Stadtratssitzung Enttäuschung und viele offene Fragen: OB Krüger verteidigt umstrittene Russland-Rede

08. September 2023, 11:44 Uhr

Eine private Auslandsreise des Freiberger Oberbürgermeisters Sven Krüger hatte Irritationen in Sachsen und auch deutschlandweit ausgelöst. Krüger besuchte den Petrowski-Ball in St. Petersburg und hielt dort eine Rede – ein Hoch auf die deutsch-russische Freundschaft. Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erwähnte er dabei jedoch nicht. In seiner Heimatstadt kam das nicht gut an. Am Donnerstagabend stellte er sich den Fragen der Freiberger Stadtgesellschaft und verteidigte sein Vorgehen.

Enttäuschung und Verärgerung war nach der öffentlichen Stadtratssitzung am Donnerstag in Freiberg bei vielen Stadträten sowie bei interessierten Bürgerinnen und Bürgern deutlich spürbar. In kleinen Grüppchen tauschten sich Männer und Frauen verschiedener Altersgruppen teilweise kopfschüttelnd vor dem Veranstaltungsgebäude aus. Viele der Fragen seien trotz umfangreicher Erklärung des Oberbürgermeisters nach Ansicht der Anwesenden nicht ausreichend beantwortet worden.

Zudem sorgte die Art und Weise, mit der der Freiberger Oberbürgermeister Sven Krüger seine Rede in Russland verteidigt hat, für Unmut und Empörung. Daran konnten auch die zum Teil entschuldigenden Worte des OBs nichts ändern. Denn im Großen und Ganzen machte er deutlich: Ein Fehlverhalten seinerseits sehe er nicht.

Wegen des großen Interesses wurde die Stadtratssitzung kurzerhand in die Nikolaikirche verlegt. Kurz vor Sitzungsbeginn waren fast alle der 200 Plätze belegt.

Umstrittene Rede ohne Wissen von Stadtrat und Bergakademie

Was die Menschen an diesem Tag umtrieb: Warum hat ihr Oberbürgermeister so gehandelt, wie er gehandelt hat? Beim Petrowski-Ball in St. Petersburg hatte Sven Krüger Ende August eine Rede gehalten und sich darin für ein "gutes Miteinander" zwischen Deutschland und Russland ausgesprochen. Den aktuellen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erwähnte und kritisierte Krüger nicht - in vielen Wortmeldungen der Hauptkritikpunkt.

Zu sehen und zu hören ist die Rede in einem Video-Mitschnitt des Petrowski-Balls im pompösen Katharinensaal. Darin sagt der parteilose Krüger, er sei Optimist und habe deswegen vor einem guten Jahr angefangen, Russisch zu lernen. Und er sei überzeugt, dass Russland und Deutschland "in Zukunft wieder zu einem Miteinander finden und schwierige Zeiten überwinden".

Ein Mann sitzt an einem Podium, blickt auf seine armbanduhr und wartet. Es ist der Oberbürgermeister der Stadt Freiberg, Sven Krüger.
Oberbürgermeister Sven Krüger hat sich am Donnerstag den Fragen der Stadtgesellschaft nach seinem umstrittenen Auftritt in Russland gestellt. Bildrechte: MDR/Katalin Valeš

Doch damit löste der Oberbürgermeister viel Kritik in seiner Heimatstadt aus und viele Fragen - zum Beispiel: Mit welcher Absicht er nach Russland gereist war und warum weder Reise noch Rede mit dem Stadtrat abgestimmt waren? Und ob er von einer anderen Person aus der Stadtverwaltung oder aus nachgeordneten Betrieben der Stadt begleitet wurde. Andere wollten wissen, warum er den andauernden Krieg nicht als solchen bezeichnet und deutlich kritisiert habe. Einige Antworten blieb der Oberbürgermeister schuldig.

"Privatreise, um Freunde zu treffen"

In seiner persönlichen Erklärung betonte Oberbürgermeister Krüger am Donnerstag, die Reise sei privat geplant und bezahlt gewesen. Ressourcen der Stadt habe er zu keinem Zeitpunkt dafür in Anspruch genommen. Ziel sei es unter anderem gewesen, Freunde zu treffen. Die Einladung zum Petrovski-Ball in St. Petersburg durch Hans-Joachim Frey sei spontan erfolgt, weil Krüger ohnehin in Russland war.

Vielen in Freiberg stößt sauer auf, dass der ehemalige Semperopernchef Hans-Joachim Frey als Putin-Freund gilt, der mittlerweile die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Krüger zufolge habe Frey ihn kurzfristig gebeten, ein Grußwort zu halten. Eine Bitte, der er als Privatperson gern nachgekommen sei, wie Krüger betonte. Dass er in St. Petersburg als Oberbürgermeister der Stadt Freiberg angekündigt worden sei, habe nicht in seiner Hand gelegen.

