Eine Kita-Erzieherin und Kinder spielen mit Bauklötzen.
Der sogenannte Personalschlüssel in Sachsen sieht vor, dass sich ein Erzieher im Krippenbereich um fünf Kinder kümmert. Im Kindergartenalter sind es pro Erzieher zwölf Kinder. Bei Personalausfall sind die Gruppen meist viel größer. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Personalschlüssel Erzieher in Sachsen: Druck- und Stresslevel sind nicht auszuhalten

27. Juni 2024, 14:32 Uhr

Sachsen ist beim Kita-Personalschlüssel eines der Schlusslichter in Deutschland. Nur in Mecklenburg-Vorpommern sind die Kindergartengruppen noch größer. Während Großstädte in Sachsen planen, Kindergärten zu schließen, fordern Kita-Leiter, Erzieher und Eltern den Geburtenknick der kommenden Jahre als Chance zu nutzen. Durch bundes- und landesweite Kampagnen hoffen sie, von der Politik gehört zu werden.

Jungen und Mädchen sitzen in einem Kreis. Sie erzählen, was sie am Wochenende gemacht haben. "Ich war baden", sagt Kamilla. "Und ich war Eis essen", sagt Hassan. Susann Hensler hört den Kindern genau zu. Die 55-Jährige ist Integrationserzieherin im Fröbel-Kindergarten "Am Kulkwitzer See" in Leipzig-Grünau. In dem Brennpunktviertel leben viele arme Menschen, viele Kulturen und Sprachen treffen aufeinander.

 Ein Mann lächelt in die Kamera. 1 min
Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

In die Fröbel-Kita haben ein Viertel der Kinder Migrationshintergrund und kommen aus 13 verschiedenen Nationen. Manche der insgesamt 190 Kinder in dem Kindergarten sind wegen ihrer verzögerten Lern- und Sprachentwicklung auffällig. "Es ist schon eine Herausforderung hier mit den Kindern. Doch ich schätze die Arbeit, denn jedes Kind ist wertvoll", sagt Susann Hensler.

 Eine Frau lächelt in die Kamera.
Susann Hensler hat bereits im Berliner Problemviertel Wedding in einem Kindergarten gearbeitet. Sie sieht ihre Arbeit in Leipzig-Grünau als wertvolle Herausforderung an. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Zu wenig Zeit für jedes Kind

Insbesondere die Kinder mit nicht so guten Startchancen bräuchten eine sehr individuelle Begleitung, betont Kita-Leiter Philipp Ay. "Dafür ist es aber mit der personellen Ausstattung häufig sehr schwierig." Denn die Erzieher hätten oft keine Zeit, um etwa einem Kind mit Sprachschwierigkeiten zu helfen. "Das was die Kinder in dem Moment brauchen, um ihr Lernpotenzial optimal auszuschöpfen, kann dann leider nicht immer gegeben werden."

 Kinder und Erzieherinnen sitzen in einem Sitzkreis in einer Kita.
In der Leipziger Fröbel-Kita Am Kulkwitzer See arbeiten mehrere Erzieher mit Heilpädagogik-Ausbildung. Dennoch ist der Bedarf bei den Kindern, die eine individuelle Förderung nötig hätten, weitaus größer. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Es brauche mehr Fachpersonal und einen besseren Personalschlüssel, sagt Ay. Die leichte Verbesserung bei den Gruppengrößen vergangenes Jahr reiche nicht aus. Es leide die Qualität in den Kitas, gerade wenn Erzieher wegen Urlaub und Krankheit ausfielen. "Diese Ausfälle werden von der aktuellen Personalberechnung nicht ausreichend berücksichtigt", meint Ay. Auch deswegen unterstützt er die bundesweite Petition "Jedes Kind zählt."

 Ein Kindergarten von außen.
Der Fröbel-Kindergarten "Am Kulkwitzer See" befindet sich im Plattenbaugebiet Leipzig-Grünau. Hier leben viele sozial schwache Familien und Menschen mit Migrationsgeschichte. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Bundespetition für mehr Qualität in den Kitas

An der Petition sind verschiedene Kita-Träger, Elternvertretungen und Gewerkschaften beteiligt. Sie fordern, dass sich die Bundesregierung an ihr Versprechen im Koalitionsvertrag hält, das Gute-Kita-Gesetz in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweit einheitlichen Standards zu überführen.

