Preiserhöhung Eltern entsetzt: Kita-Essen für fast 7 Euro in Weinböhla und Pirna
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20. Januar 2025, 05:00 Uhr
Ein Mittagessen für Kita- und Krippenkinder kostet in Weihnböhla und Pirna seit Anfang des Jahres 6,45 Euro pro Portion. Betroffene Eltern haben sich an MDR SACHSEN gewandt. Knapp ein Fünftel der Familien denkt laut Elternbeirat über einen Kita-Wechsel nach. Wir haben beim Träger der beiden Kitas nachgefragt und einen Blick auf die Preise anderer Anbieter geworfen.
- Eltern finden: Die Preiserhöhung für das Kita-Mittagessen ist unverschämt.
- Der Träger begründet den Preisanstieg mit höheren Lohnkosten.
- Ein anderer Anbieter von Kita-Essen kritisiert die Begründung der AWO für die gestiegenen Kosten.
"Seit Januar zahlen wir für das Essen unserer Krippen- und Kitakinder 6,45 Euro. Gegen diese unverschämten Preise möchten wir uns zur Wehr setzen. In vielen Firmenkantinen ist das Essen in Erwachsenenportion günstiger als in unserer Einrichtung für Kinder von 1 bis 6 Jahren", sagt Anne Dechant und fasst damit die Haltung des Elternbeirats der Kita Kunterbunt in Weinböhla zusammen. "Teilweise essen die Kinder eine halbe Kartoffel mit Soße oder ein Fischstäbchen mit zwei Löffeln Kartoffelbrei. Und egal wieviel das Kind isst, man zahlt die 6,45 Euro und hat keine andere Wahl."
Online-Petition von Hunderten Menschen unterzeichnet
Anne Martin, eine weitere Vertreterin des Elternbeirates der Kita in Weinböhla, sagt: "Vor zwei Jahren lagen wir bei 3,65 Euro. Nach mehreren Erhöhungen sind wir jetzt bei 6,45 Euro angekommen. Das ist für die Eltern finanziell nicht mehr tragbar." Anne Martin hat aktuell zwei Kinder in der Kita. Zuletzt wurden im Januar die Preise um 80 Cent angehoben.
Auch bei anderen Kitas des Trägers wird dieser Preis aufgerufen, beispielsweise in einer Kita in Pirna. Hier haben Eltern Mitte Dezember eine Onlinepetition gestartet, die bereits von weit mehr als 400 Menschen unterzeichnet wurde. Träger der betroffenen Kitas ist die gemeinnützige AWO Kinder- und Jugendhilfe GmbH. Die Kita in Weinböhla hat eine eigene Küche und versorgt auch andere Einrichtungen. Die AWO-Kita in Pirna erhält wie andere AWO-Einrichtungen von der Soziale Arbeitsprojekte Sonnenstein gGmbH das Essen.
Ich verstehe den Unmut der Eltern. Der Preis ist schwerlich vermittelbar, aber erklärbar.
Wie der Träger den Preisanstieg begründet
AWO-Geschäftsführer Danilo Panian sagt: "Ich verstehe den Unmut der Eltern. Der Preis ist schwerlich vermittelbar, aber erklärbar", sagt er MDR SACHSEN. dass sich der Essenspreis selbst in den AWO-Kitas nicht verändert habe. Er liege je nach Einrichtung und Region bei etwa 3,60 Euro. Der Preisanstieg ergebe sich demzufolge aus einer Anpassung der sogenannten Servicepauschale. Die Servicepauschale sei nun nach zwei Jahren ohne Veränderungen von 1,90 Euro auf 2,70 Euro angestiegen. "Das bedeutet für Eltern eine monatliche Mehrbelastung von 12,50 Euro bei 16 Anwesenheitstagen", rechnet Panian vor.
Man könne den Preis für das Kita-Essen nicht mit den Kosten erklären, die man hat, wenn man zu Hause koche: "Da stelle ich mir ja nicht selbst noch die Lohnkosten in Rechnung, wenn ich Spaghetti koche, sondern sehe nur den Preis für die Zutaten."
