Am Asylbewerberheim in Niesky sollen Wohncontainer aufgestellt werden, um mehr Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. Dagegen regt sich Protest.
Am Asylbewerberheim in Niesky sollen Wohncontainer aufgestellt werden, um mehr Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. Dagegen regt sich Protest. Bildrechte: Martin Kliemank

Protest gegen Flüchtlingsheim Aufgeheizte Stimmung wegen Erweiterung von Asylheim in Niesky

15. Februar 2025, 12:00 Uhr

In Niesky brodelt es. Seit bekannt ist, dass das Asylbewerberheim erweitert werden soll, kochen die Emotionen hoch. Mit einer Petition, mit Unterschriftenlisten und einer Kundgebung wird gegen das Heim mobilisiert. Die Oberbürgermeisterin spricht von Aufruhr in ihrer Stadt und davon, dass Falschinformationen verbreitet werden. Was ist das los? Ein Stimmungsbild.

  • Das Landratsamt Görlitz will die Kapazität des Flüchtlingsheims in Niesky hochfahren und gleichzeitig eine Mischbelegung schaffen.
  • Eine von einem AfD-Stadtrat gestartete Online-Petition wurde geschlossen, weil es viele Hasskommentare gab.
  • Viele Einwohner denken auch wegen Falschinformationen, dass in dem Heim vor allem Straftäter untergebracht sind. Das widerlegt die Statistik der Polizei.

Anfang Februar hatte ein Vertreter des Landratsamtes Görlitz die Erweiterungspläne im Stadtrat vorgestellt. Das Landratsamt Görlitz als Eigentümerin des Heims plant die Kapazität von aktuell 98 auf bis zu 200 Plätze zu erhöhen. Dafür sollen auf dem Grundstück Container aufgestellt werden.

Derzeit wohnen in dem Heim rund 60 alleinstehende Männer. Das soll sich ändern, sagt Vize-Landrat Thomas Gampe: "Wir wollen schauen, dass wir hier zu einer Mischbelegung kommen, dass wir in den Containern dann auch Familien unterbringen können." Das sei wegen der Raumstruktur im bestehenden Gebäude nicht möglich.

Wir wollen schauen, dass wir hier zu einer Mischbelegung kommen, dass wir in den Containern dann auch Familien unterbringen können.

Thomas Gampe Vize-Landrat Görlitz

Kein Wohnraum in umliegenden Kommunen

Dass im Raum Niesky neue Unterkünfte für Asylbewerber geschaffen werden sollen, hat der Kreistag im Oktober 2023 beschlossen. Ziel ist eine ausgewogenere Verteilung von Flüchtlingen im Landkreis - denn gemessen an der Bevölkerung sind derzeit überproportional viele Asylbewerber im Raum Löbau-Zittau untergebracht.

Thomas Gampe sagt, das Landratsamt habe die umliegenden Kommunen von Niesky im November 2023 um Quartiere gebeten. Weil da kein Wohnraum zu finden gewesen sei, gebe es seit Mitte vergangenen Jahres Überlegungen, in Niesky zu erweitern.

Ein Garagenkomplex gegenüber der Zufahrt zum Asylbewerberheim 3 min
Ein Garagenkomplex gegenüber der Zufahrt zum Asylbewerberheim Bildrechte: Martin Kliemank
3 min

In Niesky gibt es heftige Diskussionen um die Erweiterung des Asylbewerberheims. Martin Kliemank hat sich vor Ort umgehört.

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Fr 14.02.2025 16:30Uhr 03:08 min

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Viele Bürger lehnen eine Erweiterung des Asylheims ab

Bei den Einwohnern von Niesky löst das Ängste aus. "Ich bin nicht dafür", sagt eine 90-Jährige, die in der Innenstadt wohnt. "Wir sind genug Leute." Ein älterer Herr vor einem Einkaufsmarkt fragt: "Was gehören die hierher? Soviele Ausländer, was sollen die dort draußen? Die sollen nach Afghanistan oder wo sie her sind zurück." Er wohne nicht in Niesky, deshalb habe er mit den Flüchtlingen im Ort auch nichts zu tun, sagt der Mann auf Nachfrage.

"Wir haben genug Asylbewerber und die haben auch schon genug Untugenden gemacht hier", sagt eine weitere Seniorin, als sie auf die Erweiterungspläne für das Asylbewerberheim angesprochen wird. Sie sei deswegen beunruhigt. Problematisch findet sie, dass sich in der Nähe des Heims ein Kindergarten befindet. Asylbewerbern begegnet sei sie noch nie. Das Heim liege "weit draußen". Sie wohne in der Innenstadt.

