Streit ums Kind Familienrichter: "Gerichtliche Entscheidung ist das schlechteste Instrument"
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11. Februar 2023, 06:30 Uhr
Wenn es nicht funktioniert, trennt man sich vom Partner. Patchworkfamilien sind dadurch selbstverständliche Lebenskonzepte geworden. Dazu gehören Absprachen, wer wann die Kinder betreut. Doch es gibt Fälle, wo sich die Eltern über den Umgang zu ihren Kindern nicht einig werden. Der Streit geht dann bis vor das Familiengericht. Der Amtsgerichtsdirektor in Pirna, Alexander Klerch, verhandelt solche Fälle. Diese erfordern Berufs- und Lebenserfahrung, betont der 52-Jährige.
Seit wann gibt es gerichtliche Anordnungen, die für getrennte Eltern den Umgang mit ihren Kindern regeln?
Alexander Klerch: Das ist nicht neu. Ich habe zu Hause noch ein Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) von 1974. Da steht zum Beispiel, dass der nicht betreuende Elternteil das Recht hat, mit seinem Kind zu verkehren. Die nicht mehr gebräuchliche Formulierung bedeutet im Prinzip dasselbe, was wir heute mit Paragraf 1684 zum Umgangsrecht im BGB haben. Also dieses Recht auf Umgang gab es auch schon vor 50 Jahren. Und es konnte mit Ordnungsstrafen durchgesetzt werden, wenn es verweigert wurde.
Was sich geändert hat, sind die Modalitäten: Es gab damals noch keine Umgangspflegschaft, keine Umgangsbegleitung und keine konkreten Regelungen, Umgang für eine bestimmte Zeit aufgrund gewisser Gefahren auszuschließen. Das ist heute alles gesetzlich geregelt.
Die familiengerichtlichen Entscheidungen auf Grundlage dieses Umgangsgesetzes scheinen stark zu variieren. Wie kommt das?
Der Ablauf eines Kindschaftsverfahrens hängt sehr von der Richterpersönlichkeit ab. Das liegt daran, dass das Verfahrensrecht zum Bereich der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört. Dort sind die Verfahrensvorschriften weitaus weniger streng als im Straf- oder Zivilverfahren. Das bedeutet, in der Gestaltung, wie der Richter sein Verfahren aufbaut, ist er relativ frei.
Aber das Umgangsrecht steht im Raum. Und egal welchen Richter man erwischt, dass im Verfahren im Regelfall Umgang herauskommen wird, davon gehe ich schon aus.
Ihnen ist es lieber, wenn Eltern nicht mit einer gerichtlichen Anordnung aus dem Saal gehen?
Mir ist es wichtig, den Eltern deutlich zu machen, dass die gerichtliche Entscheidung in aller Regel das schlechteste Instrument ist. Weil sie in vielen Situationen dazu führt, dass einer in Anführungsstrichen gewinnt und einer verliert. In Kindschaftsverfahren steht aber ein Kind im Mittelpunkt und dazu passt gewinnen und verlieren nicht.
Auch versuche ich, Eltern zu sensibilisieren, ihre Verantwortung nicht beim Gericht abzuladen. Dementsprechend bin ich in meinen Verfahren eher ein Vermittler, als jemand, der entscheidet.
Ich würde mal sagen, von den Sorge- und Umgangsverfahren, die ich habe, entscheide ich weniger als zehn Prozent. In allen anderen Fällen erreiche ich eine Einigung. Bei der haben zwar beide Elternteile zu schlucken, aber sie können sagen: 'Es ist ein Kompromiss und damit versuchen wir es jetzt.'
Manche Umgangsverfahren ziehen sich lange hin.
Ich habe aktuell keinen Fall, der mich viele Jahre begleitet. Es liegt an der Gestaltung durch den Richter. Natürlich kann ich sagen, ich bin vorsichtig und probiere erst einmal Zwischenlösungen, bevor ich meine endgültige Entscheidung treffe. Ich finde aber, dieser begleitende Prozess sollte im Regelfall nicht übers Gericht laufen, sondern über das Jugendamt.
Ich denke, man sollte so schnell wie möglich zu einer abschließenden Entscheidung kommen. Also wenn ich jetzt sage, wir gehen in ein Wechselmodell, dann lasse ich das Verfahren nicht schweben und schaue nach einem Jahr, ob das funktioniert hat. Meine Philosophie ist zu sagen, wir gehen jetzt in dieses Wechselmodell. Wenn es aber nicht mehr funktioniert, muss man eben ein neues Verfahren anstrengen und es abändern. Wobei Eltern von gerichtlichen Anordnungen jederzeit abweichen können, wenn sie sich einig sind.