In der Sitzung am Donnerstag wurde mehrfach aus dem Stadtrat heraus kritisiert, dass Krüger sein Amt als Oberbürgermeister nicht von der Privatperson Krüger trennen könne, schon gar nicht, wenn er über Angelegenheiten der Stadt spreche. Unter anderen die SPD-Abgeordnete Simone Raatz bekundete Zweifel daran, dass die Reise tatsächlich rein privat gewesen sein soll.

Hintergrund zur umstrittenen Reise von Krüger nach Russland - Krüger hatte auf Anfrage von "Zeit Online" gesagt, er sei auf Einladung von Organisator Hans-Joachim Frey auf dem Ball in Russland gewesen.
- Dort bedankte er sich bei seinem Gastgeber: "Vielen Dank an dich, lieber Hajo, lieber Professor Frey, für die Einladung und die Organisation. Es ist toll, was du hier auf die Beine gestellt hast."
- Frey leitete viele Jahre den Dresdner Semperopernball und hat enge Verbindungen nach Russland. Im Frühjahr überreichte ihm Präsident Putin einen Orden für seine Dienste. Frey habe bei dieser Gelegenheit gesagt: "Ich möchte sagen: Ich stehe auf der Seite Russlands." Frey ist in Dresden umstritten, war schon zuvor wegen seiner Nähe zu Putin in die Kritik geraten.

Mit Putins Doktorvater im Gespräch

Auch mit dem Rektor und Vizerektor der Bergbauuniversität St. Petersburg habe es Krüger zufolge Gespräche gegeben. Interessantes Detail: Rektor Wladimir Litwinenko war einst Putins Doktorvater, ebenso Wahlkampfmanager und auch ein Unterstützer des Angriffskrieges. Geredet worden sei Krüger zufolge beispielsweise über eine Lomonossow-Statue, die die Stadt Freiberg von der russischen Universität geschenkt bekommen habe und die aufgrund der derzeitigen politischen Lage aktuell in einem Freiberger Depot verwahrt wird.

Ich möchte klar sagen, dass ich mit meinen Worten niemanden in seinen Gefühlen verletzen wollte. Sollte dies der Fall sein, möchte ich aufrichtig sagen, dass mir das leid tut.

Sven Krüger Oberbürgermeister Stadt Freiberg

OB entschuldigt sich teilweise

Der Oberbürgermeister mahnte seine Kritikerinnen und Kritiker, das ganze Bild zu sehen. Auf seine Initiative hin habe die Stadt Freiberg viel für ukrainische Flüchtlinge getan, so Krüger in seiner Erklärung. Er verwies in diesem Zusammenhang auf eine Plakat-Aktion vor dem Rathaus, in der er sich gegen diesen Krieg ausgesprochen habe sowie auf Spendenaktionen, Hilfsgütersammlungen und die Schaffung von Schul- und Kitaplätzen für geflüchtete Kinder.

Für die Menschen aus der Ukraine, die in seiner Stadt Zuflucht gefunden haben, werde er sich weiterhin einsetzen. Mit seinen Worten habe der Oberbürgermeister "niemanden in seinen Gefühlen verletzen wollen. Sollte dies der Fall sein, möchte ich aufrichtig sagen, dass mir das leid tut", entschuldigte sich der Oberbürgermeister in seiner Erklärung und wiederholte dies mehrfach als Antwort auf einige der Fragen der Gäste.

Vielfach war Respekt für diese Entschuldigung zu hören. Doch nicht alle waren überzeugt, zum Beispiel der Ukrainer Evgeni Kastschenko. Er sagte zu MDR SACHSEN: "Ich persönlich kann nur sagen: Er hat sich zwar entschuldigt, aber wir nehmen seine Entschuldigung nicht an. Ich persönlich kann das nicht annehmen."

Eigenes Fehlverhalten sieht OB nicht

Einräumen, dass er in St. Petersburg falsch gehandelt haben könnte, wollte Krüger am Donnerstag nicht. Er bestand darauf, dass es sich um eine Privatreise gehandelt habe, weshalb eine Abstimmung mit anderen Politikerinnen und Politikern nicht notwendig gewesen sei. Gleichwohl sehe er einen weitergeführten Dialog mit Russland als ein unbedingtes Erfordernis. Doch so dialogfreudig wie Krüger sich in St. Petersburg zeigte, so verschlossen gab er sich in der Stadtratssitzung.

Fragen von auswärtigen Bürgern und Journalisten nicht zugelassen

Fragen stellen durfte an diesem Nachmittag nur, wer in Freiberg lebt, ein Gewerbe betreibt oder ein Grundstück besitzt. Name und Adresse sollten bei jeder Wortmeldung angegeben werden, damit diese protokolliert und überprüft werden können. Journalistinnen und Medienvertreter von außerhalb war es somit untersagt, Fragen zu stellen. Auch Foto-, Film- und Tonaufnahmen waren während der Sitzung verboten. Die zweifachen Bitte um ein Statement für MDR SACHSEN lehnte der Oberbürgermeister jeweils vor und nach der Veranstaltung mit der Bitte um Verständnis ab.

