Gegen Personalengpässe Nebenjob mit Ausblick: 28 Studierende steuern in Dresden Straßenbahnen

06. November 2023, 04:00 Uhr

Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) setzen auf Studierende gegen Personalengpässe. Aktuell fahren 28 junge Leute im Nebenjob die gelben Straßenbahnen. Das helfe, Verkehrsspitzen abzufangen, heißt es vom Verkehrsbetrieb. Zugleich hofft das Unternehmen, die späteren Ingenieurinnen und Ingenieure für das Unternehmen gewinnen zu können. Sophie Krafzik ist eine der studentischen Straßenbahnfahrerinnnen und sieht ihre berufliche Zukunft tatsächlich bei den DVB.

Die Linie 1 nach Leutewitz hängt einige Minuten hinter dem Fahrplan hinterher. Am Dresdner Postplatz treten die Fahrgäste und das Ablösepersonal an dem nasskalten und verregneten Herbsttag von einem Fuß auf den anderen, um nicht allzu sehr zu frösteln. Kurz nach 18 Uhr dann rollt die Stadtbahn nach Leutewitz ein. In der Fahrkabine schnappt sich Sophie Krafzik ihren Rucksack und wechselt noch einige Worte mit der Kollegin, die ihre Bahn übernimmt. Sophie Krafzik hat nun eine gute Stunde Pause. Sie ist Studentin der Verkehrswissenschaft an der TU Dresden und fährt im Nebenjob Straßenbahnen bei den DVB.

Studentische Tramfahrer gab es in Dresden schon im Sozialismus

Das ist in Dresden nicht ungewöhnlich: Schon in der DDR-Zeit hatte der Nahverkehrsbetrieb auf studentische Aushilfen gesetzt, um Personalengpässe abzufedern, berichtet der stellvertretende Unternehmenssprecher, Christian Schmidt. In den 2000er-Jahren habe man die zwischenzeitlich ausgesetzte Tradition wiederbelebt. Er selbst fährt eine Woche im Monat als sogenannter Mischarbeiter auf eigenen Wunsch hin Straßenbahn und wirbt für den Job.

Die jungen Leute von der Uni würden den DVB helfen, Löcher in den Dienstplänen zu stopfen. Insbesondere zu Spitzenzeiten, wenn nach Konzerten oder Fußballspielen zusätzliche Bahnen eingesetzt werden, könnten Studierende flexibel das Personal entlasten. Zugleich verweist Schmidt darauf, dass die DVB auch hoffen, die Studierenden insbesondere aus der Verkehrswissenschaft an das Unternehmen zu binden.

Zukunftsperspektive: Als Ingenieurin zu den Verkehrsbetrieben

Bei Sophie Krafzik scheint das zu klappen. Die 24-Jährige hat sich in ihrem Studium vertiefend den Bahnsystemen gewidmet und kann sich einen späteren Job als Ingenieurin bei den Dresdner Verkehrsbetrieben durchaus vorstellen, sagt sie. Schon jetzt als Straßenbahnfahrerin erhalte sie von Kollegen auf Wunsch Einblick in verschiedene Unternehmensbereiche über den eigentlich Fahrbetrieb hinaus.

Ich bin durch mein Studium zur Straßenbahn gekommen. Ich studiere Verkehrsingenieurwesen und beschäftige mich dabei sehr viel mit Bahnsystemen und auch Bahnanlagenbau. Durch Freunde und Kommilitonen hab' ich das Straßenbahnfahren für mich entdeckt.

Sophie Krafzik Studentische Straßenbahnfahrerin in Dresden

Studentischen Straßenbahnfahrer sind gleichberechtigt mit den Tramfahrenden, die das hauptberuflich tun, betonen Krafzik und Schmidt übereinstimmend. Das sei aber auch logisch, immerhin hätten alle Mitarbeitenden in der Führerständen der Straßenbahn dieselbe Verantwortung.

Bis zu 300 Fahrgäste in einer Straßenbahn

Sophie Krafzik berichtet, dass sie mit der längsten in Dresden eingesetzten Straßenbahn bis zu 300 Fahrgäste gleichzeitig befördere. Das sei tatsächlich eine hohe Verantwortung, aber zugleich mache das auch den Job so besonders und reizvoll. Es freut sie, wenn sich Fahrgäste bedanken, für die sie nach dem Abfahrtssignal noch mal schnell die Türen ihrer Bahn geöffnet hat. Durch viele Bauarbeiten sei sie als Fahrerin auch immer wieder für Auskünfte da. "Es ist einfach schön, für so viele Menschen Verantwortung zu haben und für viele von ihnen auch ein wichtiger Teil in ihrem Alltag zu sein."

