Welthurentag Verruchtes Dresden: Von Liebe, Sex und Prostitution
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08. Juni 2024, 19:30 Uhr
Die Fassade ist immer nur ein Teil der Wahrheit. Anlässlich des Welthurentages entführt das Gesundheitsamt der Stadt Dresden in die (historische) Parallelwelt der Landeshauptstadt, von der offiziell nur wenige wissen, doch schon über Jahrhunderte viele beteiligt waren. Verdeckter Sex und Prostitution ist auch ein Teil der glänzenden Barockstadt – damals und heute.
- Das erste Bordell Dresdens wurde von der Stadt selbst betrieben. Gesundheitsamt möchte auf die Diskriminierung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern aufmerksam machen.
- Sexarbeit spielt heute eine große Rolle, etwa 200 bis 300 Frauen, Männer und Transmenschen arbeiten in Dresden. Otto Dix hat mit seinem berühmten Gemälde "Großstadt" der Prostitution in Dresden ein Denkmal gesetzt.
- Coselgulden zeigt Vagina der Gräfin Cosel
Um eines vorweg zu nehmen: Das erste Bordell Dresdens wurde nicht von windigen Zuhältern, sondern von der Stadt selbst betrieben - allerdings nicht im Sinne der Gleichberechtigung. Die Oberaufsicht der zehn bis 15 Frauen oblag dem städtischen Henker. Er wachte über die Ordnung in dem erstmals 1415 erwähnten "Frauenhaus" in der Lochgasse, heute Wilsdruffer Straße. Dort, wo heute viele genüsslich bei einer bekannten Fast-Food-Kette in den Burger beißen, vergnügten sich im 15. Jahrhundert Männer in den Armen und zwischen den Beinen fremder Frauen – natürlich meistens ganz geheim.
Auf die Diskriminierung von Prostituierten aufmerksam machen
"Prostitution und Sexarbeit existieren offiziell meistens nicht", erklärt Gästeführerin Anneke Müller. "Doch wir wissen alle, dass es Prostitution gibt, schon immer gegeben hat und auch in Zukunft weitergeben wird." Weil das Geschäft mit dem Sex jedoch oft im Verborgenen liege, sei erstens wenig bekannt und hätten Prostituierte oft wenig Schutz und Rechte. Um auf die Diskriminierung von Prostituierten aufmerksam zu machen, hat das Gesundheitsamt anlässlich des Welthurentags eine Gästeführung zur Geschichte der Prostitution in Dresden organisiert.
Der Welthurentag
Der Welthurentag geht auf einen Aufstand im französischen Lyon zurück. Am 2. Juni 1975 besetzten dort mehr als 100 Prostituierte die Kirche Saint Nizier, um auf ihre schlechten und diskriminierenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse aufmerksam zu machen.
Sie forderten die Freiheit ihrer Berufsausübung und erregten weltweit Aufsehen. In vielen anderen Ländern kam es zu Sympathiebekundungen auch außerhalb des Milieus. Seitdem wird dieser inoffizielle Gedenktag als Welthurentag begangen.
Etwa 200 bis 300 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter heute in Dresden
"Auch in der Dresdner Stadtgesellschaft spielte und spielt Sexarbeit eine Rolle", erklärte Matthias Stiehler, Leiter des Sachgebietes Sexuelle Gesundheit im Gesundheitsamt, das kostenfreie Beratungen für Prostituierte anbietet. Es gebe zwar in Dresden kein ausgewiesenes Rotlichtviertel, doch sexuelle Dienstleistungen würde vor allem in Wohnungen und kleinen Häusern angeboten. Die genaue Zahl der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sei nicht bekannt. "Wir gehen jedoch davon aus, dass jeden Tag etwa 200 bis 300 Frauen, Männer und Transpersonen ihre sexuellen Dienstleistungen anbieten."
