Eine Frau im Rollstuhl wartet an einer Ampel
Menschen im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung brauchen meistens deutlich länger zum Überqueren von Straßen. Bildrechte: picture alliance/dpa-tmn/Christin Klose

Barrierefreie Stadt Grünphasen von Fußgängerampeln oft nicht lang genug

18. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Die Grünphasen von Leipziger Fußgängerampeln sind teilweise zu kurz für Menschen mit Gehbehinderung. Werden diese bei der Berechnung der Phasen hinreichend berücksichtigt? Das fragen sich betroffene MDR-AKTUELL-Nutzer.

Die Stadt Leipzig hat das Ziel, eine barrierefreie Stadt zu werden. Warum sind aber die Ampelschaltungen der Stadt nicht behindertengerecht eingestellt? Für Rollstuhlfahrer und andere körperlich eingeschränkte Menschen, die die Straße überqueren müssen, ist die Dauer der Grünphase eine Zumutung. Besonders, wenn die Beschaffenheit der Straßenübergänge und der darauf liegenden Schienen den Übergang zusätzlich erschweren.

Inka Grosch und Claude Hahn kämpfen schon lange für mehr Barrierefreiheit in der Stadt Leipzig. Inka Grosch selbst sitzt im Rollstuhl und auch Claude Hahn ist gehbeeinträchtigt. Jetzt haben sie schon ihre zweite Petition für mehr Barrierefreiheit in Leipzig gestartet – und sich an MDR AKTUELL gewandt. Sie fordern eine längere Grünphase bei den Ampelschaltungen.

Inka Grosch erklärt, dass sie beim Überqueren der Straße Angst hat, überfahren zu werden. "Wir sind der Meinung, dass die Ampelschaltung hier in der Umgebung nicht ausreichend ist – die Grünphasen. Dass man nicht hundertprozentig über die Ampel kommt, ohne Angst haben zu müssen, von irgendjemandem überfahren zu werden." Man lebe mit Angst.

Grünphasen der Ampeln nach geltenden Richtlinien geregelt

Grosch und Hahn wohnen an der Riebeckstraße in Leipzig. Eine Ecke mit viel Verkehr, den mehrere Ampeln regeln. Sobald es grün wird, überqueren sie die Straße. Dann springt die Fußgängerampel wieder auf rot. Doch die beiden sind noch nicht auf der anderen Seite angekommen. "Gucken Sie mal, es ist rot, wir sind gerade so rüber. Das könne nicht sein." Das Gleiche passiert an der nächsten Ampel.

Der Abteilungsleiter der Straßenverkehrsbehörde in Leipzig, Sebastian Lindhorst, erklärt, dass die kurzen Grünphasen nicht willkürlich festlegt werden, sondern nach geltenden Richtlinien. "In diesen ist festgelegt, dass die Grünphase irgendwann natürlich zu Ende ist, weil ja auch irgendwann andere Verkehrsteilnehmer grün haben wollen. Rechnerisch ist es so, dass ich die Hälfte der Straße, auch wenn rot angezeigt wird, noch überqueren kann. Das heißt, sobald es rot wird, muss niemand Sorge haben, gleich überfahren zu werden."

Aktuelle Standards nicht an alten Ampeln

Grosch und Hahn haben trotzdem Angst davor, die Straße zu überqueren. "Ja klar, die Autofahrer haben ebenfalls noch rot. Aber man soll nicht davon ausgehen, dass jeder so rücksichtsvoll ist. Teilweise wird man echt nicht gesehen, oder man wird angehupt."

Unklar ist jedoch, wie die Berechnung der Grünphase gehbeeinträchtigte Menschen abbildet. Lindhorst erklärt, wie genau die Grünphasen von Fußgängerampeln berechnet werden. "Einfach gesagt, ist es die Länge des Weges und die Geschwindigkeit, die zu Fuß Gehende zurücklegen." Dabei setze man in der Regel auch die Geschwindigkeiten von mobilitätseingeschränkten Personen an.

Jedoch seien viele Ampeln schon älter. Weil der Erneuerungszeitraum von so einer technischen Anlage zwischen 25 und 30 Jahren liege, gebe es noch nicht an allen Ampeln die heute angesetzten Standards, fügt Lindhorst hinzu.

Behindertenverband Deutschland: Grünphasen immer noch zu kurz

Außerdem seien Lindhorst zufolge schon an über der Hälfte der Ampeln in Leipzig Blindenhandtaster angebracht. Gedrückt verlängern sie die Grünphase. Der Pressesprecher vom allgemeinen Behindertenverband Deutschland, Jörg Polster, merkt jedoch an, dass die Verlängerung oft immer noch zu kurz sei.

Und dass auch die Ampeln, die laut den Städten bereits gehbeeinträchtigte Menschen berücksichtigen, immer noch eine zu kurze Grünphase hätten. "Es gibt eine Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen und die haben ursprünglich mal berechnet, dass die Laufzeit 1,2 bis 1,5 Meter pro Sekunde ist, für eine Ampelschaltung. Bei Gehbehinderten 1 Meter pro Sekunde. Halten wir für viel zu wenig. Aber leider richten sich die Städte danach", erklärt Polster.

Bordsteinkanten oder Schienen auf der Straße werden nicht berücksichtigt

Auch zusätzliche Hindernisse, wie hohe Bordsteinkanten oder Schienen auf der Straße, werden in den Berechnungen nicht berücksichtigt. In den technischen Regelwerken sei noch kein Verfahren gefunden worden, mit dem man sagen könne, welche Gehgeschwindigkeit man bei welcher Bodenbeschaffenheit ansetzen müsse, so Lindhorst.

Auf die Frage, ob Ampelphasen seiner Meinung nach an gehbeeinträchtigte Menschen angepasst seien, antwortet Jörg Polster vom Behindertenverband Deutschland eindeutig: "Sie sind den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft angepasst, ohne die Menschen mit Gehbehinderungen oder an ältere Menschen differenzierter zu denken." Das sei aber nicht nur ein Leipziger Problem, sondern ein bundesweites.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 18. Oktober 2023 | 06:23 Uhr

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