Premiere "Der Geizige" am Theater Zittau: Messerscharfe Kritik am Sparen um jeden Preis
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20. Januar 2025, 13:40 Uhr
Beim Theater in Görlitz-Zittau geht es immer noch ums Geld. Nachdem der Versuch gescheitert ist, die Theaterfassade als Werbefläche zu verkaufen, zum Beispiel an den Rüstungskonzern Rheinmetall, geht das Theater jetzt quasi den umgekehrten Weg: statt mehr Einnahmen, weniger Ausgaben. Diese neue Hauspolitik wird als Gesamtkunstwerk an Molières Komödie "Der Geizige" vorgeführt. Ein kluger, sehenswerter Theaterabend!
- Am Theater Görlitz-Zittau hat am Samstag die Komödie "Der Geizige" Premiere gefeiert. Darin geht es um den Geizhals Harpagon, der mehr an seinem Geld als an seiner Familie interessiert ist.
- Diese Ideologie des Sparens spiegelt sich im Bühnenbild und in den Kostümen.
- Das Stück zeigt, was passiert, wenn der Sparzwang über allem steht und zeichnet dabei auch eine Metapher für Sachsens Regierung.
Das große Sparen beginnt schon, bevor der Vorhang hochgeht. Am Eingang bekommt jeder Zuschauer ein Programmheft in die Hand, das als DIN-A2 großes Blatt erst noch gefaltet und geschnitten werden muss. Die Erklärung dafür findet sich in einem Brief, der an der Garderobe ausliegt: Der Geizige selbst, Harpagon, richtet sich mit ihm an das Publikum und schreibt: "Ihr Schufte! Sparsamkeit ist das Gebot der Stunde! Die Menschen erkennen doch, dass sie über ihre Verhältnisse leben." Die Grußformel am Ende ist wie eine Drohung: "Meine Kontonummer schicke ich noch!"
Spielzeit thematisiert Geld, Armut und Reichtum
Dieser Jahresauftakt des Schauspiels in Zittau passt perfekt zum Spielzeitmotto "Kapital". Schon Marx hatte sein Hauptwerk so genannt. Und war zu dem Schluss gekommen, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Die Inszenierung des Schauspieldirektors Ingo Putz zeigt uns, was passiert, wenn die Umkehrung dieses Satzes allem zugrunde liegt, und das Bewusstsein das Sein bestimmt.
In Molières Komödie "Der Geizige" geht es um Harpagon, einen Geizhals, der mehr an seinem Geld als an seiner Familie interessiert ist. Er will seine Tochter Élise mit einem reichen Mann verheiraten, obwohl die einen anderen liebt, und auch seinen Sohn Cléante in eine unglückliche Ehe zwingen. Harpagon ist so geizig, dass er sogar seine eigenen Kinder betrügt, um an noch mehr Reichtum zu kommen. Doch seine Pläne scheitern. Die Liebe der jungen Paare triumphiert. Harpagons Machenschaften fliegen auf. Am Ende erkennt Harpagon, dass ihm sein Geiz mehr Schaden als Nutzen gebracht hat. So funktioniert das Stück im Original.
Am Theater Sparen um jeden Preis?
Das Bühnenbild zeigt zu Stückbeginn vorne links vier Notenständer mit Noten, und der Theaterabend beginnt mit einer inszenierten Panne. Als Prolog soll ein Streichquartett spielen. Aber es sind noch nicht alle da. Genaugenommen nur eine: Die Violinistin versucht es schließlich alleine, tritt auf, stellt sich an das erste Pult, spielt die Melodielinie, wechselt zum zweiten, zum dritten, dann zum vierten Pult und spielt die jeweilige Begleitung. Zusammen klänge es wohl schön. Nacheinander wirkt es jetzt wie ein Armutszeugnis. In diesem kleinen Prolog wird vorgeführt, was passiert, wenn ein Theater nicht mehr auskömmlich finanziert wird.
