
Lehrermangel Hunderte neue Lehrkäfte für Sachsens Schulen - doch Lücken auf dem Land bleiben
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05. März 2025, 17:23 Uhr
In Sachsen sind zum Start des zweiten Schulhalbjahres mehr als 600 Lehrerinnen und Lehrer sowie mehr als 200 Seiteneinsteiger neu eingestellt worden. Besonders auf dem Land bleibt die Situation aber angespannt. Das berichten auch Schüler und Eltern aus Weißwasser. Die Kinder und Jugendlichen sehen sich um Bildungschancen gebracht und gegenüber Schülern in Großstädten benachteiligt. Der Kreiselternrat organisiert deshalb Proteste gegen Lehrermangel und Stundenausfall.
- Eine Elternsprecherin sieht Schulen im ländlichen Raum gegenüber Schulen in Großstädten benachteiligt.
- Schüler berichten von dramatisch hohem Unterrichtsausfall.
- Wie hoch ist der Unterrichtsausfall laut Kultusministerium?
In Sachsen wurden zum Start des zweiten Schulhalbjahres 636 Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt. Das hat das Kultusministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN mitgeteilt. Außerdem hätten 248 Seiteneinsteiger ihren Dienst begonnen.
Der Bedarf ist aber deutlich größer. Vor allem an Schulen im ländlichen Raum fällt viel Unterricht wegen fehlender Lehrer aus. Für einen Dienst an Oberlausitzer Schulen konnten zum zweiten Schulhalbjahr lediglich 67 grundständig ausgebildete Lehrer hinzugewonnen werden und 48 Seiteneinsteiger. Damit bleiben viele Lücken offen und darüber wächst der Unmut.
Eltern fordern "vernünftige Bildung" für ihre Kinder
Erst Mitte Februar waren in Weißwasser mehr als 250 Schüler und Eltern gegen Unterrichtsausfall und Lehrermangel auf die Straße gegangen. Mit Trillerpfeifen und Plakaten machten sie ihrem Ärger Luft. "Lehrermangel gefährdet unsere Zukunft" war auf einem Transparent zu lesen. Bei einer Kundgebung auf dem Marktplatz zeigten Schüler und Lehrer dem Kultusministerium die rote Karte. Sie schlossen sich damit einer Protestaktion des Kreiselternrats an.
"Uns ist es wichtig, dass das Kultusministerium auch uns hier in der ländlichen Gegend mal wahrnimmt", sagt Karina Ott, Elternsprecherin am Landau-Gymnasium in Weißwasser und Initiatorin der Demonstration. "Wir sind nicht damit einverstanden, dass so viel Unterricht ausfällt." Gegenüber personell besser ausgestatteten Schulen in Großstädten sieht sie die Schulen im ländlichen Raum ungerecht behandelt. Es müsse etwas passieren, damit die Kinder auch hier eine "vernünftige Bildung" bekämen.
Unterrichtsausfall vor allem bei Jüngeren
Sorgen macht sich Ott vor allem um die Schülerinnen und Schüler der niedrigen Klassenstufen. Bei allen drei fünften Klassen des Gymnasiums sei der Stundenplan wegen fehlender Lehrer pro Woche um fünf Unterrichtsstunden gekürzt. Dazu komme ungeplanter Unterrichtsausfall, zum Beispiel weil Lehrer krank sind.
Zehntklässlerin Jessica Otto bestätigt, dass bei den Jüngeren viel Unterricht ausfällt. Ihr Bruder gehe in die fünfte Klasse des Gymnasiums, erzählt sie. "Wenn man da mal den Unterrichtsstoff vergleicht, den ich in der fünften Klasse hatte, mit dem, den er jetzt hat, dann ist das nicht mal die Hälfte. Die lassen sehr viele Themen ganz weg", beschrieb die Schülerin ihren Eindruck.