Otto Dix setzte mit Triptychon "Großstadt" der Prostitution in Dresden ein Denkmal
Doch zurück zur liebestollen Gästeführung: In zwei Stunden ging es vom Altmarkt durch das ehemalige verruchte Viertel um das Rathaus herum bis zur Polizeistation, dem Kurländer Palais, der Kunsthochschule und dem Zwinger. Die Gäste erfahren: Der Alte Fritz hat sich in Dresden Syphilis geholt, Casanova bei den als sehr schön gelobten Dresdner Frauen Tripper – trotz seines Schafdarm-Kondoms - und der berühmte Maler und ehemalige Professor der Dresdner Kunsthochschule Otto Dix hat mit seinem berühmten Triptychon "Großstadt" der Prostitution in Dresden "ein Denkmal gesetzt". Die berühmte Malerei gilt gar als Schlüsselbild der Goldenen Zwanziger und ist – nein, nicht in Berlin – sondern in Dresden entstanden!
Dix trieb sich im Rotlichtviertel herum
"Die Damen auf den Bildern von Dix sahen immer so aus, als ob er sie gut gekannt hatte", erzählt Gästeführerin Anneke Müller. "Wahrscheinlich war das auch so, Otto Dix trieb sich regelmäßig im Rotlichtviertel herum." Der Maler Otto Dix ist bekannt für seine Hurenbilder. Die Darstellung von Prostitution, Frauen und (versehrter) Weiblichkeit ist ein Zentrum seines Schaffens. Doch nicht nur Dix, sondern viele andere Prominente verlustierten sich im Leib-und Liebesleben Dresdens.
Dresdnerinnen viel schöner als Französinnen und Italienerinnen
Etwas früher als den Maler Otto Dix verschlug es Ende des 18. Jahrhunderts den venezianischen Schriftsteller und Frauenheld Giacomo Casanova (1725-1798) nach Dresden. Bei seinem ersten Besuch 1752 war der liebeshungrige Italiener gerade einmal 27 Jahre alt. Das ist laut Gästeführerin Müller auch Thema seiner Memoiren geworden. Darin hieß es: "'In den ersten drei Monaten war ich damit beschäftigt, alle käuflichen Schönheiten Dresdens kennen zu lernen."
Casanova machte aus seinen Erfahrungen keinen Hehl, im Gegenteil. Er lobte die Dresdnerinnen für ihre schönen Körper, die viel schöner als die der Italienerinnen und Französinnen seien. Allerdings, erklärt Müller, beschrieb Casanova die Dresdnerinnen als "kühl, so dass es ihnen an Anmut mangelte".
Kein Schutz durch Schafdarm-Kondom Casanova holt sich in Dresden Tripper
Gern hätte der ungestüme Italiener sich mit noch mehr Damen verlustiert, daran hinderte ihn jedoch eine Ansteckung. "Casanova vögelte sich in Dresden fast ins Verderben", erklärte Müller. Er versuchte sich zwar mit seinem Schafdarm-Kondom zu schützen, es half jedoch alles nichts. "Casanova steckte sich mit Geschlechtskrankheit Tripper an." Keine schöne Angelegenheit, wenn auch nicht ganz so gefährlich wie Syphilis.
Der Alte Fritz steckte sich in Dresden mit Syphilis an
Mit der damals noch sehr schwer behandelbaren Geschlechtskrankheit Syphilis musste sich hingegen der Alte Fritz zeitlebens herumschlagen. Auf Einladung August des Starken reiste sein Vater mit dem damals noch sehr jungen Friedrich dem II. nach Dresden. "Um den Thronfolger, der eher Männern zugetan schien, auf andere Gedanken zu bringen, organisierte Graf von Brühl ein paar Tänzerinnen für eine Party im Kurländer Palais", erklärte Müller. "Dabei steckte sich der preußische Königsohn mit Syphilis an."
Das sei kein Spaß gewesen, damals habe man die Krankheit noch mit Quecksilbersalbungen behandelt, was zu großen Nebenwirkungen führte. "Der Alte Fritz hat das dem Graf Brühl wahrscheinlich so übel genommen, dass er im Siebenjährigen Krieg sein Schloss Belvedere auf der Brühlschen Terrasse wegbombte."
