Paarungszeit Hör mal, wer da röhrt: Hirschbrunft in der böhmischen Schweiz
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01. Oktober 2023, 19:41 Uhr
Für viele Leute ist es ein faszinierendes Naturschauspiel, welches nur einmal im Jahr stattfindet: die Brunft der Hirsche. Im September und Oktober gibt es in den Wäldern in Deutschland und seinen Nachbarländern ordentlich was auf die Ohren. Die Hirsche röhren, was das Zeug hält, um die Konkurrenz abzuschrecken. Solche Brunftschreie können nachts durch den ganzen Wald hallen. MDR SACHSEN-Reporter Konstantin Henß wollte das einmal mit eigenen Ohren hören.
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Es ist kurz vor acht an einem Freitagabend. Normalerweise würde ich jetzt wahrscheinlich auf meiner Couch liegen oder wäre mit Freunden in einer Bar. Doch nicht an diesem Freitag. Ich sitze mit knapp 20 Leuten mitten im Wald, genauer gesagt in Tschechien, in der Nähe von Schneeberg. Um uns herum wird es von Minute zu Minute dunkler. Manche sitzen auf dem Boden, manche auf umgefallenen Baumstämmen, andere auf Steinen. Doch wir alle haben eins gemeinsam: Wir sind still. Um genau zu sein: mucksmäuschenstill. Denn wir alle sind hier, um Hirsche röhren zu hören.
Doch wie bin ich eigentlich hierher gekommen?
Exkursion für Groß und Klein
Ich war im Netz auf der Suche nach Themen. Auf der Website des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz bin ich auf die Veranstaltung "Erlebnis Hirschbrunft – eine Familienveranstaltung" gestoßen.
Jetzt röhren wieder die Hirsche, für sie scheint Frühling zu sein... Paarungszeit, genauer gesagt. Vielleicht hören wir heute Abend einen oder können ihn sogar beobachten?
Diese Beschreibung macht mich neugerig. Außerdem bin ich als Dorfkind sowieso immer gerne im Wald und wie Hirsche röhren, habe ich auch noch nie gehört. Also habe ich mich angemeldet, meine Wanderhose angezogen und los ging es von Dresden aus kurz hinter die tschechische Grenze nahe Berggießhübel. Auf einem kleinen Parkplatz in Sněžník treffe ich auf die anderen Hirschfans, Daphna Zieschang, die den Ausflug mitorganisiert hat und auf Knut König, unseren Tourguide für den heutigen Abend.
Knut König ist Waldpädagoge, zertifizierter Nationalparkführer und kennt sich aus in Sachen Reh, Hirsch und vielem anderen, was so durchs Dickicht läuft. Zu Beginn erklärt er uns, wo wir eigentlich genau sind und was wir hier vorhaben: Hirsche und ihren Paarungsschrei hören.
Herbstzeit ist Paarungszeit
Ungefähr von Anfang September bis Mitte Oktober haben die Rothirsche laut Knut König Brunft, also Paarungszeit. Charakteristisch dafür ist das laute Röhren der Hirsche. Denn meist gibt es mehrere Anwärter, wenn es um die Begattung eines Kahlwildrudels gehe. So werden die weiblichen Hirschrudel genannt.
Um herauszufinden, welcher Hirsch der stärkste ist und sich paaren darf, wird kräftig geröhrt, um Konkurrenten abzuschrecken. Lässt sich ein anderer Hirsch davon nicht beeindrucken, kommt es auch mal zu einem Kampf, so König. Der Gewinner trage von nun an den Titel "Platzhirsch".
Damit wir einen Hirsch hören, hat Knut König sich in den vergangenen Tagen mächtig ins Zeug gelegt. Er war mehrfach im Wald unterwegs, um zu sehen, ob sich hier überhaupt Hirsche niedergelassen haben. Man braucht immer ein wenig Glück bei der Hirschsuche, sagt König.
Wir seien eigentlich ein wenig zu früh unterwegs, weshalb wir uns wohl erst noch ein wenig gedulden müssen. Außerdem sei es für die aktuelle Jahreszeit sehr warm, weshalb viele Hirsche noch keine Lust hätten, sich zu paaren. Meine Euphorie ist etwas gebremst.
Bei den sommerlichen Temperaturen Ende September ist es für die Hirsche noch zu warm für die Brunft. Das sind die Tiere nicht gewohnt. Deshalb werden sich viele sicherlich erst im Laufe der kommenden Wochen paaren.