Unterricht in einzelnen Fächern ganz gestrichen
Fünftklässler des Gymnasiums berichteten, sie hätten im ganzen Schuljahr noch keinen Ethikunterricht gehabt. Jessica Otto erzählt, Geschichte und Mathe würden pro Woche nur drei Stunden unterrichtet. "Das ist viel zu wenig – vor allem in der fünften Klasse, wo man die ganzen Grundlagen lernt. Man baut ja dann darauf auf", beklagt Jessica. "Das kann man gar nicht mehr aufholen."
In den höheren Klassenstufen sei die Situation dagegen aus ihrer Sicht noch nicht so dramatisch. Bei Klassen, die vor Prüfungen stehen, achte die Schulleitung darauf, dass dort weniger Unterricht gestrichen wird. Kurzfristige Ausfälle von Lehrern könnten aber auch hier oft mangels Vertretung nicht kompensiert werden.
Zu viele Hausaufgaben sorgen für Stress
Jede Woche würden Stunden ausfallen, berichtete auch Neuntklässlerin Marie Morgenstern. "Das stresst übelst, weil die Lehrer dann viel zu viel für zu Hause aufgeben." Sie sitze dann häufig noch bis abends an den Schulsachen. Oft gehe sie deswegen erst nach 22 Uhr ins Bett. Die Schülerin wünscht sich mehr Unterricht in der Schule, um nicht so viel zu Hause arbeiten zu müssen. "Meine Eltern sind tagsüber arbeiten und ich habe keine Hilfe", beschrieb Marie ihre Situation.
Sorge um den Abschluss
"Wer, wie, was, warum – wer nicht lernt, bleibt dumm", hatte Nils Rottnick auf sein Plakat für die Demo gemalt. Nils lernt an der Bruno-Bürgel-Oberschule, besucht dort die fünfte Klasse. Seine Klasse habe in diesem Schuljahr noch keinen Musikunterricht gehabt, erzählte er.
Manche seiner Klassenkameraden seien vielleicht glücklich damit, dass sie weniger Unterricht haben, mutmaßte Nils. "Bei den Prüfungen muss man den Stoff dann ja aber drauf haben. Wenn man den dann nicht hat, ist man scheiße dran." Er sorge sich, wie er mal seinen Abschluss schaffen soll. "Es wäre besser, wenn mehr Lehrer an unsere Schule kommen, damit wir eine bessere Zukunft haben", forderte der Junge.
Mehr Stoff in den verbleibenden Stunden
Carolina Janousek, Mitglied im Schülerrat des Landau-Gymnasiums, sagte, dass die Lehrer nun mehr Stoff in die Unterrichtsstunden pressen, um noch dem Lehrplan gerecht zu werden. "Die Zeit für extra Fragen, für extra Stoff, auch mal Zeit fünf Minuten, um über das Thema zu reden – die fehlt. Es wird nur durchgehetzt und das war’s leider", beschreibt Carolina. "Ich hoffe, dass das Kultusministerium sieht, dass uns das nicht egal ist und wir das nicht einfach so über uns ergehen lassen."
Lehrerin spricht von "unhaltbarem Zustand"
Deshalb kam auch Birgit Haberland zur Demo. Die 67-jährige Gymnasiallehrerin könnte längst im Ruhestand sein. Weil am Landau-Gymnasium Lehrer fehlen, unterrichtet sie weiter zwei Tage in der Woche Russisch und Deutsch an der Schule. Mit Blick auf die jüngeren Klassen mache sie sich große Sorgen. Haberlands Enkelin besucht die sechste Klasse des Gymnasiums. Ihr Stundenplan sei um sieben Unterrichtsstunden gekürzt. Ungeplante Ausfallstunden kämen auch hier noch dazu.
"Das ist für mich ein unhaltbarer Zustand", empört sich Haberland. Notgedrungen müssten dann auch die Anforderungen des Lehrplans zurückgenommen werden. Damit sinke das Niveau. Ihr mache das Angst, sagt Birgit Haberland. "Ich möchte, dass das Abi meiner Enkelin noch genauso viel wert ist wie vor zehn Jahren."