Wie sich der Preis für das Essen in Kitas zusammensetzt
Laut AWO setzt sich der Essenspreis in ihren Kitas wie folgt zusammen:
- Personalkosten (36 Prozent)
- Nahrungsmittel (36 Prozent)
- sonstige Kosten wie Lieferung, Mieten, Strom, Technik (28 Prozent)
Da die Leistungen rund um die Verpflegung keine pädagogischen Arbeiten seien, werden diese nicht von den Erzieherinnen und Erziehern erbracht. Die Kosten dafür müssen daher dem Mittagessen zugerechnet werden.
Das steckt hinter der Servicepauschale beim Kita-Essen Die Servicepauschale deckt alle Kosten, die zusätzlich zum Essen bei der Versorgung der Kita-Kinder anfallen. Die Kosten für mindestens eine Person, die das Essen ausgibt, serviert, abwäscht und die Küche reinigt, machen etwa 90 Prozent aus. Hinzu kommen Kosten für die Ersatzbeschaffung von Geschirr und Ausstattung. Quelle: AWO Kinder- und Jugendhilfe gemeinnützige GmbH
AWO sieht Kommunen in der Pflicht
"Es gibt Kommunen, die die Servicepauschale übernehmen und Kommunen, die sie nicht übernehmen", erklärt AWO-Geschäftsführer Danilo Panian und verweist auf die Verantwortung der Stadt- und Gemeinderäte, damit die Kosten im Rahmen bleiben. "Wir als Träger und Vertragspartner der Kommunen hatten dahingehend auch um Entlastung der Elternschaft gebeten."
Eine Kommune, die die Servicepauschale subventioniert, ist die Stadt Dresden. Wenn die Servicepauschale in einer Einrichtung 55 Cent übersteigt, übernimmt die Stadt Dresden den Rest. Davon profitieren jedoch nur Familien mit Kindern in städtischer Trägerschaft. In Weinböhla fehlt eine derartige Unterstützung.
Eltern verweisen auf Vorbild Schweden
Elternbeirätin Anne Martin ist von der Politik enttäuscht und verweist auf Schweden, wo das Essen kostenlos ist. "Es heißt immer, Kinder sind unsere Zukunft. Aber wenn ich diese Erhöhung hier sehe, bestätigt sich das nicht. Uns Eltern werden immer wieder Steine in den Weg gelegt", sagt Martin. In Schweden hingegen sei die Politik wesentlich kinderfreundlicher. Dass die Servicepauschale so ein enormer Kostenfaktor sein soll, könne sich der Elternbeirat nur schwer vorstellen. "Das ist für viele nicht nachvollziehbar", sagt Anne Dechant.
"Uns ist auch völlig bewusst, dass die Leute auch eine anständige Bezahlung bekommen sollen, aber es gäbe sicherlich die Möglichkeit, dass die Gemeinde das Essen subventionieren könnte", sagt Anne Martin. So kenne sie einige Gemeinden, die eine Servicekraft beschäftigen und sich dadurch die Beiträge für die Eltern verringern. "Aber man wird überall mit dem Argument abgewiesen, dass keine Gelder da und die Kassen leer sind."
Steigen die Lohnkosten, steigen die Essenspreise
Die AWO nennt vor allem die gestiegenen Lohnkosten als Ursache für den Preisanstieg: "In den letzten zwei Jahren gab es eine Steigerung des Mindestlohns um etwa 22 Prozent und Tarifsteigerungen von rund 10 Prozent." Für Familien mit geringem Einkommen stünden Fördermöglichkeiten zur Verfügung, beispielsweise das Bildungs- und Teilhabepaket.
Wir wissen nicht, wo es endet. Was passiert, wenn die nächste Mindestlohnerhöhung kommt? Haben unsere Kinder dann bald einen Essenspreis von 8 Euro? 10 Euro?
Familien, denen keine Förderungen zustehen, müssen die Kosten alleine stemmen. Die Angst in der Elternschaft in Weinböhla vor weiteren Preissteigerungen ist groß. "Wir wissen nicht, wo es endet. Was passiert beim nächsten Mal? Wir haben Rückmeldung von der AWO bekommen, dass die Kosten sich auch aufgrund der Mindestlohnerhöhung zusammensetzen. Und was passiert, wenn die nächste Mindestlohnerhöhung kommt?", fragt Anne Dechant. "Haben wir dann bald einen Essenspreis von 8 Euro? 10 Euro?"
