Jugendliche bei einer Schlägerei mit Messer
Seit dem Jahr 2022 nehmen Raubstraftaten an Jugendlichen in Dresden massiv zu. Dabei werden auch Messer eingesetzt, um die Opfer einzuschüchtern. Täter sind oft Gleichaltrige. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / KEYSTONE | MARTIN RUETSCHI

Jugendkriminalität Raubüberfälle auf Jugendliche in Dresden: "Wir brauchen einen langen Atem"

23. Juli 2023, 06:00 Uhr

2022 ist die Zahl der Raubstraftaten an Jugendlichen in Dresden massiv gestiegen. Die Täter: Gleichaltrige, hauptsächlich männliche Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren. Die Polizei ruft daraufhin die Sonderkommission Iuventus ("Jugend") ins Leben. Im Zusammenspiel mit anderen Behörden sollen die Täter ermittelt und die Überfälle aufgeklärt werden. Doch das junge Alter der Beschuldigten und die Tatumstände machen eine Strafverfolgung schwierig.

  • Im Dezember 2022 geht in Dresden die Soko Iuventus an den Start, um die zunehmende Zahl von Raubüberfällen an Jugendlichen aufzuklären. "Ohne die Soko wären es noch mehr", ist die Soko-Leiterin überzeugt.
  • Von den bisher 152 ermittelten jugendlichen Tatverdächtigen sitzen elf in Untersuchungshaft. Für die Staatsanwaltschaft ist vor allem die Beweislage ein Problem.
  • Um Kinder, Eltern und Lehrer zu sensibilisieren, hat die Polizeidirektion Dresden ein Präventionsprojekt mit 20 Schulen gestartet.

Rund sieben Monate nach ihrem Start zieht die Soko Iuventus in Dresden ein erstes, zaghaft positives Fazit. Im Kampf gegen ein aktuelles Phänomen im Bereich der Jugendkriminalität wurden bis Anfang Juli dieses Jahres 152 Tatverdächtige ermittelt, wie Soko-Leiterin Nadine Schaffrath im Gespräch mit MDR SACHSEN bilanziert.

Das sind 152 meist männliche Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren, die Gleichaltrige bedrohen, bestehlen und Gewalt anwenden. "Diese Zahl sagt eigentlich alles", so die Polizeibeamtin. Dass inzwischen so viele Tatverdächtige ermittelt werden konnten, wertet die Sonderkommission als Erfolg. "Doch wir müssen einen langen Atem haben." Denn das Problem, davon ist die Soko-Chefin überzeugt, werde sich nicht in ein paar Monaten erledigt haben.

"Ohne Soko wären es noch mehr Straftaten"

243 Straftaten aus diesem und dem vergangenen Jahr ordnet die Soko dem Bereich zu, Tendenz steigend. "Ohne Soko wären es noch mehr", betont Schaffrath. Um das Problem beherrschbar zu machen, nahm die Sondereinheit am 1. Dezember 2022 ihre Arbeit auf. "Die Raubstraftaten an Jugendlichen hatten sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht", so Schaffrath. "Die normale Polizeistruktur konnte es nicht mehr bewältigen. Es war einfach zu viel."

Nach einem halben Jahr wissen wir, wer mit wem abhängt. Wir kennen von den Gruppierungen die harten Kerne. [...] Wir sprechen aber nicht von festen Gruppierungen und auch nicht von Jugendbanden, weil die Personen um die Hauptakteure wechselnd sind.

Nadine Schaffrath Leiterin Soko Iuventus

Polizei kontrolliert jugendliche Gruppierungen im Stadtgebiet

Elf Ermittler gehören der Soko an. In enger Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Schulamt und Ausländerbehörde versuchen sie, die Taten schnell aufzuklären und die Täter zu überführen. "Das ist bei Jugendlichen umso wichtiger, weil natürlich schnell etwas passieren muss", erklärt die Soko-Leiterin und schildert das Vorgehen der Polizei: "Wir kontrollieren im Stadtgebiet jugendliche Gruppierungen, die uns relevant erscheinen. Und wir untersuchen auch mal Sachen oder Personen, wenn es für uns rechtlich möglich ist." Ziel sei es, den Jugendlichen zu zeigen, dass die Polizei da sei und "etwas tut". Außerdem gehe es darum, Zusammenhänge zwischen handelnden Personen herzustellen.

Wie gehen die Täter vor? Laut Soko-Leiterin Nadine Schaffrath gehen die Täter bei den Überfällen nach einem ähnlichen Muster vor: "Der Modus Operandi ist der, dass die Jugendlichen in unterschiedlich großen Gruppierungen agieren. Das können drei bis vier, aber auch bis zu 20 Personen sein. Sie treten an die Opfer heran, meist noch freundlich und sprechen sie unter einem Vorwand an. Dann wird aber schnell Gewalt angedroht. Die Opfer sollen zeigen, was sie in den Taschen haben oder es wird in die Taschen reingeguckt. Und dann werden Dinge weggenommen oder es wird Gewalt angedroht und die Opfer geben die Sachen freiwillig heraus. Mitunter wird körperliche Gewalt angewendet, das ist aber nicht die Regel."