Überhaupt sollten sie, bevor sie zum Gericht kommen, sich der Hilfe des Jugendamts bedienen - also versuchen, es niederschwelliger zu lösen als mit der hohen Keule der gerichtlichen Entscheidung.
Ab welchem Alter wird das Kind bei den Verfahren angehört?
Gesetzlich geregelt ist, dass Kinder ab 14 Jahre zwingend anzuhören sind. Meist geht es bei Umgangsverfahren aber um Kinder, die deutlich unter zehn Jahre alt sind. In der gerichtlichen Praxis werden die Kinder in aller Regel angehört, wenn man eine gute Chance hat, halbwegs sachdienlich mit ihnen reden zu können. Meine Richtschnur ist, dass ich bei Drei- und Vierjährigen anfange, sie anzuhören. Der Kindeswille spielt jeweils eine größere Rolle, je älter und reifer das Kind ist.
Manche Betroffenen schildern später, dass die Anhörungen in ihrer Kindheit anstrengend waren und unheimlichen Druck ausübten.
Wir versuchen, die Situation so angenehm wie möglich für die Kinder zu gestalten. Ich kenne kein Gericht, in dem es nicht ein spezielles Kinderanhörungszimmer gibt. Unser Recht ist so ausgestaltet, dass keine Entscheidung ohne persönliche Anhörung der Hauptbetroffenen stattfindet. Deswegen sind die Kinder anzuhören. Ich halte es für wichtig. Aber Druck baut es auf. Das ist keine Frage.
Unter anderem für Gutachten führen verschiedene Leute mit den betroffenen Kindern Gespräche. Da kann eine ganze Menge auf die Kleinen zukommen.
Das kann im Einzelfall problematisch sein. Aber man kann es nicht schematisch beantworten. Erst einmal ist es ja so, dass meistens die Kinder, die zu Gericht kommen, schon einmal einen Sozialarbeiter des Jugendamtes kennen. Denn in den meisten Fällen hat vorher das Jugendamt vermittelt. Darüber hinaus gibt es häufig eine nochmals vorgelagerte Familienhilfe. Hier haben die Mitarbeiter auch schon mal mit dem Kind gesprochen.
Dann geht es weiter, dass wir in aller Regel einem Kind im Kindschaftsverfahren einen sogenannten Verfahrensbeistand bestellen müssen, der natürlich auch mit dem Kind spricht. Im Extremfall kann es sein, dass man auch ein familienpsychologisches Gutachten braucht, dann kommt der Gutachter noch obendrauf.
Es gibt Kinder, die finden das vielleicht sogar gut, so breit gehört zu werden. Andere werden davon völlig verschreckt. Das können wir generell nicht ändern.
In einer 2022 veröffentlichten Studie von Wolfgang Hammer zum Familienrecht wird festgestellt, dass Müttern oft der Vorwurf gemacht werde, sie manipulierten die Kinder zu Ungunsten des Vaters? Wie sehen Sie das?
Dass die Mutter manipuliert, damit das Kind sagt, es will keinen Umgang - diese Unterstellung gibt es nicht. Aber die Erfahrung zeigt, dass es in Einzelfällen passiert. Wir haben ganz viele Fälle, wo einfach eine subjektive nachvollziehbare Befürchtung bei der Mutter da ist. Und dann gibt es viele Fälle, wo zum Beispiel die Mutter schlechte Erfahrungen hatte: Er hat sich in unserer gemeinsamen Zeit nie um das Kind gekümmert. Ich bin immer zum Arzt gegangen. Jetzt will er sich die Rosinen rauspicken.
Dann gibt es aber natürlich auch die Fälle, wo man schon den Eindruck hat, aus dem persönlichen Hass heraus, will die Mutter den Umgang einfach verhindern, will den Vater aus dem Leben des Kindes verdrängen.
Ich beurteile jeden Fall individuell und mache mir meinen Eindruck. Ein Richter, der Vorurteile hat, sollte den Beruf nicht ausüben. Und bei allem, was wir tun, steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Das sollte man nicht aus dem Auge verlieren.
Ergebnis der Studie von Wolfgang Hammer
Für seine Studie hat der Soziologe Wolfgang Hammer mehr als 1.000 familiengerichtliche Fälle zum Umgangs- und Sorgerecht untersucht.
Kritisiert werden dabei Entscheidungen, die das Kindeswohl nicht berücksichtigten, sondern augenscheinlich vornehmlich Elternrecht durchsetzten.
Gesunde, gut integriertes Kinder würden aus ihrem Umfeld herausgelöst und dadurch traumatisiert, so ein Fazit der Studie.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 27. September 2022 | 20:15 Uhr