Linksextremismus Der Prozess gegen Lina E. und drei Männer am OLG Dresden

30. Mai 2023, 17:06 Uhr

Knapp 100 Verhandlungstage fanden im Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. und drei Männer in Dresden statt. Am Mittwoch sind im extra gesicherten Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden die Urteile gefallen. Hier die wichtigsten Antworten zum Mammutprozess gegen die linksextreme Szene.

Wie hat das Oberlandesgericht Dresden geurteilt?

Das Oberlandesgericht Dresden hat die Linksextremistin Lina E. zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Drei mitangeklagten Männer im Alter von 28 bis 37 Jahren erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten zwischen 2018 und 2020 an mehreren Überfällen auf tatsächliche und vermeintliche Neonazis in Wurzen, Leipzig und im thüringischen Eisenach beteiligt waren oder diese zumindest unterstützt hatten. Laut Anklage wurden dabei 13 Menschen verletzt, darunter zwei potenziell lebensbedrohlich.

Lina E. war bereits zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft und kommt nun vorerst frei. Der Haftbefehl gegen sie werde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, sagte der Vorsitzende Richter der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht Dresden zum Abschluss der Urteilsbegründung. Das Gericht ließ Revision zu.

Worum ging es beim Prozess gegen Lina E.?

Der Studentin Lina E. und drei Mitangeklagten wurden tätliche Angriffe auf Rechtsextreme in den Jahren 2018 und 2020 sowie die Gründung einer kriminellen linksextremistischen Vereinigung vorgeworfen, zudem Körperverletzungen, räuberischer Diebstahl und Landfriedensbruch.

Sie sollen Neonazis und augenscheinliche Anhänger der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach in Thüringen ausgespäht und angegriffen haben. 13 Menschen seien dabei verletzt worden, zwei davon potenziell lebensbedrohlich. Der Prozess hatte im September 2021 unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Es sind die schwersten Vorwürfe gegen die linksradikale Szene seit Jahren.

Was sagten die Angeklagten?

Lina E. und die Mitangeklagten aus Leipzig und Berlin hatten an 94 Prozesstagen nichts zu den Vorwürfen gesagt, sondern nur persönliche Angaben gemacht. Beim "letzten Wort" der Angeklagten hatte sich Lina E. bei ihren Eltern, ihrer Familie, allen Unterstützern und Verteidigern bedankt.

Viele Punkte der Anklage stützen sich auf Aussagen des Kronzeugen Johannes D., der wegen eines Überfalls auf einen Nazi-Treff in Eisenach eine Bewährungsstrafe bekam. Er arbeitete mit den Behörden zusammen und ist im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts Sachsen. In der linken Szene gilt Johannes D. seither als Verräter. Der Kronzeuge belastete Lina E. und ihren seit zwei Jahren untergetauchten Verlobten Johann G.

Wer ist Lina E.? - Die heute 28 Jahre alte Frau stammt ursprünglich aus Kassel. Sie studierte in Halle/Saale Erziehungswissenschaften und schrieb sich für ein Masterstudium an der Universität Leipzig ein.
- Mit 25 Jahren wurde sie im Leipziger Stadtteil Connewitz verhaftet. Seit ihrer Festnahme 2021 und medienwirksamen Vorführung per Helikopter beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe sitzt sie in der JVA Chemnitz in Untersuchungshaft.
- Die Angeklagte soll in einer 2018 in Leipzig gegründeten und überregional vernetzten Vereinigung eine herausgehobene Stellung eingenommen haben.

Welches Strafmaß stand im Raum?

Das forderte die Staatsanwaltschaft

  • Die Bundesanwaltschaft fordert für die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. acht Jahre Haft. Sie und ihr untergetauchter Freund Johann G. gelten als Rädelsführer. Während des Prozesses hatte Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn Lina E. "massive Gewalt" und ein "außergewöhnliches Maß an krimineller Energie"vorgeworfen.

  • Für die drei Mitangeklagten hielt die Bundesanwaltschaft Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten sowie drei Jahren und neun Monaten für angemessen. In ihrem Plädoyer verwies die Bundesanwaltschaft auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit, unabhängig von der politischen Einstellung und betonte: "Es gibt keine gute politische Gewalt."

Das forderte die Verteidigung

  • Die Verteidiger plädierten in fast allen Anklagepunkten auf Freispruch für Lina E. Auch für die drei mitangeklagten Männer, die derzeit auf freiem Fuß sind, forderte sie Freisprüche.

  • Verteidiger Ulrich von Klinggräf kritisierte die Bundesanwaltschaft und den Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats scharf und sagte, gegen seine Mandantin sei ein politisch motiviertes Verfahren geführt worden. Die Strafforderung der Bundesanwaltschaft hält er für "maßlos". Die Kritik hatte er auch schon im Herbst 2021 zu Beginn des Verfahrens geäußert. Die Verteidigung bezweifelte auch die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen und einiger Opfer aus Eisenach und Wurzen.

Demo am "Tag X"

Als "Tag X" bezeichnet die linke Szene den Tag mit Reaktionen auf die Urteile gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten. Autonome und die Antifa haben in den Sozialen Medien für kommenden Sonnabend (3.6.2023) eine Demo angekündigt und wollen dafür bundesweit mobilisieren.

"Dynamisches Versammlungsgeschehen" am Sonnabend

Für den 3. Juni hat sich die Polizei Sachsen mit der Bitte um Unterstützung an die Bundespolizei und an andere Bundesländer gewandt, wie Leipzigs Polizeisprecher Chris Graupner sagte. Die Polizei Leipzig hatte vorige Woche auch ihr Bürgerfest abgesagt, was ursprünglich auch am Sonnabend stattfinden sollte.

Wir rechnen mit einer hohen Teilnehmerzahl und gehen auch davon aus, dass gewaltbereites oder gewaltsuchendes Klientel darunter sein wird.

Für den Sommer 2023 befürchtet das LKA Sachsen, "dass es zu Straftaten kommen wird, unter anderem gegen Liegenschaften und Mitarbeiter der Polizei", sagte der Leiter der Staatsschutzabteilung des LKA, Dirk Münster, in einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung".

Womit rechnen die Behörden nach dem Urteil und später?

Neben großem Medienandrang am Urteilstag erwarten die Behörden auch Demonstrationen. Die linke Szene hat zur Urteilsverkündung am Mittwoch in Dresden eine Kundgebung angekündigt. Auf dem von Sicherheitsbehörden als linksextremistisch eingestuften Internetportal Indymedia drohten autonome Gruppen zudem für jedes Jahr Haft, das im Urteil gesprochen werde, mit "ab sofort einer Million Sachschaden bundesweit".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern nähmen die gewaltbereite linksextremistische Szene in den nächsten Tagen und Wochen "besonders in den Fokus". Man werde "konsequent einschreiten, wenn es zu Straf- und Gewalttaten kommt".

MDR (kk)/epd/dpa/AFP

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 31. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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