Zunehmend Messer, Schlagstöcke und Pfefferspray im Einsatz

Doch genau an dieser Stelle wird es schwierig. Denn es gibt keine festen Gruppierungen bei den jugendlichen Tätern. Das bestätigt auch Oberstaatsanwältin Ulrike Markus von der Staatsanwaltschaft Dresden. "Auffällig ist hierbei, dass die Gruppen, aus denen die Straftaten hervorgehen, immer größer und weniger homogen sind. Und, zumindest ist das der Eindruck bei meinen Kolleginnen und Kollegen, zunehmend Waffen und Gegenstände wie Messer, Schlagstöcke, Pfeffersprays und auch Schreckschusspistolen verwendet werden."

Schlechte Fotos, Widersprüche - Beweise reichen für Anklage oft nicht aus

Von den 152 Tatverdächtigen saßen laut Soko Iuventus Anfang Juli elf in Untersuchungshaft, es gab zwei Verurteilungen und sieben weitere Personen erhielten Strafen in anderen Formen wie beispielsweise in sogenannten U-Haft-vermeidenden Einrichtungen.

Dass nur ein sehr geringer Teil der Tatverdächtigen bestraft wird, erklärt Oberstaatsanwältin Markus folgendermaßen: "Anklage gegen die Beschuldigten kann nur erhoben werden, wenn ein hinreichender Tatnachweis gegeben und davon auszugehen ist, dass es nach Durchführung der Hauptverhandlung zu einer Verurteilung kommen wird."

Was versteht man unter U-Haft-Vermeidung?

Ziel im Jugendstrafrecht ist es, straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende ohne Inhaftierung wieder "auf den richtigen Kurs" zu bringen. Dabei spielt in erster Linie die Zusammenarbeit mit den Eltern eine wichtige Rolle, die oft gar nichts von den Taten ihrer Kinder wissen. Manche Eltern räumen ein, an ihre Kinder "nicht mehr ranzukommen." Weil eine U-Haft von straffällig gewordenen Jugendlichen per Gesetz möglichst nicht angeordnet werden soll, um ihre Entwicklung nicht weiter zu gefährden, gibt es die sogenannte U-Haft-Vermeidung. Dabei kommen die Betroffenen in eine intensivpädagogische Einrichtung. Dort sollen sie sich mit ihren Taten auseinandersetzen und lernen, sich neue Lebensperspektiven zu erarbeiten. In Sachsen gibt es beispielsweise in Schönberg eine solche Wohngruppe des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschlands, CJD.

Welche Strafen sind für Straftäter zwischen 13 und 18 Jahren möglich?

Oberstaatsanwältin Ulrike Markus: "Täter, die das 14. Lebensjahr zum Tatzeitpunkt noch nicht erreicht haben, können strafrechtlich nicht belangt werden, da sie nicht strafmündig sind. Hier hat die Staatsanwaltschaft deshalb wenig Einflussmöglichkeit und kann ggf. nur das Familiengericht oder/und das Jugendamt unterrichten. In die Zuständigkeit der Jugendabteilung der Staatsanwaltschaft fallen neben Jugendlichen (14- bis 17-Jährige) auch die Heranwachsenden (18 bis 20 Jahre) , so dass hier auch Raubstraftaten von Tätern erfasst und bearbeitet werden, die zur Tatzeit das 18. Lebensjahr vollendet, aber das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Für Jugendliche und Heranwachsende, sofern diese nach ihrem Reifegrad Jugendlichen gleichstehen, sieht das Jugendgerichtsgesetz unterschiedliche Rechtsfolgen, u.a. Weisungen, Auflagen und Jugendstrafe - mit oder ohne Bewährung - vor. Der Erziehungsgedanke spielt jedoch eine übergeordnete Rolle und alle Maßnahmen müssen hieran gemessen werden.

Ulrike Markus räumt ein: "Bei den Raubstraftaten ist die Identifizierung der Täter häufig das Kernproblem." Das hänge zum einen mit den Gesamtumständen der Tat zusammen - es ist meist dunkel, die Täter tragen Kapuzen, die Zeugen machen widersprüchliche Angaben. Dazu komme die schlechte Qualität der Fotos, die der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden.

Ihre Behörde sei bereits mit der Polizei im Gespräch, wie die Qualität der Aufnahmen verbessert werden könnte. "Nur wenn die Tatbeteiligung über die Wiedererkennung der Täter sicher nachgewiesen kann, kann Anklage erhoben werden. Die Größe und Unübersichtlichkeit der handelnden Gruppe erschwert eine Identifizierung der einzelnen Täter beträchtlich", erklärt die Staatsanwältin.

Hürden im Jugendstrafrecht höher als bei Erwachsenen

Um objektive Beweise zu sichern, würden auch Durchsuchungen und Funkzellenabfragen veranlasst, führt sie weiter aus. Erst wenn ausreichend Beweise vorliegen, könne Anklage erhoben werden. Doch gerade im Jugendstrafrecht seien die Hürden für eine Verhaftung deutlich höher als bei Erwachsenen.

