Mehrere Polizeibeamte haben eine Kette gebildet und laufen auf Demonstranten auf der Straße zu.
Nebeneinanderstehende Polizeibeamte gingen auf Demo-Teilnehmer zu, die sich am Sonnabend in Riesa in der Nähe aufhielten. Bildrechte: EHL Media

Augenzeugenbericht Auf Heimweg aus Riesa: "Panik, Verzweiflung, Menschen schieben, um Attacken der Polizei zu entgehen"

12. Januar 2025, 16:25 Uhr

Einen Tag nach den Demonstrationen gegen den AfD-Bundesparteitag in Riesa berichtet eine Augenzeugin dem MDR, was sie in einem Demo-Zug am Sonnabendnachmittag erlebt hat. Ihr Bericht in eigenen Worten.

"Wir stehen um 13:30 auf irgendeiner Kreuzung in Riesa. Die Polizei hat uns dort festgesetzt, warum weiß niemand. Die Versammlung ist zu diesem Zeitpunkt noch eine Spontanversammlung. Per Megaphon wird die Info durchgegeben, dass gerade versucht wird eine offizielle Kundgebung anzumelden. Plötzlich die erste Durchsage der Polizei: Die Versammlung sei aufgelöst, wir sollen uns entfernen, sonst wird eine Räumung mit Zwang durchgesetzt.

Hunderte Menschen zwischen Polizeikette und Bahnhof

Eine Minute darauf die zweite Durchsage der Polizei: Wir sollen uns mit Richtung Bahnhof entfernen, sonst werde eine Räumung mittels Zwang durchgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hat der AfD-Parteitag längst begonnen. Es gibt niemanden mehr zu blockieren. Außerdem steht die Abreise per Bus vom Riesaer Bahnhof um 14 Uhr kurz bevor. Hunderte Menschen beginnen also zwischen den Polizeiautos und Polizeiketten Richtung Bahnhof zu strömen. Wenn auch etwas langsam, da die Lücken, die die Polizei zwischen ihren Ketten lässt, nicht besonders groß sind.

Auch meine Freundesgruppe beginnt sich in diesem Moment in Richtung Bahnhof zu bewegen. Wir stehen am Rand der Demo, genau gegenüber der von der Polizei vorgesehenen Ausgänge. Wir müssen also warten, bis der Stau an Personen sich aufgelöst hat. Per Megaphon wird auf einmal durchgesagt, dass es sich jetzt um eine angemeldete Versammlung handelt. Völlige Verwirrung. Der Strom der Menschen kommt ein bisschen ins Stocken. Einige wollen scheinbar an der angemeldeten Versammlung teilnehmen.

30 Sekunden später die dritte Durchsage der Polizei. Wir müssen die Kreuzung räumen, sonst würden sie Zwangsgewalt einsetzen. Erneut große Verwirrung. Vom Zeitpunkt der ersten Durchsage bis zum Zeitpunkt der dritten Durchsage sind vielleicht vier Minuten vergangen. Niemals genug Zeit für ca. 1.000 Demonstranten, die Kreuzung zu verlassen unter den Bedingungen, die die Polizei selbst geschaffen hat.

Minuten, die im Kopf haften bleiben

Dann beginnen fünf Minuten, die ich wohl nicht mehr so schnell aus dem Kopf kriegen werde. Eine Gruppe Polizistinnen und Polizisten kommt auf uns zugerannt. Helme, Panzerung, Schlagstock im Anschlag. Sie beginnen, uns vor sich her zu treiben, bis wir eingequetscht zwischen ihnen und hunderten Menschen stehen, die noch immer versuchen, die Versammlung zu verlassen. Obwohl sie sehen, dass wir keinen Ausweg haben, schieben sie sich mit aller Kraft vor uns her.

So brutal eingequetscht - Luft zum Atmen bleibt weg

Die ersten beginnen zu schreien, weil sie inzwischen so brutal zwischen Polizei und sich stauender Menschenmasse eingequetscht sind, dass ihnen Luft zum Atmen wegbleibt. Trotzdem werfen sich die Polizisten mit vollem Körpergewicht immer wieder auf die erste Reihe der Demonstrantinnen und Demonstranten, um zum Weiterlaufen zu zwingen (was offensichtlich völlig unmöglich ist). Zu diesem Zeitpunkt stehe ich ca. in der dritten Reihe. Trotzdem stehe ich nur etwa eine Armeslänge von dem schätzungsweise ca. 90 Kilo schweren Polizisten entfernt, der mich aus stierenden weit aufgerissen Augen anguckt. Voll im Adrenalinrausch.