Die Hirsch-Pirsch geht los
Schön im Entenmarsch hintereinander laufen wir immer tiefer in den Wald hinein. An einer Futterstelle gleich neben einem Hochsitz erklärt uns Knut König, wie Jäger von hier aus die Tiere beobachten und entscheiden, ob sie gesund seien oder nicht, ob sie abgeschossen werden müssen oder nicht. Es sei die wichtigste Aufgabe eines Jägers, den Wald und seine Population zu schützen.
Viele natürliche Fressfeinde hätten Hirsche zudem nicht. Da sie zu den größten Säugetieren Deutschlands gehören, gibt es laut König nicht viele Waldbewohner, die sich mit so einem Hirsch anlegen. Teilweise würden Wolfsrudel Hirsche jagen. Luchse, Uhus oder Adler könnten nur junge oder kranke Hirsche erlegen.
Faszination Wild
Unterwegs komme ich mit Anna ins Gespräch. Sie erzählt mir von einer Erfahrung vor ein paar Jahren, bei der sie einem Rehbock im hohen Gras gegenüberstand. "Wir schauten uns für ein paar kurze Augenblicke an, wie festgewachsen. Und dann ist das Reh weggerannt." Das hat sie beeindruckt. So eine Begegnung würde sie hier sicher wiederholen wollen.
Ein Stückchen weiter zeigt uns Knut König das Geweih eines Hirsches, das die Tiere zur Verteidigung einsetzen. Den Kopfschmuck aus Knochensubstanz scheuern sich die Tiere einmal im Jahr an Bäumen ab. Danach wächst direkt wieder ein neues Geweih. Dies sei nicht mit Hörnern von Ziegen, Gämsen oder Muffelwild zu verwechseln, welche laut König ein Leben lang wachsen.
Es ist ein Hirsch entsprungen
Langsam aber sicher wird es dunkler und dunkler. Unsere Wanderung wird anstrengender. Zuerst waten wir durch ein Meer aus Blaubeersträuchern und dann geht es einen steilen Hang hinauf. Plötzlich hören wir ein lautes Röhren.
Oh, das war aber jetzt ein Hirsch, oder?
Knut König ist sich sicher, das war einer. Jetzt bin ich auch aufgeregt.
Oben angekommen, flüstern plötzlich alle nur noch. Ich frage mich kurz warum. Na klar, wir müssen leise sein, um die Hirsche nicht zu verschrecken. Wir setzen uns mitten in den Wald. Versuchen ganz leise zu sein, um endlich ein paar Hirsche zu hören.
Und dann hören wir es: ein lautes Röhren. Und dann noch eins. Dann ist es wieder still. Minuten ziehen sich wie Stunden, während wir dort auf dem Waldboden sitzen und warten. Plötzlich verstehe ich, was damit gemeint ist: Zeit ist relativ. Nach einer Weile will Knut König mit uns noch ein Stück weitergehen.
Eine Frau sagt, dass sie doch jetzt schon zweimal das Röhren gehört hätten, was doch ganz gut sei. König gibt zu, dass eines der beiden Geräusche von ihm gekommen ist. Er habe den Brunftschrei über eine Musikbox abgespielt, um die Tiere zu animieren. Ein kleiner Dämpfer.
Mit dem Nachtsichtgerät unterwegs
Die meisten von uns versuchen nur zu hören. Einer aber, Robert heißt er, will die Hirsche auch sehen. Er erzählt, dass er einmal einem Hirsch bis auf zehn Meter nahe gekommen ist. Da habe er "ganz schön Schiss gehabt". Mit seinem Nachtsichtgerät könne er das Tier ja auch von Weitem sehen.
Der zweite Versuch
Es geht weiter. An einer Wegkreuzung bleiben wir stehen. Aus der Entfernung können wir einen Brunftschrei hören. Dann wird es still. Und ein paar Sekunden später wieder ein Röhren. Hier scheinen wir einen guten Platz erwischt zu haben, denke ich und schalte mein Mikrofon ein. Immerhin will ich nicht ganz mit leeren Händen nach Hause gehen und wenigstens ein paar coole Tonaufnahmen machen.
Da man ja bekanntlich aufhören soll, wenn es am schönsten ist, sollte das auch die letzte Station unseres Abends gewesen sein. Nach zehn Minuten Fußmarsch erreichen wir den Parkplatz. Es gibt Beifall für Knut und Daphna. Ich bin jetzt ganz schön im "Hirschfieber". Das war sicherlich nicht die letzte Brunftwanderung, die ich gemacht habe. Und vielleicht fahre ich im nächsten Jahr auch mal auf die Deutsche Meisterschaft der Brunftschrei-Imitatoren.