Blind im Vergnügungspark Wie erlebt ein Sehbehinderter den Freizeitpark Plohn?
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17. Juni 2023, 11:50 Uhr
Eine Achterbahn mit Doppellooping und freiem Fall ist nicht jedermanns Sache, aber für Adrenalinjunkies ein geniales Erlebnis. Daniel Martin ist einer, der vor keiner noch so wilden Achterbahn haltmacht. Doch der 38-Jährige ist so gut wie blind. Wie erlebt er einen Vergnügungspark ohne Augenlicht? Ist es vielleicht sogar besser, den freien Fall im Looping nicht zu sehen?
- Der wegen einer Erbkrankheit fast komplett blinde Daniel berichtet, wie er den Tag im Freizeitpark Plohn erlebt.
- Die Parkbesucher helfen dem Sehbehinderten, wenn der Einstieg in die Achterbahn mal nicht leicht fällt.
- Obwohl die lauten Geräusche der Achterbahnen ihn stressen, will Daniel wieder und wieder damit fahren.
Viele Menschen stehen in einer Schlange am Eingang des Freizeitparks Plohn im Vogtland. Dort haben wir uns von MDR SACHSEN für Dreharbeiten mit Daniel verabredet. Der heute 38-Jährige konnte bis zum Teenageralter ganz normal sehen. Dann brach eine Erbkrankheit aus, die ihm nach und nach das Augenlicht raubt. Heute sieht der Mann aus dem Vogtland fast nichts mehr, kann aber hell und dunkel unterscheiden. Deshalb trägt er an diesem sonnigen Tag auch eine Sonnenbrille.
Am Eingang stellen wir fest, dass man als Behinderter kostenlos in den Park kommt. Für die Begleitperson (sie muss im Behindertenausweis stehen) gilt ein ermäßigter Tarif. Noch mehr sparen kann man, wenn man das Ticket online bucht.
Durch den Park lotsen: Wo entlang und wohin?
Gleich hinter dem Eingang fängt das Abenteuer an. Nämlich damit, dass Daniel nicht weiß und nicht sehen kann, wo was ist. 80 Attraktionen bietet Plohn: Vom Kinderkarussell und Streichelzoo über die Wildwasserrutsche bis zum Big Dipper Coaster - eine 500 Meter lange Achterbahn. Doch wie findet man als Blinder dort hin?
"Ich gehe nicht allein in so einen Park. Das macht auch sonst niemand. Die meisten kommen mit Familie oder Freunden, was viel mehr Spaß macht. Ich habe immer jemanden dabei, der mir helfen kann", sagt Daniel. Wir erzählen also Daniel, was wir sehen. Das fängt schon beim Laufen an.
Helfende Hände im Alltag
Als Sehender macht man sich keine Gedanken darüber, wie die Wege beschaffen sind. Jetzt aber heißt es: "Vorsicht Stufe! Achtung, jetzt kommt ein Stück Kopfsteinpflaster, eine Holzbrücke, jetzt eine Linkskurve!" Die anderen Besucher im Park sind alle sehr rücksichtsvoll und weichen uns aus.
Es sind oft beim Einsteigen in den Zug oder an der Ampel helfende Hände da.
"Das erlebe ich im Alltag auch meistens", sagt Daniel. "Es sind oft beim Einsteigen in den Zug oder an der Ampel helfende Hände da. Hauptsache, sie greifen mir nicht in meinen Stock", sagt er und lacht. Dann erschreckt er sich nämlich. Er wird lieber direkt angesprochen. Der lange weiße Stock mit der Kugel am unteren Ende und die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten zeigen deutlich sein Handicap an.
Rasante Fahrt auf der Holzachterbahn
Jetzt aber kommt die erste Attraktion: der Fluch des Teutates - eine Wasserrutschbahn. Das Einsteigen ist zwar kurz aufregend, denn das Boot schwankt und der Einstieg ist schmal. Aber auch hier sind helfende Hände für Daniel da. Sich drehend und schaukelnd, rauscht das runde Boot mit uns die Bahn hinunter.
Danach geht’s zur Hauptattraktion des Freizeitparks Plohn – der Holzachterbahn El Toro. Die hört Daniel schon von Weitem, sie donnert mit ohrenbetäubendem Getöse vorbei. Das Kreischen der Insassen amüsiert Daniel, das Adrenalin steigt an. "Das ist auch so ein bisschen das Problem. Die Geräusche irritieren und stressen mich, weil ich ja nicht sehe, was da gerade passiert", sagt der 38-Jährige.
Achterbahn ist für mich kein Problem. Mir wird auch nicht schlecht. Ich genieße total das Gefühl der Freiheit. Das ist für mich einfach toll
Beim Einsteigen helfen wir und das Personal. Und dann ist nach anderthalb Minuten rasanter Fahrt - bis zu 80 Kilometer pro Stunde - auch schon alles vorbei. "Achterbahn ist für mich kein Problem. Mir wird auch nicht schlecht. Ich weiß, ich sitze sicher und fest im Wagen."
Außerdem müsse Daniel mal nicht darauf hören, was rechts und links von ihm passiert, sagt er. "Ich genieße total das Gefühl der Freiheit. Das ist für mich einfach toll", schwärmt Daniel nach der ersten Runde. Und hängt gleich noch eine dran.
Nass werden ist auf der Wildwasserbahn garantiert
Auf dem Weg zur Wildwasserbahn kommen viele Stufen und Kurven, was mit dem Stock und unserer Hilfe auch zu bewältigen geht. Und das Restaurant hat einen Aufzug, sodass Daniel nicht noch mehr Treppen steigen muss.
Der ultimative Kick kommt dann bei der Dynamite-Achterbahn. Die gut 30 Sekunden, die eine Runde dauert, haben es in sich. Doppel-Loopings, freier Fall, rasante Achsdrehungen. Daniel kommt voll auf seine Kosten. "Ist vielleicht ganz gut, dass ich nicht alles gesehen habe", sagt er hinterher und lacht.
Romantische Floßfahrt durchs Dinoland
Am Schluss gehen wir noch durch den ältesten Teil des Parks zum Märchenwald und Dinoland. Hier steigen wir auf ein Floß und fahren ganz gemütlich durch einen herrlich grünen Dschungel auf stillen Wasserläufen entlang. Rechts und links am Ufer sehen und hören wir Dinos, einen Vulkan, Urmenschen und Vögel.
Mir ist schon klar, dass man nicht alles komplett barrierefrei machen kann in so einem Freizeitpark. Aber hier ist das gut gelöst.
Wie hat es Daniel nun gefallen im Freizeitpark Plohn? "Super! Alles ganz entspannt, wenn man mit den richtigen Leuten unterwegs ist. Mir ist schon klar, dass man nicht alles komplett barrierefrei machen kann in so einem Freizeitpark. Aber hier ist das gut gelöst." Aber wir alle sind ganz schön erledigt – ob mit oder ohne Augenlicht – nach diesem adrenalinreichen Tag.
MDR (phb)