Anderer Anbieter: "AWO-Servicepauschale viel zu hoch"
Bernd Beyer beliefert mit seinem "Café und Restaurant Saite" seit dem Jahr 2000 etliche Kindergärten und Schulen im Großraum Dresden bis Coswig und Radeberg. Er war vor 24 Jahren Sachsens erster biozertifizierter Caterer nach EU-Bio-Verordnung. Seit mehr als einem Jahr zählt das Unternehmen eigenen Angaben zufolge zu einem der ersten Betriebe in Deutschland überhaupt, die nach dem "Goldstandard" mit einem Bio-Anteil von 97 Prozent geprüft wurden.
Mit Blick auf die von der AWO aufgerufenen Preise sagt Beyer: "Ich halte die Servicepauschale von 2,70 Euro und den Gesamtpreis für eine Essensportion für viel zu hoch. Wir als Biocaterer haben einen deutlich höheren Wareneinsatz und nochmal ganz andere Kostenstrukturen - vor allem, weil wir mit regionalen Anbietern zusammenarbeiten. Bei uns kostet ein Essen gesamt inklusive Anlieferung zwischen 5 und 5,60 Euro", erzählt er MDR SACHSEN.
Zum letzten Mal hatte der Biocaterer eigenen Angaben zufolge 2024 die Preise erhöht - und zwar für Einrichtungen, in denen er Ausgabeküchen betreibt. Der Grund: Die Mehrwertsteuer wurde von sieben Prozent auf 19 Prozent angehoben und damit der Preis für ein Mittagessen von 3,80 Euro auf 4,23 Euro.
Soviel kostet das Essen in der Region
Ein direkter Preisvergleich mit anderen Essenanbietern gestaltet sich schwierig, besonders wenn mehrere Kitas mit Essen versorgt werden. Alle angefragten Anbieter sagten übereinstimmend, dass sie keinen pauschalen Preis gätten, der für alle Einrichtungen gleichermaßen gelte. Auch bei den AWO-Kitas gibt es unterschiedliche Preise für unterschiedliche Kitas.
"Es gibt keine Einheitspreise, da die Preise sich nach den individuellen Anforderungen der jeweiligen lokalen Träger sowie dem gewünschten Verpflegungsumfang richten und daher stark variieren können", sagt beispielsweise eine Sprecherin des Anbieters Vielfalt Menü. Auch die angebotenen Menüvarianten oder Zusatzleistungen beeinflussen demnach den Preis.
Zu diesen Anforderungen zählen unter anderem:
- das gewünschte Essensangebot (z. B. Anzahl der Wahlmenüs, Bio-Qualität)
- ob der Service mit oder ohne zusätzliche Leistungen wie Essensausgabe durch Personal des Anbieters erfolgt
- Entfernung der Einrichtung zu den Betriebsstätten (Transportkosten)
Anbieter | Gesamtpreis pro Portion | Preis pro Portion | Getränke (pauschal) | Service (pauschal) | Liefergebiet |
---|---|---|---|---|---|
AWO | 6,45€ | 3,60€ | 0,15€ | 2,70€ | Pirna und Weinböhla sowie 13 weitere Kitas |
knack-frisch GmbH
(ohne Service vor Ort) |
ab 3,60€ | 3,60€ | enthalten | 0,00€ | Pirna, Dresden und Umgebung, Radeberg, Neustadt, Sebnitz, Bad Schandau --> etwa 2.500 Portionen Kita-Essen insgesamt |
knack-frisch GmbH
(mit Service vor Ort) |
ab 4,20€ - 5,60€ | 3,60€ | enthalten | 0,60€ - 2,20€ | Pirna, Dresden und Umgebung, Radeberg, Neustadt, Sebnitz, Bad Schandau --> etwa 2.500 Portionen Kita-Essen insgesamt |
Cafe & Restaurant Saite (Biocaterer)
(ohne Service vor Ort) |
3,40€ - 4,00€ (inkl. 7 % MwSt.) |
ca. 4,00€ bzw. 3,40€ plus 10€ Grundgebühr | keine Angabe | keine Angabe | Großraum Dresden bis Coswig und Radeberg |
Cafe & Restaurant Saite (Biocaterer) (mit Service vor Ort) | 4,23€ - 5,34€ (inkl. 19% MwSt.) |
keine Angabe | keine Angabe | keine Angabe | Großraum Dresden bis Coswig und Radeberg |
VielfaltMenü GmbH | 3,20€ - 3,40€ Mit Ausgabe-Personal kostet das Essen mehr. Keine genaue Angabe zum finalen Preis. |
3,20 -3,40€ | keine Angabe | keine Angabe | sachsenweit tätig; bedienen schwerpunktmäßig die Regionen Dresden, Meißen, Radebeul, Freital, Bautzen, Stolpen, Leipzig, Döbeln, Chemnitz, Radeberg, Coswig und Plauen --> 10.000 - 12.000 Portionen Kita-Essen |
Komplexes Thema - Pauschale Angaben schwierig
"Die Preisbildung bei der Kita-Verpflegung ist sehr komplex und gestaltet sich von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich", sagt Chris Podavka von der Knack-frisch GmbH. Das mittelständische Unternehmen aus Pirna hat es geschafft, seine Aufträge in der Kita- und Schulspeisung in den vergangenen drei Jahren zu verdoppeln.
