Dirk Hilbert, Oberbürgermeister der Stadt Dresden
Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) begrüßt den Chip-Boom sieht aber Herausforderungen für den Wohnungsmarkt udn den Nahverkehr. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

Interview zum IT-Standort Herr Hilbert, wird Dresden das München Ostdeutschlands?

31. Mai 2023, 16:39 Uhr

Infineon, Bosch und vielleicht TSMC – die Region Dresden gerät mit neuen und geplanten Fabriken zum Zentrum der europäischen Halbleiter-Industrie. Doch wie bereitet sich die Landeshaupstadt Sachsens auf den Zuzug Tausender Fachkräfte vor? Und was passiert mit dem Mietmarkt in Dresden?

  • OB Hilbert äußert sich nicht zu einer möglichen Ansiedlung des taiwanesischen Chipherstellers TSMC, steht jedoch "mit wesentlichen Akteuren" der Halbleiter-Industrie in Verbindung und will weiter mit dem Chip-Cluster punkten
  • Ausbildungszentrum von Infineon soll Facharbeiter gewinnen.
  • Stadt Dresden bereitet sich mit Stadtplanungsamt auf den Zuzug Tausender Menschen vor. Trotz hoher Baupreise, müssen laut Hilbert neue Wohnungen entstehen, sonst komme es zu "massiven Verwerfungen am Markt".

Herr Hilbert, verraten Sie es uns? Wird der taiwanesische Chiphersteller TSMC nach Dresden kommen?

Dirk Hilbert: Ja, es gibt immer wieder Versuche, an neue Informationen zu kommen, doch ich werde mich an Gerüchten nicht beteiligen. Man kann jedoch sicher sein, dass wir mit allen wesentlichen Akteuren der Halbleiter-Industrie der Welt im intensiven Austausch stehen. Natürlich wollen wir mit unserem Cluster weiter punkten und neue Projekte in die Region bringen. Es ist für jeden Arbeitnehmer und Investor viel spannender, wenn sie viele Möglichkeiten einer Region haben, um sich entfalten zu können. Genau das bietet das Cluster Dresden.

Sie haben den Prozess schon als Wirtschaftsbürgermeister begleitet...

Ich bin sehr froh, dass diese Entwicklung deutlich Fahrt aufgenommen hat – nicht nur für den Standort, sondern für die gesamte europäische Industriepolitik. Ich kann mich gut erinnern: Als wir damals mit großen Akteuren der Halbleiter-Industrie auf die Autoindustrie zugegangen sind, hat sich kaum jemand interessiert. Das hat sich deutlich geändert. Autos sind ja mittlerweile fahrende Computer. Der Bedeutung der IT hat wahnsinnig zugenommen.

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Schon jetzt herrscht Fachkräftemangel. Woher sollen die Arbeitskräfte für die neuen Fabriken kommen?

Spezialisten sind weltweit mobil. Sie gehen immer dorthin, wo sich die größten Perspektiven ergeben. Hier sehe ich nicht so große Herausforderungen. Ich selbst kenne viele Leute aus meinem Bekanntenkreis, die damals für Quimondo in der Halbleiter-Industrie gearbeitet hatten und nach der Pleite ihren Lebensmittelpunkt in der Region behielten. Heute arbeiten sie in Baden-Württemberg oder in Bayern und freuen sich über die Chance, einen spannenden Job in der Heimat zu bekommen.

Also alles kein Problem?

Ich denke, die Spezialisten für die Halbleiter-Industrie kriegen wir hier gut gestemmt. Die größte Herausforderung ist es, Facharbeiter zu gewinnen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Infineon jetzt in Vorleistung geht und ein Ausbildungszentrum aufbaut – wohlgemerkt offen für das gesamte Cluster. Der Freistaat Sachsen unterstützt das. Hier sollen Angebote geschaffen werden, die die Facharbeiterberufe in dieser Industrie hochattraktiv machen.

Wie bereitet sich Dresden auf den Zuzug Tausender Menschen vor?

Wir sind seit Monaten in intensiven Gesprächen mit verschiedenen Akteuren – ganz vorn natürlich die Stadtplanung. Wo haben wir Wohnungen? Wo haben wir Flächenpotenziale? Wie sind die Anknüpfungen an die Arbeitsstandorte? Ein großer Schwerpunkt für uns wird deswegen auch die Immobilienmesse im Herbst in München sein. Doch nicht nur der innerstädtische Blick spielt eine Rolle. Wir blicken auch über die Stadt hinaus. Schon seit einiger Zeit sind wir mit Bürgermeisterkollegen und Kolleginnen aus den Nachbargemeinden im Austausch bereiten aktuell Absichtserklärungen vor. Dabei geht es um Wohngebietsentwicklungen, Verkehr und auch Schulen. All das ist nötig, um gute soziale und professionelle Ökosysteme entstehen zu lassen. Wichtig ist auch die Erweiterung der Kapazität der Internationalen Schulen.

Mit vielen neuen Fabriken und Zuzug steigen sicher die Mieten. Wird Dresden das München Ostdeutschlands?

Natürlich ist die Attraktivität eines Standortes ein lohnendes Ziel. Dresden hat alle Voraussetzungen eine ähnliche starke Entwicklung zu nehmen wie München. Doch davon sind wir noch meilenweit entfernt. Wir sehen, dass außerhalb Dresden noch große Leerstände vorhanden sind – auch mit guten Verkehrsanbindungen nach Dresden. Das Umland von Dresden wird durch die neuen Fabriken stark partizipieren. Hier haben wir enorme Wachstumspotenziale, ohne dass gleich eine massive Preisentwicklung dahinter steht.

Woher soll das Geld für neue Strukturen kommen, wenn Kommunen schon jetzt klamm sind?

Einerseits tätigen wir Investitionen in den Gesellschaften der Stadt. SachsenEnergie strukturiert die Wasserversorgung im Dresdner Norden neu. Darüber hinaus sollen private Investoren für den Wohnungsmarkt gewonnen werden. Wohnungsbau macht ja üblicherweise nicht die öffentliche Hand, sondern die Privatwirtschaft.

Aufgabe der öffentlichen Hand ist es jedoch, Verkehrsinfrastruktur auszubauen. Wir kämpfen schon lange um den Nahverkehrsplan im VVO, hier gibt es ein sehr gutes Konzept zum Ausbau der S-Bahn-Linien und Taktverdichtungen rund um Dresden. Allerdings sehen wir hier große Finanzierungslücken, allein, um den Bestand abzusichern.

Zurück zu den Wohnungen: Wie wollen Sie verhindern, dass es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt und sich normale Dresdner Wohnen nicht mehr leisten können?

Wir sind mit unserer kommunalen Dresdner Wohnungsgesellschaft WID in Verhandlungen mit der Vonovia um größere Anteile von Wohnungen wieder zurückzukaufen. Zudem gibt es Pläne für neue kommunale Wohnungen. Im Moment ist dieses Vorhaben durch die finanziellen Rahmenbedingungen in der Förderkulisse und die gestiegenen Baupreisen jedoch gestoppt.

Doch trotz der hohen Preise müssen wir den Wohnungsbau fortsetzen. Wenn keine neuen Wohnungen entstehen, werden wir massive Verwerfungen im Mark sehen – auch unabhängig von starken wirtschaftlichen Entwicklungen. Denn wir werden in Größenordnungen weiter Zuwanderung in der Region erleben. Wenn die Dynamik der Entwicklung groß ist, wird auch die Verwerfung größer.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 30. Mai 2023 | 20:00 Uhr

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