Laut der Kampagne geht es darum, dass der Bund auch über das Jahr 2024 hinaus ausreichend Geld für die Qualitätsentwicklung und -sicherung in der frühkindlichen Bildung bereitstellt. Die Petenten befürchtet, dass der Bund wegen der bevorstehenden Haushaltskürzungen dafür keine Finanzmittel mehr freigibt.

Was will die Petition noch erreichen? (zum Ausklappen)

Eine grundlegende Forderung ist, mindestens eine Profilstelle in jeder Kita in Deutschland zu schaffen. Diese Stelle soll mit einem "Qualitätsbeauftragten" besetzt werden, der mit dem Kita-Team an Themen wie Kinderrechte und -schutz, Medien- und Sprachbildung, Partizipation und Inklusion arbeitet.

Ausgebrannte Erzieher wegen Stress und Druck

Im Kindergarten "Am Sandberg" des freien Trägers "Internationaler Bund" im ländlichen Radeberg bei Dresden kennt Kita-Leiterin Madlen Winkler-Hantzsche das Problem, dass in bestimmten Zeiten das Personal knapp wird. 18 Erzieherinnen und Erzieher betreuen hier 105 Kinder.

Man sei mit 20 Kindern pro Gruppe bei zwei Erziehern im Landesvergleich noch relativ komfortabel aufgestellt, sagt Winkler-Hantzsche. Aber: "Wenn der Krankheitsstand besonders hoch ist, sind die Erzieher ausgebrannt. Viele melden sich krank, weil der Druck- und Stresslevel nicht auszuhalten ist." Die Kita-Leiterin finde sich dann häufig in der Rolle der Trösterin und Motivationsgeberin wieder.

Wenn der Krankheitsstand besonders hoch ist, sind die Erzieher ausgebrannt. Viele melden sich krank, weil der Druck- und Stresslevel nicht auszuhalten ist.

Madlen Winkler-Hantzsche Leiterin der Kita "Am Sandberg" in Radeberg

Wie positiv es wirken kann, wenn Fachpersonal das Erzieherteam unterstützt, zeigt Winkler-Hantzsche an einem Beispiel: "Wenn man für ein Integrationskind einen Therapeuten dabei hat, der sich rein um Sprache und Förderung kümmert, ist das für die Erzieher viel entspannter."

Das eigene Kita-Personal sei oft für solche Aufgaben nicht geschult. Das Thema frühkindliche Bildung gehöre nach Meinung von Winkler-Hantzsche endlich auf die Bundesebene.

Kinder beim Mittagessen 9 min
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9 min

"Kinder wollen wachsen und lernen", sagt Expertin und Autorin Dr. Anke Ballmann. Wie steht es um unser Bildungssystem? Thomas Lopau hat nachgefragt.

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Sachsen bundesweit vorletzter Platz

Doch auch die Länder haben Stellschrauben, um mehr Zeit für jedes Kita-Kind zu ermöglichen. So wird der Personalschlüssel auf Landesebene festgelegt. Da sei in Sachsen noch Luft nach oben, meint Alexandra Pfeifer vom Sächsischen Erzieherverband.

Sachsen weise den zweithöchsten Betreuungsschlüssel in Deutschland auf. Nur in Mecklenburg-Vorpommern kommen noch mehr Kinder auf einen Kita-Erzieher. "Im bundesweiten Vergleich belegt Sachsen nach wie vor den vorletzten Platz", sagt Pfeifer.

Geburtenknick als Chance verstehen

Die Arbeitslast für Erzieher ist Pfeifer zufolge sehr hoch. Daran ändere auch der Geburtenknick nichts, weil Personalabbau und Kita-Schließungen bereits Realität seien. Stattdessen sollte der Rückgang an Kindern als Chance gesehen werden. "Die Chance, bei sinkenden Kinderzahlen die Qualität zu verbessern, alle gut ausgebildeten Fachkräfte zu halten und neue Fachkräfte einzustellen, muss genutzt werden", betont Pfeifer.