Dann treten die Kinder auf. Klagen ihr Leid. Gehen ab. Dann kommt Harpagon. Er hat 30.000 Francs in Gold in einer Kiste dabei. Sein Kapital! Und vergräbt den Schatz im Garten. Das Kapital wird also nicht eingesetzt. Nicht verwendet, um die Welt besser zu machen. Harpagon geizt so sehr mit seinem Geld, dass seine Pferde dürr geworden sind und keine Kutsche mehr ziehen können. Später, als er zum Festmahl einladen will, meint er, ein Essen für acht reiche auch für zehn. Geld zusammenhalten als Ideologie. Sparen um jeden Preis.
Weil Harpagon hier wohl auch für die sächsische Staatsregierung, für eine konservative Sparideologie steht – sieht das Publikum, was passiert, wenn man den Gürtel immer nur enger schnallt.
Keine Zukunft dank sächsischer Sparpolitik
Diese Ideologie spiegelt sich im Bühnenbild und in den Kostümen. Es sieht so aus, als hätte man sich an einem bedeutenden Opernhaus ein barockes Kostüm aus dem Fundus billig eingekauft, und hier in Zittau gleich drei Kostüme daraus geschneidert: Der eine trägt nun die Weste, die andere die Hose, ein dritter das Jackett. Den Garten als Spielort markiert ein Kunstrasen, der aber nicht für die ganze Vorbühne reicht. Deswegen wird er – unauffällig, was natürlich besonders auffällt – hin und her geschoben, damit es reicht.
Im Bühnenhintergrund ist eine Art Boxring aufgebaut. Seile begrenzen die Seiten, hängen hier aber aus dem Schnürboden. Man kann dann zwei zusammenbinden und eine Schaukel bauen. Man kann sich an einem Seil auch aufhängen. Zwei Seile sind so brüchig präpariert, dass sie beim Spiel einfach reißen und herunterfallen.
Investitionsstau am Theater. Im übertragenen Sinne: Investitionsstau in Sachsen, wo die Infrastruktur, sprich Pferd und Kutsche, nicht mehr funktioniert. Wo eine Acht eine Zehn bedeutet. Weil Harpagon hier wohl auch für die sächsische Staatsregierung, für eine konservative Sparideologie steht – sieht das Publikum, was passiert, wenn man den Gürtel immer nur enger schnallt: die eigenen Kinder, die Zukunft, geht verloren!
Theater Zittau übt Kritik an Schuldenbremse
Krass, dass das Stück diese Interpretation so messerscharf gedacht hergibt. Geiz ist geil! Geld ist zwar da, vergraben im Garten, wird aber nicht eingesetzt. Immer noch mehr Sparen. "Meine Kontonummer schicke ich euch noch!", droht der Geizige per Brief zu Beginn dieses Gesamtkunstwerkes, das nicht nur die Vorstellung, sondern das ganze Theater umfasst.
Was wäre eigentlich, wenn Harpagon sein Geld einfach den Kindern gäbe? Was wäre, wenn die staatstragende Ideologie der Schuldenbremse begraben, und ein neues, großes Investieren in die Zukunft beginnen würde? Bei Marx bestimmt das Sein das Bewusstsein. Mit dieser Inszenierung zeigen Schauspieldirektor, Ingo Putz und sein Team, wie eine Welt zu Grunde geht, wenn das Bewusstsein, das unbedingte Sparbewusstsein, das Sein bestimmt.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen eine gute Ensemble-Leistung. Die Regie ist schlüssig und setzt auf einen derben Volkstheaterstil im Geiste der Commedia dell'arte. Taschentücher voller Rotz – pardon – sind quasi im Dauereinsatz. Das ist eklig-schön.
Dem Publikum hat das Ganze gut gefallen. Das Haus war ausverkauft. Es wurde viel gelacht. Die Inszenierung ist mit gut zwei Stunden Länge samt Pause angenehm kurz. Die Pausenversorgung hier in Zittau ist im Vergleich zu anderen Theatern wirklich hervorzuheben! Molières "Geiziger" in Zittau ist eine Reise wert.
Weitere Informationen
"Der Geizige"
Komödie von Molière
Haus Zittau, Großer Saal
Weitere Vorstellungen:
Freitag, 24. Januar 2024, 19:30 Uhr
Samstag, 25. Januar 2024, 19:30 Uhr
Freitag, 14. Februar 2024, 19:30 Uhr
Freitag, 28. Februar 2024, 19:30 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: hro
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Januar 2025 | 10:15 Uhr