
80 Jahre Kriegsende Ausstellung "Nationalsozialismus in Görlitz" beleuchtet NS-Vergangenheit der Stadt
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22. März 2025, 04:00 Uhr
Eine neue Ausstellung zum Nationalsozialismus in Görlitz zeigt unter anderem anhand persönlicher Zeugnisse, welche Folgen die NS-Zeit für die Bevölkerung und die Stadt hatte. Aber auch, wie die Bevölkerung selbst zur Machtübernahme der Nazis beitrug – und wie das Thema nach dem Krieg in der DDR und bis heute aufgearbeitet wurde.
- In der Ausstellung "Nationalsozialismus in Görlitz" wird unter anderem ein Mord im Rahmen der sogenannten "Kinder-Euthanasie" geschildert.
- Die Machtübernahme der Nazis und der Verlust der Demokratie erfolgten mit Unterstützung der Görlitzer Bevölkerung.
- Mitten in der Stadt Görlitz befand sich eine Außenstelle des KZ Groß-Rosen.
"Die Indoktrination der Kinder war wirklich ab der Grundschule ein großes Thema", erzählt Sven Brajer. Der Historiker hat ein Jahr lang über die Zeit des Nationalsozialismus in Görlitz geforscht und dabei neben der Recherche in Archiven auch zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen oder deren Nachfahren geführt. Die Ausstellung im Kaisertrutz baut auf seiner Forschungsarbeit auf.
Auch ein Diktatheft aus einem Görlitzer Privathaushalt ist dabei. Ein Aufsatzthema im Jahr 1939 hieß "Symbole des Reiches". Gereicht hat es für Anneliese Amberg nur für eine Zwei, dabei hatte sich die Schülerin sicher große Mühe gegeben, die zackigen Buchstaben der Sütterlinschrift sorgfältig in ihr Heft zu schreiben.
Euthanasie-Mord wegen Krampfanfällen
Durch historische Fotos, amtliche und persönliche Dokumente, durch Tagebücher und Briefe entsteht ein lebendiger Eindruck der NS-Zeit. Die meisten Objekte erzählen von persönlichen Schicksalen.
Wie die Krankenakte von Johanna Müllrich. Aufgrund chronischer Krampfanfälle wiesen sie die Behörden im Jahr 1942 in die Sächsische Landesanstalt Großschweidnitz ein. Dort wurde die 19-Jährige im Rahmen der sogenannten "Kinder-Euthanasie" ermordet. Ein Kreuz, mit rotem Buntstift auf den Deckel der Krankenakte gezeichnet, besiegelt ihr grausames Ende mit einer erschreckenden Beiläufigkeit.
Das Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt jedoch weniger auf den Tätern und Opfern, sondern vielmehr auf den Biografien "normaler" Görlitzer und Görlitzerinnen. Mehr Graustufen statt Schwarz-Weiß, nennt es der Historiker Brajer.
Machtantritt mit Unterstützung der Görlitzer Bevölkerung
Die chronologisch aufgebaute Ausstellung startet im Jahr 1928 mit einem Diagramm der Wahlergebnisse in der Stadt. Die NSDAP holte damals 4,2 Prozent, vier Jahre später waren es 38,8 Prozent.
Die Görlitzer hätten sich die Demokratie ohne Not, einfach so aus der Hand nehmen lassen, sagt der Direktor der Görlitzer Sammlungen, Jasper von Richthofen. "Für mich war überraschend, wie wahnsinnig schnell es gegangen ist, dass die Nationalsozialisten ihre Macht zementiert haben." Das sei ohne die Unterstützung der Bevölkerung gar nicht möglich gewesen.
Die Ausstellung vermittelt einen Eindruck davon, wie sich der Alltag der Menschen nach dem Machtantritt in Görlitz gestaltet. Und zwar für die Leute, die mitziehen, betont Richthofen, die anderen seien nämlich ganz schnell ausgegrenzt gewesen. Zur weiteren Entwicklung sagt er: "Es geht gleichzeitig los mit Militarisierung, mündet in den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen 1939 – und damit kommen dann auch gleich wieder die ersten Gefallenenbriefe nach Görlitz."
Für mich war überraschend, wie wahnsinnig schnell es gegangen ist, dass die Nationalsozialisten ihre Macht zementiert haben.
KZ-Außenstelle mitten in Görlitz
Zu diesem NS-Alltag gehört auch eine Außenstelle des KZ Groß-Rosen. Diese befindet sich von 1944 bis 1945 mitten in der Stadt, wie ausgestellte Luftaufnahmen zeigen. Manch einer der Zeitzeugen, mit denen der Historiker Brajer gesprochen hat, erinnert sich noch, als Kind die Häftlinge auf ihrem Weg dorthin gesehen zu haben. Er habe die Leute dann immer gefragt, ob das irgendwie aufgearbeitet wurde, doch sie hätten vielfach gesagt: "Nö, darüber haben wir nicht geredet, das war kein Thema."
Aufarbeitung in der DDR und heute
Über den Umgang mit der NS-Zeit nach dem Krieg und später, in der DDR, hat Brajer für Görlitz und die Region wenig gefunden. Diesem Aspekt ist das Schlusskapitel der Ausstellung gewidmet, das gleichzeitig den Blick auf unsere eigene Verantwortung lenkt.
Museumsdirektor von Richthofen sieht in der intensiven Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine Chance zu gegenseitiger Verständigung. "Wenn man zum Beispiel ins weitere Europa schaut: Die Franco-Diktatur in Spanien ist nicht aufgearbeitet worden – das zieht bis in die Gegenwart Gräben durch die Gesellschaft." Er ist überzeugt, dass die Aufarbeitung derartige Gräben zuschütten kann. Die Ausstellung "Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende" kann dazu einen wichtigen Beitrag für diese Region leisten.
Informationen zur Ausstellung
"Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende"
Sonderausstellung
21. März bis 14. Dezember 2025
Kaisertrutz Görlitz
Platz des 17. Juni 1, 02826 Görlitz
Öffnungszeiten:
April bis Oktober
Dienstag bis Donnerstag 10 bis 17 Uhr
Freitag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr
Montag geschlossen
November bis März
Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr
Montag geschlossen
Die Ausstellung ist in Deutsch, in einfacher Sprache und in Polnisch konzipiert.
Begleitprogramm
- Rundgang über das Gelände des Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A
Do., 11. Mai, 11 Uhr Do., 13. Juli, 11 Uhr
Do., 8. Juni, 11 Uhr Do., 7. September, 11 Uhr
Do., 6. Juli, 11 Uhr Do., 2. Oktober, 11 Uhr
- "Kindheit und Jugend unter dem Hakenkreuz"
Führung mit Museumspädagogin Marie Karutz für weiterführende Schulen ab Klasse 8/9
- Zeitzeugengespräche
Quelle: MDR KULTUR, Görlitzer Sammlungen
Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. März 2025 | 12:15 Uhr