flogen Steine und Feuerwerkskörper, inklusive eines Brandsatzes, der vor Beamten auf der Wiese landete. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt bezüglich des Wurfes eines sogenannten Molotowcocktails auf Einsatzkräfte wegen eines versuchten Tötungsdeliktes, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Anschließend zog die Polizei die Einkesselung enger zusammen und begann mit der Identitätsfeststellung der Teilnehmer – darunter waren auch zahlreiche Minderjährige sowie auch am Demogeschehen Unbeteiligte. Nach MDR-Recherchen entkam ein Teil der Steinewerfer, bevor die Polizei den Kessel schließen konnte. Insgesamt kesselte die Polizei ab cirka 18:15 Uhr mehr als 1.000 Menschen ein und hielt sie über Stunden fest. Die letzten konnten erst um kurz vor fünf Uhr morgens den Kessel verlassen.
Experte bezweifelt Rechtmäßigkeit
"Es stellt sich schon die Frage, wann unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine erkennungsdienstliche Maßnahme hier rechtmäßig gewesen sein soll", sagt Experte Arzt. "Das sehe ich derzeit nicht. Vor allem nicht, wenn es erkennbar minderjährige Personen sind, die auch noch kooperiert haben."
Hinzu komme, dass die Polizei auch eine Fürsorgepflicht habe, so der Staatsrechts-Professor weiter. Dieser sei mit der stundenlangen Einkesselung zu wider gehandelt worden. Insbesondere die Dauer sei nicht zulässig.
Das lässt sich gegenüber tausend Menschen eigentlich plausibel nicht begründen.
Sollen Eltern und Betroffene klagen?
Zweifel hat Arzt an der Aussage der Polizei, alle Eingekesselten seien des schweren Landfriedensbruchs und damit einer Straftat verdächtig. "Das lässt sich gegenüber tausend Menschen eigentlich plausibel nicht begründen. Ich müsste genau wissen, dass diese tausend Menschen oder diese vielen hundert Menschen individuell jeweils Straftaten begangen haben. Das ist sehr schwer möglich."
Aus diesem Grund rät der Experte für Polizei- und Versammlungsrecht Betroffenen und auch den Eltern der betroffenen Minderjährigen: "Sich zu überlegen und sich mit anderen zu beraten, ob sie nicht den Rechtsweg beschreiten. Natürlich geht man ein gewisses Prozesskostenrisiko dabei ein. Aber so etwas kann man auch ein Stück weit kollektiv absichern." Arzt erklärt, dass man nur hoffen könne, dass es eine Reihe von Klagen gebe, um diese Vorgänge aufzuklären.
Auf Nachfrage von MDR Investigativ teilt die Polizei mit, Minderjährige seien priorisiert bearbeitet worden. Eine Zahl der eingekesselten Kinder und Jugendlichen könne sie noch nicht nennen – die Auswertung dauere an. Beteiligte Einheiten aus anderen Bundesländern müssten erst alle erhobenen Daten nach Leipzig schicken.
Quelle: mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 07. Juni 2023 | 20:15 Uhr