'Ich kann nicht atmen!' Die Polizei macht einfach weiter.

Demoteilnehmerin über Polizeieinsatz

Zwischen mir und dem Polizisten steht noch eine Freundin von mir in zweiter Reihe und eine mir unbekannte junge Frau. Gegen ihre Rücken schiebt der groß gewachsene Polizist mit aller Kraft. Auch ich habe inzwischen große Schwierigkeiten zu atmen, aber den beiden Frauen geht es deutlich schlechter. Meine Freundin hat die Augen geschlossen. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. Sie schreit. Die junge Frau direkt vor der Polizei hat eine Panikattacke. Ihr rinnen Tränen die Wangen herunter. Immer wieder schreit sie: 'Ich kann nicht atmen!' Die Polizei macht einfach weiter.

Polizisten stolpern selbst über gestürzte Menschen

Verzweifelt versuche ich irgendwie, die Polizeikräfte vor mir zu beschwichtigen. 'Wir laufen ja schon! Ganz ruhig!' Erst ruhig sprechend - weil ich die Erfahrung gemacht haben, dass das manchmal besser funktioniert - dann laut rufend ohne den geringsten Erfolg. Inzwischen ist völlig Panik ausgebrochen. Menschen schieben und drücken in alle Richtungen, um den Attacken der Polizei zu entgehen. Manche fallen hin, ohne dass ihnen jemand aufhelfen könnte, weil alle nur damit beschäftigt sind, selbst stehen zu bleiben. Über einiger diese hingefallenen Menschen stolpern die Polizistinnen und Polizisten sogar. Halb auf ihnen liegend, prügeln sie weiter auf am Boden liegende Personen ein.

Auch ich schaffe es einmal nur, um Haaresbreite auf den Füßen zu bleiben. Ein letztes Mal drehe ich mich um und versuche irgendwie meine Freundin und die junge Frau - die wie am Spieß schreit - aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien. Einen kurzen Moment überlege ich sogar, ob ich als letzten Ausweg dem Polizisten vor mir mit der Hand ins Gesicht oder ans Pfefferspray fassen soll. Beides war in dem Moment ca. eine Armeslänge von mir entfernt. Aber das Wissen, dass ich dafür wahrscheinlich im Gefängnis landen würde und die Angst, den Polizisten noch rasender und es für die beiden Frauen dadurch noch schlimmer zu machen, hält mich davon ab.

Ein Polizist steht am Straßenrand neben einer Demo und hält eine Flasche Pfefferspray iin den Händen.
Ein Polizeibeamter stand mit Pfefferspray in den Händen hinter einem Polizeibus und beobachtete am Samstag in Riesa das Demo-Geschehen. Bildrechte: EHL Media

Polizei treibt Menschen vor sich her

Kurz darauf werde ich von den beiden getrennt und hinter einen Polizeibus gedrängt. Dort ist es deutlich ruhiger, weil der Bus als Barriere zwischen mir und dem Chaos dient. Auf einmal merke ich, dass ich noch immer eine andere Freundin von mir an der Hand halte. Wir hatten uns offenbar während ganz Zeit aneinander festgehalten. Sie wirkt aufgelöst. Tränen laufen ihr herunter. Sie blickt desorientiert umher. Ich entscheide, dass es nichts gibt, was ich jetzt noch für meine andere Freundin und die junge Frau tun kann, die noch immer in der Menschenmasse von der Polizei vor sich her getrieben werden.

Die völlige Eskalation der Polizei, die wir in Riesa erlebt haben, wird viele von uns noch lange - wahrscheinlich über Jahre - beschäftigen.

Augenzeugin berichtet aus Riesa am Nachmittag des 11. Januars 2024

Ich ziehe meine Freundin, deren Hand ich noch immer halte, den schmalen Korridor zwischen Polizeibusen und Straßenrand entlang, weg von der Polizeikette, die noch immer auf die Menschen einprügelt. So laufen wir bis zum Bahnhof von Riesa. Beim Umdrehen sehen wir immer wieder, wie die Polizei noch immer die Menschen mit Schlagstöcken vor sich her treibt, bis wir außer Sichtweite sind.

Fazit: Die völlige Eskalation der Polizei, die wir in Riesa erlebt haben, wird viele von uns noch lange - wahrscheinlich über Jahre - beschäftigen."

***Redaktioneller Hinweis: Der Name der Augenzeugin ist MDR SACHSEN bekannt.

MDR (kk)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 12. Januar 2025 | 19:00 Uhr

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