Die Chance, bei sinkenden Kinderzahlen die Qualität zu verbessern, alle gut ausgebildeten Fachkräfte zu halten und neue Fachkräfte einzustellen, muss genutzt werden.

Alexandra Pfeifer Referentin beim Sächsischen Erzieherverband

Wenn Auszubildenden und Studierenden in Sachsen keine Perspektive geboten werde, sei zu befürchten, dass gut ausgebildetes Personal in andere Regionen Deutschlands abwandert, sagt Pfeifer. Zudem müsse Personalausfall wegen Urlaub, Krankheit oder Weiterbildung endlich ausreichend im Personalschlüssel im sächsischen Kitagesetz berücksichtigt werden.

Kultusminister Piwarz: Personal in Einrichtungen halten

Ähnlich argumentiert auch Kultusminister Christian Piwarz (CDU). In einem aktuellen Blog-Beitrag reagiert er auf die Problematik sinkender Geburtszahlen. Er wolle freiwerdendes Personal in den Einrichtungen halten. "Wenn wir die Qualität der Bildung im Kindergarten und Hort weiter stärken wollen, sollten wir an dem Personaltableau in den Kindertageseinrichtungen festhalten und den Rückgang der Kinderzahlen als demografische Rendite nutzen", so der Kultusminister. Dies ermögliche eine individuellere Betreuung.

Christian Piwarz (CDU), Kultusminister von Sachsen, nimmt an einer Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Schuljahresbeginn 2023/24 teil.
Sachsens Kultusminister Piwarz will das Personal in den Kitas halten, auch wenn die Geburtenzahlen in Sachsen rückläufig sind. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Nach Angaben des Kultusministeriums ist im Entwurf zum Doppelhaushalt 2025/2026 der Vorschlag eingebracht, mit dem der "eingesparte" Landeszuschuss eingesetzt wird zur Gegenfinanzierung einer Verbesserung der Personalausstattung und damit zur weiteren Verbesserung der Qualität in der frühkindlichen Bildung. Über den neuen Doppelhaushalt werde nach der Landtagswahl entschieden.

Öffnungszeiten werden zusammengestrichen

In diese Stoßrichtung geht auch die landesweite Kampagne "Starke Kitas für starke Kinder". Diese fordert unter anderem von der Landesregierung Erzieher in Sachsen zu halten und den Personalschlüssel zu verbessern. Für den Leiter der AWO-Kita "Kuschelkiste" in Zwickau-Eckersbach und Sprecher der Kampagnen, Jens Kluge, sei die Anpassung des Personalschlüssels 2023 ein erster Schritt gewesen. Doch für viele Einrichtungen falle die Anpassung marginal aus.

Auch für ihn als Kita-Leiter sei es ein großes Problem, dass Ausfallzeiten zu wenig berücksichtigt würden. "Es gibt etwa keinen Ausgleich von Langzeiterkrankten." Er habe die Öffnungszeiten seines Kindergartens bereits zusammenstreichen müssen, erklärt Kluge: "Wir haben es nicht mehr geschafft, die Früh- und Spätdienste abzudecken."

Kinder in Priorität nach ganz oben setzen

Mit dem Geburtenknick gebe es die Chance, um über mehr Qualität zu sprechen: "Noch vor den Landtagswahlen bräuchten wir ein Moratorium, um Pädagogen im System zu halten. Dann müssen die Kollegen nicht wieder an der Rewe-Kasse sitzen wie in den 90er-Jahren."

Die frühkindliche Bildung muss in der Prioritätensetzung endlich nach oben rutschen - dort, wo das Kind hingehört.

Jens Kluge Leiter der AWO-Kita "Kuschelkiste" in Zwickau

Warum müsse bei der Politik immer um Geld für die Bildung von Kindern gebettelt werden, fragt Kluge. "Die frühkindliche Bildung muss in der Prioritätensetzung endlich nach oben rutschen - dort, wo das Kind hingehört."

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