"Wieviele Tote brauchen Sie noch, damit Sie nicht mehr nach Russland reisen?"

Eine Fragestellerin machte deutlich, warum sie die Rede des OBs in Russland als unangemessen empfindet. Anklagend fragte sie: "Wie oft muss eine Rakete noch nur einen Kilometer von meinem Haus einschlagen, wie viele Tote brauchen Sie noch, damit Sie nicht mehr nach Russland reisen?" Ein älterer Herr bezeichnete die Reise des Oberbürgermeisters als "instinktlos und rücksichtslos".

Jenny Fritzsche, die sich in Freiberg in der Flüchtlingshilfe engagiert, bedankte sich zunächst für die entschuldigenden Worte des OBs in seiner Erklärung und dafür, dass er sich den Fragen stellt. Sie wunderte sich dennoch, wie er für die TU Bergakademie sprechen könne, wenn er als Privatperson reise.

Alexander Geißler wollte wissen, ob Krüger es als Fehlverhalten sehe, wenn er als Amtsträger auf Veranstaltungen spreche, ohne andere miteinzubeziehen.

Mehrfach wiederholte Krüger am Donnerstag in der vollbesetzten Nikolaikirche: "Ich akzeptiere die Kritik". Selten antwortete er mit einem klaren "Ja" oder "Nein", sondern betonte, dass man irgendwann wieder anfangen müsse zu reden.

"Scheindiplomat!" - Stadträte finden deutliche Worte

Stadträtin Jana Pinka (Die Linke) zeigte sich nach der Sitzung enttäuscht von der Veranstaltung. Sie bezweifelt nach wie vor, dass es der Reise bedurft hätte: "Man kann in diesen Zeiten nicht als Freund unter Putin-Freunden, unter Eliten der russischen Führung eine Rede halten." Zudem sieht sie in der Angelegenheit einen Imageschaden für Freiberg, wo sich viele Menschen für Geflüchtete aus der Ukraine engagieren.

Die Stadträtin hätte sich gewünscht, vor Ort Menschen aus Russland und aus der Ukraine zusammenzubringen, um auszuloten, wie sie miteinander leben können und verschiedenen Themen zu diskutieren. "Aber bitte hier in Freiberg und nicht irgendwo als Scheindiplomat in St. Petersburg. Da hat er nichts zu suchen."

Stadtrat Steve Ittershagen (CDU) sagte MDR SACHSEN: "Ich hätte mir gewünscht, dass es abgestimmt wird, mit Vertretern des Stadtrates." Dadurch, so Ittershagen, hätte man sich diese Diskussion und Debatte sparen können. Von der Rede und der Reise sei man im Stadtrat überrascht gewesen. Schließlich sei man sich einig gewesen, vorerst die Beziehungen zur Russischen Föderation auf Eis zu legen. Auch er hätte sich zumindest gewünscht, dass sein Oberbürgermeister auf das Leid deutlich hingewiesen hätte.

Elke Koch (Die Grünen) erklärte während der Veranstaltung, dass sie nichts gegen private Beziehungen und Reisen nach Russland einwenden könne. Allerdings habe die private Reise des Oberbürgermeisters in ihren Augen geendet, als er eine Rede hielt, bei einem Ball der Eliten, mit Leuten, die "Putin-Unterstützer und damit Kriegsunterstützer sind". Sven Krüger sagte dazu wie bereits einige Male zuvor: "Ich akzeptiere diese Kritik."

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MDR AKTUELL Mi 30.08.2023 15:01Uhr 04:27 min

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Deutliches Statement der Bergakademie Freiberg für Ukraine

Direkt nach Bekanntwerden des Opernball-Besuchs hatte sich die Bergakademie Ende August kritisch geäußert. Denn in seiner Rede hatte Krüger auch an die gemeinsame Tradition im Bergbau erinnert. Die Bergakademie verbindet eine lange Tradition mit der Bergbauuniversität in St. Petersburg und es gab bis zum Beginn des Krieges einen intensiven Austausch. Doch seit Russlands Kriegsangriff auf die Ukraine liegt all das auf Eis. In einem Statement betonte die Bergakademie ihre Solidarität mit der Ukraine:

Die TU Bergakademie Freiberg hat unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine die institutionellen Kontakte zu den Hochschulen in Russland – insbesondere auch zu Petersburg – abgebrochen und umfangreiche Hilfsprogramme für Studierende und Hochschulen in der Ukraine aufgelegt.

TU Bergakademie Freiberg

OB erntet auch Zustimmung für Russlandaktion

Doch es hagelte am Donnerstag nicht nur Kritik. So fand beispielsweise die AfD-Fraktion die Reise nicht weiter bedenklich.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 07. September 2023 | 16:30 Uhr

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