Internationales Interesse Chemnitz: So blicken internationale Journalisten auf die neue Kulturhauptstadt
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20. Januar 2025, 13:27 Uhr
Zur Eröffnung der Kulturhauptstadt ist am Wochenende Presse aus ganz Europa nach Chemnitz gekommen. Viele der internationalen Journalistinnen und Journalisten waren zum ersten Mal in der sächsischen Stadt – und zeigten sich positiv überrascht. Chemnitz hat mit seiner vielschichtigen Geschichte, altem Kunsthandwerk wie dem Klöppeln und der herrschenden Aufbruchsstimmung Interesse geweckt.
- Zur Eröffnung der Kulturhauptstadt in Chemnitz sind Journalistinnen und Journalisten aus 13 Ländern gekommen.
- Bei den Kulturhauptstadtprojekten hat sie der Fokus auf aktive Zivilgesellschaft überzeugt.
- Internationale Gäste zeigten sich beeindruckt von Kunst sowie altem Handwerk in Chemnitz und der Region.
"Ich bin besessen von europäischen Kulturstädten, ich bin sozusagen ein Kulturhauptstadt-Junkie", gesteht Frederico Duarte. Der Chefredakteur der portugiesischen Zeitschrift für Design "Fazer" und Autor bei der internationalen Zeitschrift für Kultur "Electra". Wie er im Gespräch mit MDR KULTUR erklärte, habe ihn dieses europäische Projekt nicht mehr losgelassen, seit seine Heimat Lissabon 1994 Kulturhauptstadt Europas war und er als Teenager die Veränderungen der Stadt miterlebt hat. Nach Kopenhagen, Stockholm, Lille, Paphos, Marseille und ganzen sieben von neun Kulturhauptstädten im Jahr 2000 ist Duarte nun nach Chemnitz gekommen.
Die lange industrielle Vergangenheit und die Tatsache, dass Chemnitz eine bedeutende und reiche Stadt in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts war, ist eine große Neuheit für mich.
Vom äußersten Rand des Kontinents ist er nach Prag geflogen und von dort mit zwei Zügen angereist. Er ist einer von den 36 Journalistinnen und Journalisten ausländischer Medien, die über die Feierlichkeiten zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres berichten. Medienschaffende aus 13 Ländern waren bei der Eröffnung akkreditiert, unter anderem aus Litauen, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Slowenien und Deutschland. Rund 215 inländische Journalistinnen und Journalisten waren vor Ort.
Kulturhauptstadt überzeugt mit Fokus auf Gemeinschaft
"Kulturhauptstädte werden manchmal mit neuer Infrastruktur, also dem Bau eines neuen Museums oder Kulturzentrums, in Verbindung gebracht. Das sehe ich in Chemnitz nicht und das finde ich auch gut so", erzählt der Journalist vor dem Hintergrund seiner reichen Kulturhauptstadt-Erfahrung. "Vielmehr geht es hier darum, die Zivilgesellschaft zu aktivieren und neue kulturelle Netzwerke zu bilden". Damit bezieht sich Duarte auf die vielen generationsübergreifenden Projekte oder solche, die Nachbarschaft und Zugehörigkeit stärken wollen.
Escarlata Sanchez, die für den paneuropäischen TV-Nachrichtensender Euronews arbeitet, hat die Größe des Kunstwanderwegs "Purple Path" beeindruckt. "Um eine Skulptur zu sehen, die am anderen Ende der Region steht, sind es 80 Kilometer", sagte sie MDR KULTUR. An der Kulturhauptstadt Chemnitz schätze sie außerdem, dass sie mit dem European Peace Ride zum Fahrradfahren einlade und sich damit für Nachhaltigkeit einsetze.
"Freie Sachsen" sorgen für negative Überraschung
Auch Maja Derčar ist zum allerersten Mal in Chemnitz. Sie ist Deutschlandkorrespondentin des slowenischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks Radiotelevizija Slovenija (RTV) und lebt seit 15 Monaten in Berlin. Im Zuge ihrer Berichterstattung über die Eröffnungsveranstaltungen in der Innenstadt ist sie unerwartet auf die rechtsextreme Demonstration der "Freien Sachsen" gestoßen. "Das waren Jungs, 14, 15 Jahre alt vielleicht. Das hat mich sehr negativ überrascht", gibt Derčar zu.