Mehr Lehrer in Ruhestand gegangen als neu eingestellt
In Weißwasser ist die Lage auch deshalb so prekär, weil in den vergangenen Jahren mehr Lehrkräfte in den Ruhestand gegangen sind als neu eingestellt wurden. Seit 2020 haben nach Angaben des Landesamtes für Schule und Bildung 70 Lehrerinnen und Lehrer ihren Dienst beendet, nur 48 konnten in diesem Zeitraum neu eingestellt werden. Seiteneinsteiger sind da schon mitgezählt. "Die Situation im Osten Sachsens ist wahrlich eine Herausforderung", stellt ein Sprecher des Landesschulamtes fest. Probleme mit der Unterrichtsversorgung gebe es hier nicht nur an den Ober- und Förderschulen – die Situation sei allgemein schwierig.
Schule | Zahl der Schüler | Ausgefallene Unterrichtsstunden | Anteil Ausfallstunden am geplanten Unterricht |
---|---|---|---|
Friedrich-Froboeß-Grundschule | 113 | 651 | 12 % |
Geschwister-Scholl-Grundschule | 87 | 116 | 3 % |
Pestalozzi-Grundschule | 274 | 538 | 5 % |
Bruno-Bürgel-Oberschule | 381 | 2.609 | 14 % |
Landau-Gymnasium | 578 | 3.832 | 13 % |
Quelle: Sächsisches Kultusministerium
Enthalten sind Ausfallstunden, die aus Mangel an Lehrkräften planmäßig ausgefallen sind sowie außerplanmäßiger Unterrichtsausfall. Nicht enthalten sind Vertretungsstunden in einem anderen Fach. Aktuellere Zahlen zum ersten Schulhalbjahr 2024/25 sollen im April vorliegen.
Jede dritte Unterrichtsstunde an Förderschule weggefallen
Auch eine Gruppe Schüler und Eltern der Förderschule "Brüder Grimm" beteiligte sich am Protest. "Wir sind sauer", fasst Robert Ehmann seine Stimmungslage zusammen. Er hat Zahlen vom Januar mitgebracht. Da sei an der Förderschule ein Drittel des Unterrichts ausgefallen. Dass nahezu 600 Stunden gestrichen wurden, sei wegen fehlender Lehrer schon eingeplant gewesen. "Das ist nicht mehr tragbar – gerade an einer Förderschule. Die Kinder haben es eh schon schwer, den Unterrichtsstoff in den Kopf zu bekommen und dort zu behalten."
Es müsse dringend gehandelt werden, fordert der Elternsprecher der Schule. "Ich sehe den Abschluss unserer Schüler gefährdet." Angesichts des massiven Unterrichtsausfalls frage er sich: "Prüfen wir dann in den Abschlussklassen nur 70 Prozent des Lehrstoffs?" Er sieht die Bildungschancen der Kinder an der Förderschule beschnitten.
Rote Karte fürs Kultusministerium in Sachsen
Fast an jeder Schule im Landkreis Görlitz sei die Situation ähnlich dramatisch, berichtet Kreiselternrat Tobias Groß. Seit Herbst vergangenen Jahres macht der Kreiselternrat mit den roten Karten ans Kultusministerium darauf aufmerksam. Zunächst mit Foto- und Videoaktionen – jüngst in Weißwasser erstmals mit einem Protestzug. Dass die Lücken an den Schulen nicht von heute auf morgen zu stopfen gehen, sei ihm bewusst, sagt Tobias Groß.
Er setzt deshalb Hoffnungen in ein Pilotprojekt, das Lehramtsstudenten ein paar Stunden pro Woche an vier Oberlausitzer Schulen bringt. Die angehenden Lehrer können dort Praxiserfahrung sammeln. Nach Ansicht von Tobias Groß ist das Projekt ein Erfolg. Es entlaste die Lehrkräfte vor Ort, sagt er. Deshalb wünscht er sich, dass es auf mehr Schulen und Schulformen ausgedehnt wird. Noch ist offen, ob das Projekt im nächsten Schuljahr fortgesetzt wird. Für die Fortführung gebe es Gespräche mit der TU Dresden, teilte das sächsische Wissenschaftsministerium mit.
MDR (mak/jwi)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 12. Februar 2025 | 19:00 Uhr