Ermittlungserfolge haben sich in Jugendszene herumgesprochen

Polizei und Staatsanwaltschaft sind sich darüber einig, dass die Einrichtung der Soko und die engere Zusammenarbeit der Behörden dringend notwendig war. Nicht nur, um die Straftaten aufzuklären, sondern auch, um ein Zeichen zu setzen. "Die spürbaren Ermittlungserfolge dürften sich in der Jugendszene herumgesprochen haben", ist Ulrike Markus überzeugt.

Hauptakteure haben oft Migrationshintergrund

Von einer "Entwarnung" sei man aber noch weit entfernt. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sehen vor allem in der sozialen Herkunft der Täter ein großes Problem. Die Polizei zählt von den 152 Tatverdächtigen 24 zu den Hauptakteuren, überwiegend mit Migrationshintergrund. "Die ganz überwiegend männlichen Täter scheinen vor allem ihre Macht demonstrieren und ihre Besitzwünsche rücksichtslos und sofort umsetzen zu wollen", beurteilt Ulrike Markus das Verhalten. "Die Gruppendynamik ist enorm wichtig, wobei mit der 'Abzieherei' regelrecht geprahlt wird."

"Toxische Männlichkeit" - fehlender Respekt gegenüber Behörden

Um das "Ruder umzureißen", müssten sowohl der familiäre Background, "der zur Unterstützung zur Verfügung steht – oder eben gerade nicht" ebenso berücksichtigt werden wie das weitere soziale Umfeld. "Teils sind aber nach unserer Erfahrung die Täter von derart 'toxischer Männlichkeit' geprägt, dass zunächst der Respekt vor Behörden und Institutionen erlangt werden muss."

Nach unserer Erfahrung sind die Täter teils von derart 'toxischer Männlichkeit' geprägt, dass zunächst der Respekt vor Behörden und Institutionen erlangt werden muss.

Ulrike Markus Oberstaatsanwältin, Staatsanwaltschaft Dresden

Oberstaatsanwältin: Notfalls Täter aus gewohntem Umfeld nehmen

Schulbildung und Alltagsstruktur sind nach den Erfahrungen der Staatsanwaltschaft von entscheidender Bedeutung. "Bei den hier gegenständlichen schweren Straftaten, wird die Verhängung von Jugendstrafe - mit oder ohne Bewährung – häufig zunächst alternativlos sein", sagt Ulrike Markus. Um langfristig etwas am Verhalten zu ändern, sei es zuweilen auch angebracht, den Beschuldigten aus dem "zu Straftaten anheizenden sozialen Umfeld herauszulösen und gegebenenfalls andernorts, im besten Falle in einer intensivpädagogischen Einrichtung" unterzubringen.

Gewaltexzess im März an den Elbwiesen

Besonders in Erinnerung geblieben ist Soko-Chefin Schaffrath und ihrem Team ein Fall im März dieses Jahres an den Elbwiesen am Schillerplatz. Eine Gruppe von 15 bis 20 Tätern trat auf eine andere jugendliche Gruppe zu, ganz offensichtlich mit dem Ziel, Gewalt anzuwenden. Eines der Opfer erlitt einen zweifachen Schädelbasisbruch. "Das ist der Fall, wo uns als Sachbearbeiter die Gewaltanwendung erschüttert hat."

Junge Menschen auf der Wiese vor Dresdenpanorama
Die Elbwiesen in Dresden sind nicht nur bei Touristen beliebt, auch die Jugend der Stadt trifft sich hier, um gemeinsam Zeit zu verbringen. In der Vergangenheit kam es vor, dass dabei Gruppen überfallen und ausgeraubt wurden. Solche Erlebnisse führen bei einigen Opfern zu Traumatisierungen, beobachtet die Dresdner Staatsanwaltschaft. Sie meiden öffentliche Plätze oder führen Pfefferspray bei sich. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Max Stein

Polizei führt Präventionsveranstaltungen in 20 Schulen durch

Inzwischen versucht die Polizei, potenzielle Opfer präventiv auf solche Gefahrensituationen vorzubereiten. Mit 20 Schulen sind jeweils vier Veranstaltungen vereinbart, bei denen die Polizisten in die Schulen kommen, aufklären und Tipps geben. Anderthalb Jahre sind dafür veranschlagt.

Als vor einigen Wochen einer dieser Präventionsabende in einem Dresdner Gymnasium mit interessierten Eltern stattfand, zeigten diese sich "geschockt und entsetzt" darüber, was sich abends im Stadtgebiet abspielt, erzählt eine Mutter MDR SACHSEN. Einem Vater sei der Kragen geplatzt, als die Polizisten rieten, dass sich die Kinder möglichst unauffällig und aufmerksam im öffentlichen Raum bewegen und ihre Handys nicht sichtbar tragen sollen. Dass sich sein Kind in seiner Freiheit einschränken soll, um nicht Opfer einer Straftat zu werden, das wollten weder der Vater noch andere Anwesende akzeptieren.

MDR (dkö,cst)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 08. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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