Nach Brückeneinsturz Gutachten: Keine Chance - Carolabrücke muss komplett abgerissen werden
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11. Dezember 2024, 22:34 Uhr
Lange hatte die Stadt gehofft, sie könne den nicht eingestürzten Teil der Carolabrücke wieder für den Straßenverkehr freigeben. Ein neues Gutachten zeigt jetzt: Es gibt keine Chance mehr. Die Carolabrücke muss vollständig abgerissen werden. Demnach ist sie am Ende ihrer Tragfähigkeit und könnte ebenso plötzlich zusammenstürzen wie Brückenzug C. Auch Thema des Gutachtens: War der Einsturz vorhersehbar und hat die Stadt etwas versäumt?
- Ein Gutachten der TU Dresden erklärt, inwiefern der Teil-Einsturz der Carolabrücke vorhersehbar war.
- Die wichtigsten Erkenntnisse des Gutachtens beziehen sich auf mögliche Ursachen und Auslöser des Teileinsturzes der Carolabrücke, auf die Möglichkeit, die Brücke künftig zu nutzen und auf gesetzliche Vorgaben.
- Der ehemalige FDP-Politiker Holger Zastrow äußert Zweifel an der These des Gutachtens, wonach die Ursachen für den Brückeneinsturz hauptsächlich in der Bauphase zu finden sind.
Der Teil-Einsturz der Carola-Brücke in Dresden war anscheinend nicht vorhersehbar. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der Stadt Dresden beauftragtes Gutachten des Instituts für Massivbau an der TU Dresden. Demnach hat Korrosion in Verbindung mit Materialermüdung durch den Verkehr zum Versagen zahlreicher Spannglieder der Brücke geführt. Zudem seien alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten worden.
Korrosion vollzog sich unsichtbar im Inneren der Brücke
Wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion - so benennt Gutachter Steffen Marx die Ursache für den Einsturz des Brückenzuges C im Fachjargon. Marx ist Professor am Institut für Massivbau der TU Dresden. Ihm zufolge habe die wasserstoffinduzierte Spannungskorrosion zusammen mit der Materialermüdung durch den Verkehr zu einem Versagen geführt.
"Mittlerweile lässt sich die Hauptschadensursache sehr klar eingrenzen: Der Brückeneinsturz ist mit hoher Gewissheit auf ein Versagen des großen Kragarms über dem Pfeiler D zurückzuführen", erklärte Marx, der mit dem Gutachten beauftragt wurde. Das sei hauptsächlich durch "so genannte Spannungsrisskorrosion der Spannglieder" verursacht.
Diese Korrosion wurde bereits beim Bau initiiert und vollzog sich über viele Jahre im Inneren der Brücke unsichtbar von außen und weitgehend unabhängig von oberflächlichen Schadensbildern.
Schallemissionsmessung einzige Möglichkeit diese Schäden zu erkennen
Laut Marx war diese Form der Korrosion zum Zeitpunkt des Baus unbekannt. Nach heutiger Kenntnis zeige der verwendete Stahl jedoch eine außerordentlich hohe Gefährdung. "Die einzige Möglichkeit, Schäden dieser Art zu entdecken und zu beurteilen ist die Schallemissionsmessung." Eine Messanlage sei im noch stehenden Brückenzug A bereits installiert, eine weitere Anlage für den Brückenzug B sei bereits geplant.
Enorme Korrosion gefährdet auch Tragfähigkeit der Brückenzüge A und B
Zu große Schäden durch den Einsturz und enorme Korrosionsschäden - das sind auch die Gründe, warum auch die noch stehenden Brückenzüge A und B der Carolabrücke abgerissen werden müssen. Das erklärte die Stadt Dresden. Die weitere Tragfähigkeit der Stahlkonstruktion werde angezweifelt. Ein Auslöser für den Einsturz ist laut Stadt der Temperatursturz im September gewesen.
Zweifel vom Team Zastrow
Der ehemalige FDP-Politiker Holger Zastrow kann sich hingegen nicht vorstellen, dass die Ursachen für den Brückeneinsturz hauptsächlich in der Bauphase zu finden sind. Zastrow erklärte den DNN, er habe in einer Dokumentation zum Bau der damaligen Dr. Rudolf-Friedrich-Brücke Hinweise gefunden, dass die Ingenieure der DDR "die Herausforderungen und Risiken der gewählten Konstruktion sehr wohl kannten. Die vorgeschriebene Luftfeuchtigkeit beim Einbau der Spannglieder sei stets eingehalten worden. Es sei Vorsicht angesagt, den damaligen Ingenieuren einfach Schlamperei vorzuwerfen.