Die junge Frau, die in Magdeburg aufgewachsen ist, lässt sich so schnell nicht die Butter vom Brot nehmen. Als die Heizung in der Fahrerkabine kaputt war und es immer kälter wurde, bat sie in der Betriebszentrale um ein Ersatzfahrzeug und bekam eine andere Bahn. Wer eine Straßenbahn sicher und halbwegs pünktlich durch den Dresdner Berufsverkehr bekommen will, muss dies resolut und selbstbewusst angehen. Besonnenheit ist dabei immer besonders wichtig. Natürlich ärgere es sie, wenn Leute ins Handy vertieft mit Kopfhörern unbedacht über die Gleise laufen oder Autofahrer völlig außer Acht lassen, dass eine tonnenschwere Straßenbahn einen langen Bremsweg hat und als Fahrzeug auf Schienen auch nicht ausweichen kann.

"Klar habe ich schon Schreckmomente erlebt", räumt Sophie Krafzik auf Nachfrage ein. Aber bislang hat sie alle Fahrten unfallfrei gemeistert.

Sophie Krafzik: "Für mich ist der Job lukrativ"

Seit rund einem Jahr fährt die junge Frau Straßenbahn in Dresden - während der Vorlesungszeit bis maximal 20 Stunden pro Woche. In den Semesterferien darf sie bis zu 40 Stunden in der Woche fahren. 13,45 Euro gibt es pro Stunde netto, hinzu kommen Schicht- und Feiertagszuschläge. "Für mich ist der Job lukrativ", sagt die Studentin. "Das Faszinierende am Straßenbahnfahren ist, dass immer wieder etwas anderes passiert. Es gibt immer wieder neue Situationen, man lernt immer wieder was dazu."

Die Dienstzeiten würden auf ihre Studienpläne abgestimmt. Der jungen Frau machen Spät- und Nachtschichten nichts aus. Es würden schließlich nicht in jeder Stadt die Straßenbahnen rund um die Uhr fahren, sagt sie. Man müsse sich freilich etwas organisieren, aber das kannte sie von ihrem Engagement im Fachschaftsrat schon, erklärt Sophie Krafzik. Und Zeit für ihr Hobby - sie spielt Saxophon in zwei Bands und singt auch - bleibe ebenfalls genug.

Erste Fahrt abends mitten durch Kneipenviertel

Über Kommilitonen sei sie zu dem nicht ganz alltäglichen Studentenjob gekommen. Die Ausbildung dauerte wenige Wochen, die ersten 15 Dienste war dann noch ein erfahrener Kollege an ihrer Seite. An ihre erste Fahrt allein kann sich Sophie Krafizik noch gut erinnern - an einem Wochenende abends auf der Linie 13 mitten durchs Kneipenviertel in der Neustadt. Während die hauptamtlichen Straßenbahnchauffeuere und -chauffeurinnen einem der Betriebshöfe Reick, Gorbitz oder Trachenberge fest zugeordnet sind, werden die studentischen Mitarbeitenden im ganzen Netz eingesetzt.

Eine Lieblingsstrecke hat Sophie Krafzik nicht. "Ich mag aber die Fahrt über die Augustusbrücke Richtung Altstadt. Da hat man den schönsten Blick auf Dresden." Und Hand aufs Herz: Ist die junge Straßenbahnfahrerin auch schon mal falsch abgebogen, Weiche falsch gestellt und musste eine Ehrenrunde außerhalb der eigentlichen Linien drehen? "Nein", sagt sie, "das ist mir noch nicht passiert."

Nur eine Studentin neben 27 Studenten im Straßenbahn-Cockpit

Aktuell beschäftigen die Dresdner Verkehrsbetriebe 28 Studierende als Straßenbahnfahrer - alle kommen derzeit aus der Verkehrswissenschaft, Sophie Krafzik ist die einzige Frau in der Studentengruppe. Unternehmenssprecher Christian Schmidt betont, es würden immer Studierende gesucht, die Fachrichtung spiele dabei keine Rolle. Auch für Quereinsteigern oder Azubis im Fahrdienst seien die DVB offen.

Auch in Chemnitz steuern Studenten Straßenbahnen durch die Stadt

Die Chemnitzer Verkehrs-AG beschäftigt ebenfalls seit 2021 Studierende während ihres Studiums auf geringfügiger Basis als Straßenbahnfahrerin oder Straßenbahnfahrer. "Grundvoraussetzung ist hier eine Ausbildung während der Semesterferien", sagte eine Unternehmenssprecherin. "Die Anzahl an Studenten liegt im einstelligen Bereich."

Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe "setzten in den vergangenen Jahrzehnten Studenten, vor allem aus technischen Studiengängen, im Fahrdienst ein", teilte ein Sprecher auf Nachfrage von MDR SACHSEN mit. Derzeit gebe es in der Messestadt "jedoch keine studentischen Kollegen im Fahrdienst".

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Dresden | 06. November 2023 | 16:30 Uhr

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