Blick auf die Neiße in Görlitz in den 1940er Jahren
Auch in Görlitz hat der Zweite Weltkriege massiv Spuren hinterlassen. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Nationalsozialismus Görlitz zwischen 1933 und 1945: Museum will Geschichte aufarbeiten

02. Februar 2024, 13:26 Uhr

In Görlitz ist im Februar ein neues Forschungsprojekt gestartet. Gemeinsam mit der Stadtgesellschaft soll es die NS-Zeit in der Stadt aufarbeiten. Im Frühjahr 2025 soll es im Kaisertrutz eine Ausstellung über die Görlitzer Jahre von 1933 bis 1945 geben. Das Team der Görlitzer Sammlungen möchte dafür auch die Stadtgesellschaft einbeziehen, wie der Leiter des Kulturhistorischen Museums, Jasper von Richthofen, im Interview erklärt.

MDR KULTUR: 80 Jahre nach Kriegsende soll es neue Forschungen zur NS-Geschichte in Görlitz geben. Herr von Richthofen, wie groß sind da die Lücken?

Jasper von Richthofen: Die Lücken sind tatsächlich erheblich. Denn man hat sich diesem Thema lange überhaupt nicht angenommen. Im Vordergrund standen in der jüngeren Vergangenheit immer andere Narrative, zum Beispiel die Teilung der Stadt, Flucht und Vertreibung. Und so blieb auch nach der politischen Wende das Thema Nationalsozialismus in der Region meistens ausgespart.

Es existiert eine Publikation mit dem Titel "Görlitz unterm Hakenkreuz" von 1982. Was bleibt daneben für Sie zu tun?

Diese Publikation, die im Übrigen auch von unserem Haus herausgegeben wurde, ist durchaus spannend. Die sammelt ganz viele Quellen, auf die wir uns sicherlich auch stützen werden. 1982, in der tiefen DDR-Zeit, hatte man aber einen ganz anderen Blick auf diese Epoche, und deswegen wollen wir das neu aufrollen und neu betrachten.

Barockhäuser am Leninplatz in Görlitz, 1982.
Bereits 1982 gab es Quellenforschung zur Nazi-Zeit in Görlitz – die jetzt neu betrachtet werden soll. Bildrechte: IMAGO / Ulrich Hässler

Sie müssen Schwerpunkte setzen. Selbst wenn man nur die Herrschaftszeit ohne Vorgeschichte des Nationalsozialismus erzählt, sind es zwölf Jahre. Worauf wollen Sie sich konzentrieren?

Die klassische Herangehensweise ist, dass wir Schwarz und Weiß nebeneinanderhalten. Wir kennen den SS-Schergen oder den SA-Schergen auf der einen Seite und den verfolgten Kommunisten auf der anderen Seite. Aber wir blicken auf die Grautöne dazwischen. Was hat das mit den Menschen in der Stadt Görlitz gemacht? Warum haben sie sich ohne Not 1933 die Demokratie abnehmen lassen? Da wollen wir eher in diese Alltagsrichtung gehen mit unserer Ausstellung.

Mit dem Blick auf den Rechtsruck in Deutschland will man sofort Vergleiche anstellen. Was Sie vorhaben, ist auch spannend, weil Sie es an die Stadtgesellschaft anbinden und die Menschen aus Görlitz einbeziehen wollen, Forschung sozusagen als gesellschaftliche Aufgabe. Wie kommt man an die Menschen ran? Was haben Sie vor?

Wir wollen versuchen, dass die Leute nachdenken, aber auch, dass sie beginnen, in der eigenen Geschichte zu forschen. Wir sind ein bisschen spät dran: Es werden nur noch wenige sein, die sich an diese Zeit erinnern können. Wir müssen da grundlegend herangehen und auch Quellenstudium betreiben. Daher möchten wir mit Schulprojekten, mit Citizen-Science-Projekten loslegen und gucken, was sich da so alles findet.

Das ist auch die Erfahrung der Zittauer Kollegen, die sich des Jahres 1933 in einer Ausstellung angenommen haben, dass im Verlaufe der Ausstellung ganz viele Hinweise kommen, dass die Leute sich aufrütteln lassen, sich Gedanken machen und man dann auch Quellen sammeln kann.

Kaisertrutz auf dem Demianiplatz in Görlitz
Im Kaisertrutz sind die Görlitzer Sammlungen untergebracht. Bildrechte: imago stock&people

In Zittau hatte das Team drei Jahre Zeit, um wachzurütteln und auf ihr Forschungsprojekt aufmerksam zu machen. Sie müssen es in einem Jahr stemmen. Im Frühjahr 2025 soll schon die Ausstellung eröffnet werden. Gibt es schon Ideen für die Schau?

Die Schau sollte nicht statisch sein. Ganz spontan: Ich stelle mir vor, dass die Ausstellung selbst Werkstattcharakter hat, dass man noch Ergänzungen vornehmen kann im Verlauf der Ausstellung und zum Beispiel von solchen Schulprojekten oder Citizen-Science-Projekten etwas mit reinnehmen kann. Letztendlich soll das ganze Jahr auch in eine Publikation münden, die vor allen Dingen an den Schulen der Region verwendet werden soll, damit wir etwas Handfestes haben, was die Zeit in unserer Region dokumentiert.

Das Interview führte MDR KULTUR-Moderatorin Ellen Schweda.
Redaktionelle Bearbeitung: tsa

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 01. Februar 2024 | 06:10 Uhr

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