"Die Aussagen der Dokumentation lassen sich leicht überprüfen, viele Akteure sind noch ansprechbar", erklärt Zastrow den DNN. Demgegenüber habe die Fraktion "Team Zastrow" in den aktuellen Prüfberichten Hinweise auf massive Mängel bei der Wartung und dem Unterhalt der Brücke bis in die jüngste Zeit gefunden.
Temperatursturz war Auslöser für Einsturz
Die Stadt weist Kritik von sich und erklärt: "Es gab keine hinreichenden Anzeichen, die einen Einsturz verlässlich hätten vorhersagen können." Konstruktive Besonderheiten hätten zu ausgeprägten Rissen geführt. "Der Einsturz ist das Ergebnis eines komplexen Versagens durch Herstellungsfehler (wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion) und auslösende Faktoren wie der Temperatursturz und die Verkehrsbelastung.
Die wichtigsten Erkenntnisse des Gutachtens
Keine Carolabrücke für niemand - keine Autos, keine Radfahrer, keine Fußgänger
Laut Gutachten sind die Schäden auch in den noch stehenden Brückenzügen A und B erkennbar. "Aufgrund bereits eingetretener Rissbildung und damit eines möglichen plötzlichen Versagens ist eine Wiederinbetriebnahme der Carolabrücke – auch temporär – ausgeschlossen", erklärt die Stadt. "Das gilt für alle Verkehrsteilnehmenden: Fußgänger, Radfahrende und den Autoverkehr."
Ursache
Gutachter Marx sieht als Hauptursache für den Einsturz eine wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion durch Feuchtigkeitseintrag während der Bauphase. Zugleich habe es eine Ermüdung des zum Bau der Brücke verwendeten Stahls gegeben, was zu einem Verlust der Spannkraft geführt habe. Der Brückenzug C haben sich so immer stärker auf den Querträger und somit die benachbarten Brückenzüge gestützt. Bis eben im September ein Querträger riss und einen Teil der Carolabrücke einstürzen ließ.
Gesetzliche Vorgaben
Die Stadt erklärt: "Die Stadt Dresden und die Prüfer haben die Vorgaben stets eingehalten. Die Carolabrücke wurde regelmäßig nach den einschlägigen Normen geprüft und Empfehlungen des Bundes zum Umgang mit Spannbetonbrücken umgesetzt. Besonderen Risiken wurden mit Sonderuntersuchungen und Dauerüberwachung geprüft."
Schlüsselfaktor Spannstahldefekte
Über 68 Prozent der Spannglieder in der Fahrbahn vom Zug C waren an der Bruchstelle stark geschädigt. "Das ließ sich im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen nicht feststellen", rechtfertigt sich die Stadt.
Einfluss von Tausalzen
Laut Stadt konnte am eingestürzten Brückenzug V eine sogenannte chloridinduzierte Korrosion durch Tausalze festgestellt werden. Diese sei jedoch nicht die Ursache für den Einsturz gewesen.
Was ist wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion?
Die wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion (HISCC) ist ein Schadensmechanismus, der auftritt, wenn Wasserstoff in metallische Materialien eindringt und in Kombination mit Zugspannungen zu Rissen im Material führt und es spröde werden lässt.
Die Risse entstehen durch die Diffusion von Wasserstoff in das Material. Der sammelt sich an den Rissspitzen und beschleunigt dort die Rissbildung, was zu einer signifikanten Schwächung der Materialstruktur führt. Dies kann zu plötzlichem Versagen von Bauteilen wie Schrauben oder Federn führen, was in kritischen Anwendungen, wie in der Automobil- oder Maschinenbauindustrie, verheerende Folgen haben kann.
Schiffahrtsrinne soll bis Jahresende frei sein
Laut Baubürgermeister Stephan Kühn soll die Schifffahrtsrinne bis Jahresende beräumt sein. "Bis Ende dieser Woche wird ein akustisches Überwachungssystem an den Brückenzügen A und B so ausgeweitet, dass ein sicheres Unterfahren der noch stehenden Brückenzüge möglich sein soll.“
Vorlage zum Bau einer neuen Brücke im neuen Jahr
Die Stadt prüft nach eigenen Angaben gerade intensiv die Rahmenbedingungen für den Bau einer neuen Brücke. Zum Jahresanfang soll eine entsprechende Vorlage in den Stadtrat eingebracht werden.
Sondersitzung im Stadtrat mit Livestream
Der Dresdner Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau und Verkehr hatte am Mittwochabend zu einer Sondersitzung geladen. Dabei wurden die Untersuchungsergebnisse vorgestellt.
MDR (tomi/kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport | 11. Dezember 2024 | 14:30 Uhr