Aus Slowenien kenne sie das nicht. "Was wir in Deutschland sehen, ist ein sehr krasser Widerstand gegen Migration. Krass im negativen Sinn". Sie hat die Teilnehmenden der rechtsextremen Demonstration nach ihrer Motivation gefragt und vor allem, warum sie ausgerechnet am Tag der Eröffnung der Kulturhauptstadt demonstrieren. Sie habe jedoch keine Antworten bekommen.
Projekte mit Slowenien und Italien geplant
Dieser Zwischenfall werde aber keine große Rolle in ihrer Berichterstattung spielen, sagt die Korrespondentin. Ihr Fokus liege eigentlich auf der Kooperation zwischen Chemnitz und dem Städtepaar Nova Gorica in Slowenien und Gorizia in Italien, die in diesem Jahr ebenfalls den Titel der Kulturhauptstadt Europas tragen. Nova Gorica und Gorizia an der slowenisch-italienischen Grenze wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine willkürlich gezogene Grenze geteilt und wollen unter dem Motto des Kulturhauptstadtjahres "Go Borderless" wieder mehr zusammenwachsen. Die Eröffnung dort findet am 8. Februar statt.
Ich hoffe, dass Slowenien und Sachsen in Zukunft mehr kooperieren.
Chemnitz plant fünf gemeinsame Projekte mit Nova Gorica. Derčar sei auf die Zusammenarbeit der zwei Kulturhauptstädte gespannt. "Ich hoffe, dass Slowenien und Sachsen in Zukunft mehr kooperieren". Die Journalistin sieht viel Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Slowenien und insbesondere Sachsen. Immer mehr slowenische Unternehmen kommen mittlerweile in den Freistaat, womit die wirtschaftliche Zusammenarbeit bereits anlaufe.
Chemnitz überrascht mit Kunst und altem Handwerk
Ganz nach dem Motto "C the Unseen" kamen viele internationale Journalistinnen und Journalisten zum ersten Mal nach Chemnitz und wussten kaum etwas über die Stadt. Auf einer mehrtätigen Tour lernten sie die Geschichte der Stadt kennen und besuchten kulturelle Orte in der Region, etwa ein Maker-Hub in Schneeberg oder die Villa Esche.
Besonders der Besuch im Erzgebirge hat die spanische TV-Journalistin Escarlata Sanchez begeistert. Sie habe dort Kunsthandwerk und Tradition erlebt: "Wir haben einen Ort besucht, an dem in Schneeberg noch geklöppelt wird", erklärt sie im Gespräch bei MDR KULTUR. Es habe sie beeindruckt, zu sehen, wie vor Ort filigrane Handschuhe mittels Klöppeln entstehen.
Der portugisische Journalist Duarte erzählt, dass für ihn die "lange industrielle Vergangenheit und die Tatsache, dass Chemnitz eine bedeutende und reiche Stadt in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts" eine große Neuheit war. Chemnitz sei so etwas wie das Manchester Deutschlands. Der Kulturkritiker freue sich insbesondere auf die Ausstellung, die diese Vergangenheit aufgreift und sich mit dem Einfluss der Industrie auf Kultur auseinandersetzt. Er würde gern wiederkommen, um die weitere Entwicklung der Stadt zu beobachten.
Zur Eröffnung kamen auch internationale Gäste aus der Familie der europäischen Kulturhauptstädte, darunter Elisabeth Schweeger. Sie war die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut, Österreich in 2024. Laut Schweeger ist die Geschichte der Industrie Chemnitz‘ DNA und biete unzählige Möglichkeiten: "Wenn Städte, deren Industrie einen Niedergang erlebt hat, sich der Kunstszene öffnen, dann passiert plötzlich ganz viel. Linz oder Turin sind da gute Beispiele, die demonstrieren, dass man mit Kunst eine Stadt machen kann", sagt die Chefin der Kulturhauptstadt Bad Ischl. In Chemnitz könne man das angenehme Fieber spüren, dass etwas passiere.
Quelle: MDR KULTUR (Timur Vorkul); redaktionelle Bearbeitung: vp, td
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Vormittag | 21. Januar 2025 | 10:15 Uhr