Überfallen von Gleichaltrigen Geschlagen, getreten und abgezogen - ein Jugendlicher berichtet
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23. Juli 2023, 06:00 Uhr
Jugendgruppen rotten sich zusammen, um Gleichaltrige auszurauben. Sie drohen mit Waffen, schlagen und treten brutal zu. Die Vorfälle haben sich in Dresden so gehäuft, dass die Polizei mit einer Sonderkommission dagegen vorgeht. Doch was macht so ein Überfall mit den Betroffenen? Ein 16-Jähriger berichtet.
Es war an einem Nachmittag im Mai vor zwei Jahren. Rufus, damals 14 Jahre alt, hatte sich mit einem Mädchen aus der Tanzschule verabredet. Sie liefen gemeinsam durch das Wohngebiet in Dresden-Mickten. "Plötzlich wurde ich von hinten angegriffen und zu Boden gerissen. Dann haben vier Jungs auf mich eingeschlagen", erinnert sich Rufus.
Erwachsene Anwohner wurden auf den Krach aufmerksam und fragten über die Hecke ihres Vorgartens herüber, ob denn alles in Ordnung sei. "Aber ein Junge meinte zu ihnen, ich wäre nur hingefallen." Rufus selbst habe in dem Augenblick nichts sagen können. "Ich war völlig verwirrt. Es wurde direkt losgelegt mit Schlägen und Forderungen, sodass da gar keine Zeit war, zu realisieren in welcher Situation man ist. Das kam erst später."
Plötzlich wurde ich von hinten angegriffen und zu Boden gerissen.
Ein 14-Jähriger, ein 18-Jähriger und zwei weitere Jugendliche – alle deutscher Herkunft – schlugen und traten zu. Vor allem gegen den Kopf, Hals und Rücken. Die Schläger wollten die Armbanduhr, Geld, das Handy und dazu den Entsperrcode. Wenn Rufus irgendwas erzähle, bringe man ihn und seine Familie um – so die Drohung. Dann warfen die Jungs die Schuhe von Rufus in eine Dornenhecke, zerstachen seine Fahrradreifen und rannten davon.
Überfall war geplant
Es war ein geplantes Verbrechen am helllichten Tage. Das Mädchen war die Freundin des Haupttäters und hatte Rufus in die Falle gelockt. Doch erst einmal war da die erlebte Brutalität, der Schmerz der Verletzungen und die nachklingende Drohung, die in seinem Kopf nachhallten. So etwas sei bis dahin weder einem seiner Freunde widerfahren noch ihm passiert. "Deswegen war es so surreal", erinnert sich der Dresdner.
Die Anwohner im Vorgarten sahen dann doch ein zweites Mal über die Hecke und riefen schließlich die Polizei zum Tatort. Die Polizisten seien sehr verständnisvoll gewesen, erinnert sich Rufus. Auf dem Revier machte der Schüler wenig später seine Zeugenaussage und Phantombilder wurden angefertigt. Der Check im Krankenhaus ergab keine bleibenden Verletzungen. Die Schürfwunden am Kopf wurden versorgt. Die Blutergüsse brauchten aber ihre Zeit, bis sie verschwanden.
Womit ich am meisten zu kämpfen hatte, war die Angst, die danach kam.
"Womit ich am meisten zu kämpfen hatte, war die Angst, die danach kam. Ich bin locker den nächsten Monat nicht mehr abends draußen gewesen", denkt Rufus zurück. In den ersten zwei Wochen, als die Täter noch nicht gefasst waren, ging der Schüler auch tagsüber nicht allein vor die Tür. Bei einer Gruppe, bei der man nicht weiß, wer noch so dazugehört, sei die gefühlte Bedrohung wesentlich größer als bei einem Einzeltäter, erklärt der Jugendliche.
Kein Zeichen von den Eltern der Täter
Relativ bald wurden die Täter von der Polizei überführt. Der 14-Jährige stellte sich als Haupttäter heraus. Das Handy tauchte am Dresdner Hauptbahnhof auf. "Es wurde wohl geklaut, um es weiterzuverticken", schlussfolgert Rufus, "meine Uhr habe ich nie wiedergesehen." Bis zur Gerichtsverhandlung dauerte es fast ein Dreivierteljahr.