Wildes Treiben nach dem Zweiten Weltkrieg
Zu einer wahren Explosion von Geschlechtskrankheiten kam es in Dresden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Froh, lebend davongekommen zu sein und der Enge der noch nicht zerbombten Wohnungen entfliehend, trieben sich vor allem viele junge Leute bei den Live-Bands in den großen Tanzhäusern herum. Natürlich wurde dort nicht nur gehört, sondern auch gefühlt. "Auch Prostitution hat es in dieser Zeit natürlich gegeben, gezahlt wurde in Naturalien", erklärt Müller. Der Boom von Geschlechtskrankheiten führte zu Aufklärungskampagnen, aber auch zur "öffentlichen Bekanntmachung von Erkrankten".
Geschlechtskrankheiten steigen auch heute – besonders bei Menschen ab 50
Doch wer denkt, es handle sich um ein Thema von gestern – weit gefehlt. Besonders bei älteren Menschen ab 50 Jahren steigt die Zahl der Diagnosen. Eigentlich ein Tabu, doch "Online-Dating-Plattformen, steigende Scheidungsraten, Potenzsteigerungsmittel und das Wegfallen der Sorge vor ungewollter Schwangerschaft sind einige Gründe für mehr sexuelle Aktivität, die allerdings folgenschwer sein kann, warnen die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und die Deutsche STI Gesellschaft (DSTIG). Allein bei Syphilis sei laut Robert Koch-Institut die Neuinfektionen von 2021 auf 2022 um 23 Prozent gestiegen auf 8.310 gemeldete Fälle gestiegen.
Coselgulden zeigt Vagina der Gräfin Cosel
Zurück zur Lust: Dass August der Starke überhaupt nicht höfisch bieder war, ist hinlänglich bekannt. "Im Liebesrausch schwelgte er auch mit der Gräfin Cosel (1680-1765), die ihm sogar drei Kinder schenkte", erklärte Müller. "August soll mit seiner Mätresse gewettet haben, ihre Vagina auf eine Münze prägen zu lassen." Und tatsächlich: Wer sich den Cosel-Gulden einmal genauer ansieht, kann zwischen dem polnischen und dem sächsischen Wappen eine Vagina erkennen. "Sie soll die Intimzone der Gräfin abbilden", erklärte Müller lachend.
Nach der Wende warteten Prostituierte in Wohnwagen
Wahrscheinlich war August der Starke so eine schillernde Ausnahme, dass die Barockstadt noch heute ganz aufgeregt über ihn spricht. "Eigentlich galt Dresden in Sachen Prostitution und freier Liebe schon immer als sehr konservativ", sagte Müller. Das könne in dem höfischen Gehabe begründet seien, welches sich über Jahrhunderte in der Stadt etabliert habe. "In der DDR wurde - ausgerechnet 1968, im Westen feierte man hier gerade die sexuelle Revolution – die Prostitution öffentlich verboten", umriss Müller die nahe Vergangenheit.
Nach der Wende sei es, wahrscheinlich auch als Gegenentwurf, zu einem regelrechten Boom gekommen. "Noch heute können sich viele an die Wohnwagen der Prostituierten in der Stauffenbergallee erinnern."
Und heute: Sexarbeit verdeckt in Wohnungen
"Natürlich ist Sexarbeit noch immer präsent", erklärt Marie Niemeyer. Sie berät in der Daria-Fachberatungsstelle Sexarbeit junge und auch ältere Frauen, Männer und auch Transmenschen. "Hier in Dresden gibt es keinen Straßenstrich, Sexarbeit findet vor allem verdeckt in Wohnungen statt." Etwa 30 Wohnungen seien offiziell angemeldet, die Dunkelziffer werde allerdings höher geschätzt.
Laut dem Prostituiertenschutzgesetz müssen Wohnungen als "Betriebsstätten" offiziell angemeldet werden, dies geschehe aber aus verschiedenen Gründen nicht immer. In einer eigenen MDR-Recherche hat die Stadt Dresden die Zahl der Wohnungen im Jahr 2018 noch auf etwa 60 bis 100 geschätzt.
