"Muttersprache Mameloschn" Generationentheater in Freiberg: Jüdisch-Sein im Spiegel deutsch-deutscher Geschichte
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26. April 2024, 15:35 Uhr
Das Stück "Muttersprache Mameloschn" wird aktuell am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln gespielt. Der Text von Sasha Marianna Salzmann erzählt von Familienzwist, von Vergangenheitsbewältigung und jüdischer Identität. Die Inszenierung in Sachsen setzt dabei ganz auf die universelle Thematik.
- Der Generationen-Trialog "Muttersprache Mameloschn" von Sasha Marianna Salzmann wurde in Freiberg aufgeführt.
- Das Stück erzählt vom jüdischen Leben in der DDR und der Suche nach Identität.
- Die Inszenierung in Freiberg will die universellen Themen mit einem surrealen Bühnenbild betonen.
"Muttersprache Mameloschn" von Sasha Marianna Salzmann ist ein Drei-Generationen-Stück: über Großmutter, Mutter, Enkelin. "Mameloschn" ist jiddisch für Muttersprache. Es geht im Stück um Fragen von Herkunft und Identität, auch um jüdisches Selbstverständnis. Was bedeutet es, wenn die sogenannte Muttersprache nicht die Sprache der Mutter ist? Und wie kann man dann mit der eigenen Mutter sprechen?
Jüdisches Leben in der DDR
Die Großmutter Lin wurde 1935 geboren. Als junges jüdisches Mädchen erlebte sie die Nazi-Zeit und überlebte sogar einen Aufenthalt im KZ. Nach dem Krieg wanderte sie jedoch nicht nach Israel aus, sondern blieb in Deutschland. Sie zog in die DDR, entschied sich für den sozialistischen Staat, in dem es erklärtermaßen keinen Antisemitismus geben sollte. Ein "Neuer Mensch" im Sinne des Kommunismus zu werden, bestimmt von da an ihre Identität.
Als Lin ungefähr 30 war, wurde ihre Tochter Clara geboren. Sie wuchs mitten in der DDR auf, die sie im Stück immer wieder kritisiert. Sie kratzt an der Fassade und weist auf Widersprüche hin: Denn trotz des antifaschistischen Selbstverständnisses habe es auch in der DDR Judenhass gegeben, erzählt Clara, die von den drei Frauen am wenigsten jüdisch zu sein scheint. Nach der Wende studierte sie in Paris. Sie wirkt heimatlos und scheint keine fest Vorstellung oder Idee für ihr eigenes Leben zu haben.
Lins Tochter Rahel erblickte das Licht der Welt am Ende der DDR, im Jahr 1990. Sie steht zwischen ihren Vorfahren: Sie stimmt ihrer Großmutter oft zu, wirkt aber ähnlich orientierungslos wie ihre Mutter. Sie fragt sich, was ihre jüdische Herkunft für sie bedeutet. Sie sucht nach ihrem Bruder, ihrer Identität und hadert auch mit ihrem Geschlecht.
Starker Text für das Theater
Sasha Marianna Salzmann, die sich selbst keinem Geschlecht zuordnet, hat mit "Muttersprache Mameloschn" einen starken Text geschrieben, der 2013 auch bei den renommierten Mühlheimer Theatertagen ausgezeichnet wurde. Salzmann, in Moskau geboren, hat selbst jüdische Wurzeln und schrieb lange Zeit für das Berliner Maxim Gorki Theater.
"Muttersprache Mameloschn" ist ein Text der vor allem von seinen starken Figuren lebt, die in komplexe Beziehungen zueinander stehen, Tiefgang und Charakter haben. Und die am Mittelsächsischen Theater in Döbeln und nun in Freiberg wunderbar von Andrea Seitz als Großmutter, Sophie Lüpfert als Mutter und Natalie Heiß als Tochter verkörpert werden.
Anspielungsreiche Bühne in Freiberg
Die Handlung beziehungsweise das Streitgespräch des Stücks ereignet sich am jüdischen Feiertag Jom Kippur, dem Tag der Vergebung. Doch das Gespräch dieser Familie, dieser drei Frauen, besteht aus dem Gegenteil von Vergebung: Es ist Anklage und Abrechnung.
Regisseurin Petra Ratiu vergrößert dieses Mütter-Töchter-Drama in ihrer Inszenierung in Freiberg – auch mit dem surrealen Bühnenbild von Cristina Milea. Aus dem Bühnenhimmel hängen riesige, ungefähr fünf Meter lange Pflanzenarme herab, die sowohl vertrocknete Blumen oder vertrocknete Wurzeln sein könnten. Die drei Frauen könnten als Engerlinge in der Erde gesehen werden, Wesen also, die sich verpuppen und verwandeln.
Am Ende gibt es dann Sternenlicht auf der Bühne und im ganzen Zuschauerraum. So entsteht im Theater ein ganzes Universum und auch das persönliche und spezifische Familiendrama wird zu einer universellen Frage. "Eine starke Interpretation und ein gelungener Abend", meint MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky nach einer eher schwach besuchten Vorstellung.
Quelle: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky, Thomas Bille)
Redaktionalle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. April 2024 | 08:40 Uhr