Antrag im Stadtrat Streit um die Kulturhauptstadt Chemnitz: Ein Stimmungsbild
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13. März 2024, 15:59 Uhr
Im Chemnitzer Stadtrat geht es am Mittwoch darum, ob die Stadtverwaltung das Projekt Europäische Kulturhauptstadt 2025 beenden kann. Die Herausforderung sei für eine Stadt wie Chemnitz zu groß, so die antragstellende Fraktion Pro Chemnitz/Freie Sachsen. Auch andere Kulturschaffende äußern Kritik, wollen aber an dem Projekt festhalten. Ein Stimmungsbild.
- Oberbürgermeister und Theater-Generalintendant von Chemnitz teilen die Bedenken nicht: Aus ihrer Sicht funktioniert das Prinzip Kulturhauptstadt.
- Andere Vertreter der Kulturszene bemängeln etwa, dass es in Chemnitz keinen Safe Space für Menschen mit erkennbarer Migrationsgeschichte gebe.
- Auch der Leiter des Schlingel-Kinderfilmfestivals fühlt sich in Sachen Film und Kulturhauptstadt nicht mitgenommen.
Als im Oktober 2020 bekannt gegeben wurde, dass Chemnitz 2025 Europäische Kulturhauptstadt wird, war der Jubel groß. Doch kritische Stimmen werden inzwischen lauter: Die Fraktion Pro Chemnitz/Freie Sachsen hat im Stadtrat einen Antrag eingereicht, zu prüfen, ob und zu welchen Konditionen ein Ausstieg aus dem Projekt möglich ist.
In dem Antrag bezeichnet die Ratsfraktion das Vorhaben als "Größenwahn". Sie fürchtet, dass das Projekt Kulturhauptstadt zu einer "Peinlichkeit" werden könnte und meint, dass das Planungsteam die Stadtbevölkerung nicht ausreichend mitgenommen habe. Bei ihren Vorwürfen bezieht sich die Fraktion auf verschiedene Medienberichte wie eine Umfrage des MDR. Im Format MDRfragt gaben zahlreiche Teilnehmende an, sich nicht gut genug informiert zu fühlen. Gleichzeitig erhofft sich eine Mehrheit eine Image-Verbesserung durch das Event.
Chemnitzer Theater bemerkt positive Effekte
Der Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze sieht dem Antrag aber gelassen entgegen und ging im Gespräch mit MDR KULTUR davon aus, dass er abgelehnt wird. Auch Christoph Dittrich, Generalintendant der Städtischen Theater in Chemnitz, sieht die Kritik gelassen: "Diese Bewegung der Gemütslagen steckt durchaus gesetzmäßig drin. Nachdem dieser schöne Zustand eines Titelgewinns da war, ist klar, dass dieser euphorische Zustand nicht ewig anhält und es dann auch etwas sachlicher wird."
Dittrich ist ein Kulturhauptstadtverfechter der ersten Stunde. Seit der Idee im Jahr 2015, sich für den Titel zu bewerben, über die diversen Stadien der Bewerbung selbst bis dahin, dass er knapp zwei Jahre lang Gründungsgeschäftsführer der Kulturhauptstadt GmbH war, ist er aufs engste mit diesem Mammutprojekt verbunden.
Inzwischen werden die Planungen immer konkreter. Sein Haus ist mit vier Projekten aus dem Bidbook, dem Bewerbungsbuch, beteiligt. "Ich bekomme im Theater aller zwei Tage Anfragen und Angebote", erzählt Dittrich. "Da sind immer noch künstlerische, kulturelle Angebote, die für weitere drei Jahre kultureller Großprojekte reichen würden. Alle bekommen mit, es wird ernst 2025 und wollen irgendwie dabei sein. Das ist der schönste Ausweis dafür, dass dieses Prinzip Kulturhauptstadt wirklich funktioniert", so der Theaterchef.
Nachdem dieser schöne Zustand eines Titelgewinns da war, ist klar, dass dieser euphorische Zustand nicht ewig anhält und es dann auch etwas sachlicher wird.
Kultur der Offenheit in Chemnitz
Ähnliche Erfahrungen von mehr internationaler Aufmerksamkeit, die schließlich in Kooperationen gemündet ist, hat man auch bei ASA-FF e.V. gemacht, der für die NSU-Wanderausstellung "Offener Prozess" und das das NSU-Dokumentationszentrum verantwortlich war.
Frauke Wetzel, Projektleiterin bei ASA-FF, erinnert in dem Zusammenhang daran, dass es aus ihrer Sicht in Chemnitz noch längst keinen Safe Space gibt für Menschen mit erkennbarer Migrationsgeschichte: "Wir hatten leider einen Vorfall mit internationalen Gästen, danach haben wir sehr viel auch mit der Stadt und mit der Kulturhauptstadt GmbH gesprochen und eben informiert, wie unsere Erfahrungen in der Hinsicht sind", berichtet Wetzel. Sie beobachtet seitdem eine Verbesserung – es sei aber noch viel zu tun.
Anfang März hatte auch die Chemnitzer Tageszeitung "Freie Presse" zur Kulturhauptstadt-Debatte mit Oberbürgermeister Sven Schulze geladen. Nach den kritischen Fragen der Moderatoren auf dem Podium zeigte eine Umfrage beim Publikum, dass Chemnitzerinnen und Chemnitzer hinter der Idee von Chemnitz 2025 stehen, aber auch Wünsche haben.
Kein Film im Bidbook zur Kulturhauptstadt Chemnitz
Als Botschafter, zuallererst für Chemnitz, sieht sich auch Michael Harbauer, Leiter des Schlingel-Kinderfilmfestivals. In Sachen Kulturhauptstadt äußerte er immer wieder Kritik, zumal Film und Kino im Bidbook, dem Bewerbungsbuch, nicht berücksichtigt worden waren. Für die Idee eines groß angelegten Filmprojekts mit Kindern und Jugendlichen aus ganz Europa habe es daher keine Finanzierungsmöglichkeit gegeben, sagt er.
Nach wie vor fühle er sich nicht mitgenommen von den Planungen zur Kulturhauptstadt. Von der Kulturhauptstadtidee, berichtet Michael Harbauer, profitiere er dennoch: "Uns hilft es auch als Schlingel, dass die Stadt mehr popularisiert ist im europäischen Umfeld. Das ist nicht auf das eine Jahr beschränkt und wir haben nun die Chance damit, aus dem selbst definierten Schatten zwischen Dresden und Leipzig herauszutreten. Wir werden einen erhöhten Aufmerksamkeitsgrad verkraften müssen und das werden wir wohl hinkriegen", so der Festival-Leiter.
Insofern scheint Chemnitz, scheinen viele der Chemnitzerinnen und Chemnitzer inzwischen zuversichtlich und mit Vorfreude auf das Kulturhauptstadtjahr 2025 zu blicken.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 13. März 2024 | 08:10 Uhr