"Viele Faktoren fließen in die Kalkulation mit ein: zum Beispiel, wie lange das Personal vor Ort sein soll, wie energieeffizient gekocht wird, welche Investitionen in Küchengeräte erfolgen und welche räumlichen Gegebenheiten vor Ort sind." Hinzu kämen Schwankungen bei den Waren, mit den gekocht wird.
Hoher Lebensmittelpreis und unterschiedliche Steuersätze
Demnach habe die Branche mit Preisexplosionen bei Lebensmitteln im Zuge des Ukrainekrieges zu kämpfen gehabt sowie mit Lieferengpässen. Außerdem spiele es eine Rolle, auf wie viele Kinder sich die Kosten verteilen. "Die Herausforderung liegt immer in kleineren Einrichtungen, die sehr Service-intensiv sind. Also zum Beispiel, wenn viel Servicezeit für wenig Kinder anfällt." Dann nämlich müssen die Personalkosten auf wenige Kinder aufgeteilt werden und das Essen wird entsprechend teurer.
Hinzu kommen steuerliche Finessen: Liefert ein Essensanbieter ausschließlich das Essen an, muss er auf den Preis sieben Prozent Mehrwertsteuer draufschlagen. Wenn eine Ausgabekraft gestellt wird, die sich darum kümmert, dass das Essen auf den Tellern der Kleinen landet, dann muss der Caterer 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnen.
Preiserhöhungen auch bei anderen Anbietern
Der deutschlandweit tätige und auch in Sachsen aktive Essensanbieter "apetito kids & schools" wollte keine konkreten Preise oder Preisspannen nennen. Eine Sprecherin teilte MDR SACHSEN als Begründung mit: Wieviel das Mittagessen kostet, "hängt davon ab, wie der Kunde sich das Mittagessen wünscht und zusammenstellt. Mengenanforderungen, Bio-Produkte, vegetarische Komponenten und unterschiedlichste Speisepläne haben signifikante Auswirkungen auf den Preis."
Das Essen von apetito werde vom Personal der Einrichtung zubereitet und ausgegeben. Der Anbieter habe nach zweijähriger Pause zum Jahr 2025 ebenfalls die Preise erhöht - und zwar um 2,9 Prozent. Als Gründe führt eine Sprecherin Preissteigerungen von Rohwaren, Personalkosten und vor allem Logistikkosten an. Auch der Anbieter VielfaltMenü hat zum 1. Januar dieses Jahres die Preise erhöht, im Durchschnitt um 0,12 Euro, wie eine Sprecherin mitteilt.
Knapp ein Fünftel der Eltern denkt über Kita-Wechsel nach
Die Eltern in Weinböhla fühlen sich allein gelassen. "Niemand fühlt sich zuständig, alle verweisen auf andere", sagt Anne Dechant. Einer Umfrage des Elternrats zufolge, ziehen derzeit 18 Prozent der Eltern in Erwägung aufgrund des Preises für das Mittagessen die Kita zu wechseln. Zum einen, weil das Essen in anderen Kitas in Weinböhla deutlich günstiger sei, zum anderen, weil sie freie Plätze haben, sagt Elternbeirätin Anne Dechant.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 17. Januar 2025 | 19:00 Uhr