Planung für Pilotanlage Forschung für grüne Carbonfaser in Boxberg gestartet
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04. Mai 2023, 16:30 Uhr
Die Kohleregion in der Oberlausitz soll nicht abgehängt werden. Viele Millionen Euro werden in den nächsten Jahren ausgegeben, damit der mit dem Kohleausstieg einhergehende wirtschaftliche Strukturwandel gelingt. Am Kraftwerk Boxberg soll ein Leuchtturmprojekt zu ökologisch hergestellten Carbonfasern entstehen.
- In Boxberg forscht die TU Chemnitz an grüner Carbonfaser.
- Das Büro der Carbon LabFactory ist eingerichtet.
- Eine Pilotforschungsanlage im industriellen Maßstab soll am Kraftwerk entstehen.
Die holprige Zufahrt auf das Kraftwerksgelände krönt ein ansehnlich tiefes Schlagloch. Die Fassaden der Gebäudeblöcke gewinnen in ihren in unterschiedlichen Abstufungen von Betongrau keine Architekturwettbewerbe. An einigen Bauten wecken vergilbte Gardinen eher ostalgische Gefühle. Nur wenige Leute sind auf dem riesigen Betriebsgelände der Leag in Boxberg unterwegs. Lothar Krolls Enthusiasmus lässt sich dadurch nicht bremsen. Der Leiter der Professor für Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung an der 160 Kilometer entfernten TU Chemnitz hat in Boxberg Großes vor. Während hinter ihm noch die Kühltürme dampfen, hat er den neuen wirtschaftlichen Aufschwung vor Augen. Nicht mehr schwarzes Gold, sondern grünes Gold sei hier die Zukunft - nämlich ökologisch verträglich hergestellte Carbonfasern.
Grünes Gold als Zukunft für Boxberg
Die Kohlenstofffasern sind seit Jahren aus Industrie und Alltag nicht mehr wegzudenken. Aus ihnen gefertigte Kunststoffteile werden zum Beispiel im großen Maßstab im Flugzeugbau verwendet. Carbon steckt auch in Fahrradrahmen, Tennisschlägern oder Angelruten.
Die Carbonfaser ist ein extrem leichter Werkstoff und erlaubt dadurch Bauweisen mit deutlicher Gewichtsreduktion.
"Die Carbonfaser ist eine der extrem leichten Werkstoffe und erlaubt dadurch Bauweisen mit deutlicher Gewichtsreduktion. Und wenn ich die Masse reduziere, reduziere ich automatisch den Energiebedarf. Das bedeutet, ich spare Sprit ein, Energie ein, reduziere die CO2-Emissionen. Damit tue ich etwas Gutes für den Klimaschutz", erklärt Kroll. Das Problem bei Carbonfasern sei aber ihre sehr energieintensive Herstellung und dass die Fasern in einer Matrix aus Kunststoff liegen, also Plastik.
Fasern aus nachwachsenden Rohstoffen
Das geht auch anders, ist sich Kroll sicher: Die Fasern für den Verbundstoff könnten auch aus nachwachsenden Rohstoffen gesponnen werden, etwa aus Zellulose oder Algen. Hier arbeitet die TU Chemnitz mit dem Frauenhofer Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) in Brandenburg zusammen. Die zur Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse benötigte Pilotforschungsanlage, die Carbon LabFactory, wird aber in Boxberg aufgebaut. Denn die Leag will grünen Strom aus Solarenergie für deren Betrieb zur Verfügung stellen.
Es handelt sich um die dritte universitäre Außenstelle der TU Chemnitz. Es gibt noch einen Erprobungsstandort für intelligenten Schienenverkehr in Annaberg-Buchholz und eine Forschungsplattform für Energie- und Kältetechnik im vogtländischen Reichenbach. Der Leiter der neuen Außenstelle, Mario Neumann, hat bereits das Büro in Boxberg bezogen: "Wir werden hier Pilotlinienforschung für ganz Europa machen", sagt der 40-Jährige.
Wir werden hier Pilotlinienforschung für ganz Europa machen.
Naumann baut jetzt ein Wissenschaftsteam auf. Er braucht unter anderem noch Mitarbeiter aus der Chemieverfahrenstechnik und dem Chemieingenieurwesen. Parallel läuft die Planung der großen Forschungsanlage. 130 Meter lang und sieben Meter breit werde die Pilotanlage sein. Ende des Jahres sollen die Bagger rollen, so Naumanns Wunsch. Die Anlage soll spätestens Ende 2026 laufen.
60 Millionen Euro über Strukturmittel des Kohleausstiegs
Universitäre Forschung im industriellen Maßstab ist teuer. Das Boxberger Projekt wird mit rund 60 Millionen Euro über Strukturmittel des Kohleausstiegs gefördert. Vergleichbare Carbonfaserforschung in Pilotlinien gibt es laut Kroll weltweit noch zweimal: einmal im US-amerikanischen Oak Ridge National Lab und einmal bei Carbon Nexus in Australien. Mit Carbon Nexus will die TU Chemnitz künftig kooperieren und Know-how austauschen. Dort habe der Technologiefortschritt zu einem Innovationsschub in der Wirtschaft geführt, sagt Kroll.
Letztlich gehe es darum, dass gute Ideen aus der wissenschaftlichen Grundlagenforschung nicht versanden, sondern in den Wirtschaftskreislauf gebracht werden. Ein Vorteil von der Anlage in Boxberg ist laut Kroll, dass hier neue Herstellungsverfahren in kleinen Chargen getestet werden können. Während hinter dem Wissenschaftler die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks dampfen, sieht er bereits vor sich, wie sich Start-ups nach und nach im Kraftwerksgelände ansiedeln werden.
Was ist Carbon? Umgangssprachlich ist das Wort Carbon eine Bezeichnung für das chemische Element Kohlenstoff und dessen Produkt. Eine andere Bezeichnung lautet CFK. Diese Abkürzung ist der Begriff für kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff und bezeichnet einen Faser-Kunststoff-Verbund.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 02. Mai 2023 | 05:30 Uhr