Was Rufus' Mutter enttäuschte, war, dass sich die Eltern der Minderjährigen nicht ein einziges Mal meldeten und sich für ihre Kinder entschuldigten oder ihre Kinder dazu brachten, sich zu entschuldigen. Niemand fragte nach, wie es dem Verletzten geht. Dabei hatte zum Beispiel das Mädchen Rufus danach noch mehrfach in der Tanzschule gesehen. Rufus' Mutter sieht auch im sozialen Umfeld der Jugendlichen eine Mitschuld an deren Verhalten.
Auch zwei Jahre nach dem Überfall geht Rufus anders durch die Stadt. Die akute Angst sei weg, aber er blicke oft zweimal zurück, wenn er mit Freunden unterwegs ist. "Wenn einem dann länger Leute hinterherlaufen, wird es mir immer noch mulmig."
Stress im Alaunpark
Erst kürzlich gab es am letzten Schultag im Alaunpark Stress. "Wir waren in einer großen Gruppe und haben Geburtstag gefeiert", berichtet der inzwischen 16-Jährige. Es sei alles entspannt gewesen. Doch als gegen halb 2 die Polizeistreife vom Park wegfuhr, hätten sich immer mehr Fremde unter die Feiernden gemischt. Sie hätten nach einem Grund gesucht, Stress anzufangen.
"Einer kam auf mich zu, der war so alt wie ich. Als ich ihm die Hand schütteln wollte, hielt er sie fest, redete auf mich ein und ließ nicht los. Dann tauchte noch sein Kumpel hinter ihm auf." Rufus riss sich los und ging weg. Als er zurück an die Stelle im Park kam, sah er nur noch einen Pulk, in dem aufeinander eingeschlagen wurde.
Tipp der Polizei: Keine Markenklamotten mehr tragen
Die Polizei sollte später von einer Auseinandersetzung zwischen zwei Personengruppen sprechen. Drei geschädigte, deutsche Jugendliche und eine gestohlene Musikbox wurden protokolliert. Die Jugendlichen hatten die geflüchteten Täter als "Araber" beschrieben worden. Ermittelt wird in diesem Fall wegen gefährlicher Körperverletzung. Ein weiterer Auftrag für die im Ende 2022 eingerichtete Soko "Iuventus", die sich auf Jugendkriminalität spezialisiert hat.
Wenn wir so weit sind, dass man nicht mehr in seinen Lieblingsschuhen oder Lieblingsjeans rausgehen kann – dann ist es wirklich schlimm.
Als Prävention gegen Überfälle gibt die Dresdner Polizei inzwischen auch Verhaltenstipps, wie etwa keine Markenklamotten zu tragen. Darüber kann Rufus nur lächeln. "Wenn wir so weit sind, dass man nicht mehr in seinen Lieblingsschuhen oder Lieblingsjeans rausgehen kann – dann ist es wirklich schlimm."
Dunkelheit erleichtert Übergriffe
Im Alaunpark sei es auf jeden Fall krasser geworden. "Vorher war nicht super viel los. Man wusste, man geht nicht in bestimmte Ecken - zum Pavillon zum Beispiel oder zum Wasserbrunnen." Aber nun werde aktiv herumgegangen und der Stress und die Konfrontation gesucht. Sobald die Polizei nicht mehr vor Ort sei, sei zehn Minuten später der Park voll. "Und Du weißt genau, weshalb diese Leute kommen."
Nach Meinung von Rufus würde eine Beleuchtung im Alaunpark die Lage dort sicherer machen. "Weil es einfach stockdunkel hier ist. Als die Jungs auf mich zukamen, wusste ich erst gar nicht, wer das ist. Bis die vor einem stehen und mit Dir sprechen, kann man kaum was erkennen." So könne man sich unauffällig in die Gruppen mischen und das mache es einfacher, Menschen zu überfallen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 24. April 2023 | 15:30 Uhr