Heim am Stadtrand neben einer Industriebrache

Das Asylbewerberheim an der Fichtestraße besteht seit 2015. Es liegt versteckt am Stadtrand neben einer großen Industriebrache. Nur ein schmaler Weg hinter einem Wäldchen führt dorthin. Ein paar Fahrräder stehen eingeschneit vor der Unterkunft. Überwachungskameras an allen Hausecken. Hinter einem weit geöffneten Zimmerfenster telefoniert ein Bewohner lautstark über sein Handy. Er winkt herüber. Sonst ist es ruhig um das Heim.

Flüchtlinge nicht mehr erwünscht

Ein Sichtschutzzaun trennt das Gelände des Asylbewerberheims von einem benachbarten Fitnessstudio. Am Freitagvormittag herrscht hier reger Betrieb. Die Mitarbeiterin hinterm Tresen sagt, auch Flüchtlinge aus dem Heim nebenan hätten hier schon trainiert. Jetzt wolle man die aber nicht mehr als Kunden. "Die Männer seien mit einer anderen Kultur aufgewachsen", begründet die Angestellte. Mehr will sie dazu nicht sagen.

Insgesamt sei es um das Heim aber ruhig. Dass die Frau nach einem Spätdienst um 22 Uhr das Studio auch schon mal allein zusperrt, stört sie nicht. Angst habe sie dabei nicht. Aber auch sie möchte nicht, dass in der Nachbarschaft Container für mehr Flüchtlinge aufgestellt werden.

Ein Garagenkomplex gegenüber der Zufahrt zum Asylbewerberheim
Ein Garagenkomplex gegenüber der Zufahrt zum Asylbewerberheim. Bildrechte: Martin Kliemank

Wachdienst dauerhaft vor Ort

Im Unterbringungskonzept des Landkreises steht für das Heim in Niesky: "In dieser Gemeinschaftsunterkunft wird eine bestimmte Klientel an Asylsuchenden untergebracht, die nicht mit einer Vielzahl anderer Personen gemeinsam untergebracht werden können."

Gemeint sind Straftäter und psychisch Kranke. Für die Unterbringung dieses Klientels hat das Heim eine besondere Sicherheitsausstattung, zum Beispiel einen Wachdienst und eine Schleuse, damit niemand einfach so ins Haus gelangen kann. Ein Wachmann ist tagsüber da, nachts sind es zwei. Auch eine Sozialarbeiterin sei regelmäßig vor Ort, heißt es vom Landratsamt.

Jeder vierte Bewohner ein Straftäter

Nach Angaben der Behörde leben im Asylbewerberheim Niesky derzeit 14 Männer, die straffällig geworden sind – hauptsächlich geht es da um Diebstahl, Drogendelikte, Streitereien zwischen den Bewohnern im Heim. Laut Polizei spielt auch Alkoholabhängigkeit eine Rolle. Personen, die wegen psychischer Erkrankungen eine Gefahr sein könnten, lebten keine mehr im Asylbewerberheim, sagt Vize-Landrat Thomas Gampe. Eine Person, bei der das der Fall war, sei inzwischen im Gefängnis.

Erste Petition von change.org geschlossen

Jeder vierte Bewohner ein Straftäter – diese Zahl machte nach der Stadtratssitzung Anfang Februar in Niesky die Runde und sorgte für Entsetzen. Hunderte unterzeichneten eine Online-Petition, die ein AfD-Stadtrat gegen das Heim gestartet hatte. Initiator Thomas Christgen werden Verbindungen zu den "Schlesischen Jungs Niesky" nachgesagt – einer Gruppe Rechtsextremisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Seine erste Petition wurde von der Plattform change.org gelöscht. Eine Sprecherin des Portals teilte auf Nachfrage mit, die Petition habe gegen die Community-Richtlinien verstoßen. Hassrede oder die Verbreitung von Falschinformationen hätten keinen Platz auf der Website. Eine zweite, dann von Christgen neu gestartete Petition, ist noch online.

Schweigen aus Furcht vor Anfeindungen

André Schulze, ehemaliger Citymanager und Mitglied der Wählervereinigung "Bündnis H.E.R.Z für Niesky" bereitet die Stimmungsmache gegen das Heim Unbehagen. Sorgen vor zunehmender Kriminalität bei einer Erweiterung des Heims würden geschürt durch gezielte Fehlinformationen, beklagt Schulze. Menschen, die die Debatte versachlichen wollten, würden resignieren. "Die sagen, ich halte mich da jetzt raus. Ich will keinen Ärger haben und nicht angefeindet werden", beobachtet Schulze.