Betriebserlaubnis für Bordelle
Doch nicht nur Wohnungen müssen angemeldet werden, auch Escort-Agenturen, Sex-Wohnwagen sowie Veranstalter von Flatrate-Partys bedürfen einer Genehmigung – kurzum alle Betreiber, die ihr Geld mit Sex verdienen. "Darunter fallen nicht nur Bordelle und bordellartige Betriebe, sondern auch alle anderen Erscheinungsformen gewerblicher Prostitution", heißt es im Gesetz.
Neuer Trend: Strohmänner mieten Airbnb-Wohnungen
Als Vermittler für die Wohnungen fungieren nicht selten professionelle Agenturen. Seit einiger Zeit werden Wohnungen für zwei, drei Wochen über AirBnB angemietet. Strohmänner bundesweit agierender Netzwerke erledigen das und schickten Frauen bundesweit zum Arbeiten, erklären Insidern. Sie hätten somit nicht die Chance, sich vertrauensvoll an jemanden zu wenden, sich beraten oder untersuchen zu lassen.
Prostituierte mieten sich wie in einem Co-Working-Space ein
Umso glücklicher ist Beraterin Niemeyer, wenn sie in Kontakt mit Prostituierten steht. "Es ist so, dass Menschen sich tageweise, wochenweise, monatsweise in diese Arbeitswohnungen einmieten können und dafür eine Miete bezahlen", erklärt Beraterin Niemeyer. "Es ist davon auszugehen, dass in den legalen Wohnungsmodellen alles regelmäßig kontrolliert wird. Tatsächlich werden gerade die kleineren Wohnungen von vielen Sexarbeiterinnen als sehr wertvolle Arbeitsorte beschrieben."
Gewinne auf Kosten der Prostituierten?
Doch was ist mit den "professionellen Agenturen" und auch den Strohmännern, die ihre Wohnungen nicht angemeldet haben? Wirtschaften sie auf Kosten der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter am Staat vorbei? "Sexarbeit ist wie eine riesengroße Farbpalette. Es gibt schillernde und gedeckte Farben und es sind auch Farben, die dunkel und grausam und braun sind. Die gibt es auch hier in Dresden", erklärt Niemeyer. "Da ist die Grenze, wo es strafrechtlich relevant wird. Hier verweise ich gerne an meinen Kolleginnen von Beratungsstellen für Betroffene von Menschenhandel, weil da meine Expertise endet."
Prostitution unter Strafe: Gesundheitsamt zweifelt an Wirksamkeit von Sexkaufverbot
Aktuell fordert das EU-Parlament ein europaweites Sexkauf-Verbot, auch die CDU/CSU-Fraktion hat im Bundestag ein entsprechendes Verbot gefordert. Der Chef des Bereichs für sexuelle Gesundheit im Dresdner Gesundheitsamt sieht das kritisch. "Wir bezweifeln auf Grundlage unserer Erfahrungen, die während der Corona-Zeit gesammelt wurden, ob damit Zwangsprostitution und Menschenhandel eingedämmt werden können", erklärt Stiehler. "Vielmehr ist zu befürchten, dass durch ein Prostitutionsverbot Illegalität zunimmt und in deren Folge Zwangssituationen für diejenigen zunehmen, die in der Sexarbeit tätig sind."
Verbote während Covid-Pandemie hat Szene unübersichtlich gemacht
Die Zeit der Covid-Pandemie hat laut Stiehler gezeigt, dass trotz aller Verbote Prostitution stattfand. Allerdings habe sich die Szene verändert. "Werbung fand ausschließlich über das Internet und Handys statt. Insbesondere der Anteil ausländischer Frauen, die ständig die Wohnungen wechseln, nahm zu", erklärte Dresdens Gesundheitschef. "Für Polizei sowie Gesundheitsamt und Fachberatungsstellen wurde es viel schwieriger, den Überblick und die Kontakte zu halten."
Viel Sex trotz strenger Sittenpolizei
Anneke Müller weiß: Egal, welches Jahrhundert - in Dresden gab es immer und viel Sex, trotz einer noch so strengen Sittenpolizei.
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