Von Landratsamt und Stadtverwaltung fordert das Bündnis in einem offenen Brief einen sachlichen und konstruktiven Dialog. "Berechtigte Fragen von Anwohnern" sollten gehört und das Sicherheitsgefühl der Menschen durch ein angepasstes Sicherheitskonzept für das Heim gestärkt werden, heißt es in dem Brief. Tatsächlich werde dieses mehrere Jahre alte Konzept derzeit überarbeitet, sagt Thomas Gampe von der Landkreisverwaltung. Dabei würden Probleme außerhalb des Asylbewerberheims stärker in den Blick genommen, verspricht der Vize-Landrat. Stadtverwaltung und Polizei sollen daran mitwirken.

Der Zinzendorfplatz mit der Kirche der evangelischen Brüdergemeine im Zentrum von Niesky
Der Zinzendorfplatz mit der Kirche der evangelischen Brüdergemeine im Zentrum von Niesky. Bildrechte: Martin Kliemank

Polizei: Lage "komplett unspektakulär"

Letztere bewertet die Sicherheitslage um das Heim als "komplett unspektakulär". Das Asylheim sei kein besonderer Kriminalitäts-Schwerpunkt in Niesky, teilt die Polizeidirektion Görlitz mit. Im vergangenen Jahr gab es dort elf Polizeieinsätze – unter anderem wegen Diebstahl innerhalb der Unterkunft, Streitigkeiten zwischen Bewohnern und Verstößen gegen die Hausordnung.

Aus polizeilicher Sicht begehen die Insassen des Heimes nicht mehr Straftaten als andere Bewohner der Stadt Niesky.

Anja Leuschner Polizeidirektion Görlitz

Polizeisprecherin Anja Leuschner sagt, "aus polizeilicher Sicht begehen die Insassen des Heimes nicht mehr Straftaten als andere Bewohner der Stadt Niesky." So habe die Polizei im Jahr 2023 in Niesky fast 600 Straftaten registriert - 13 gingen nachweislich aufs Konto von Zugewanderten. Weiter heißt es: "Die Daten lassen keinen Rückschluss auf die Gemeinschaftsunterkunft Fichtestraße zu."

Polizeiliche Kriminalitätsstatistik für Niesky
Jahr Fälle davon durch tatverdächtige Zuwanderer begangen Anzahl der tatverdächtigen Zuwanderer
2021 488 21 13
2022 543 18 14
2023 582 13 11

Quelle: Polizeidirektion Görlitz

Willkommensbündnis: Nur einige wenige machen Probleme

Auch Katarina Seifert weiß nur von einzelnen Bewohnern, die Probleme machen. Sie betreibt mit dem "Café International" seit Jahren eine Anlaufstelle für Geflüchtete und engagiert sich im Willkommensbündnis der Stadt. Wenn ihr jemand von einem Vorfall erzähle, könne sie fast den Namen zum Täter nennen, sagt Schwester Katarina. Weil es immer dieselben seien, die sich daneben benehmen. Dass sich Asylbewerber ihr gegenüber aggressiv verhielten, habe sie noch nicht erlebt. Im Gegenteil: "Wenn jemand unfreundlich zu mir war, dann entschuldigten sich die anderen für ihre Landsleute." Das sei ihr schon mehrfach passiert.

Integration als Sicherheitsbeitrag

Seifert sagt, sie erlebe sehr viel Dankbarkeit von Seiten der Flüchtlinge. Ihnen freundlich zu begegnen, werde genauso erwidert, beschreibt die Flüchtlingshelferin vom CVJM ihre Erfahrungen. Für das beste Sicherheitskonzept hält sie: "Mit den Leuten in Kontakt stehen. Dann weiß ich, wer Probleme machen kann." Aber die meisten Einwohner von Niesky wollten sich nicht darauf einlassen, beklagt Schwester Katarina.

Wir leben von dem, was geflüchtete Menschen aufgebaut haben und machen im Zentrum dieser Stadt eine Demo gegen Flüchtlinge - das ist so absurd.

Katarina Seifert Willkommensbündnis Niesky

Angesichts einer Kundgebung, die die AfD für Freitagabend gegen das Asylheim in Niesky angekündigt hatte, erinnert Seifert an die Wurzeln der Stadt. Der Ort wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von Religionsflüchtlingen aus Böhmen gegründet. "Wir leben von dem, was geflüchtete Menschen aufgebaut haben und machen im Zentrum dieser Stadt eine Demo gegen Flüchtlinge - das ist so absurd."
Dennoch haben sich nach Polizeiangaben am Freitag mehr als 400 Menschen an der AfD-Kundgebung beteiligt.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 14. Februar 2025 | 16:30 Uhr

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