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Stille Stunde Leise statt laut: Supermarkt in Bischofswerda erleichtert sensiblen Menschen das Einkaufen
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09. Februar 2025, 17:33 Uhr
Immer dienstags wird es in einem Edekamarkt in Bischofswerda ganz leise. Hier wurde die sogenannte "Stille Stunde" eingeführt. Sie soll geräuschempfindlichen Menschen wie beispielsweise Autisten beim Einkaufen helfen. Viele Kunden nutzen das Angebot gern, auch wenn sie nicht geräuschsensibel sind. Auch die Belegschaft genießt die Ruhe.
- Dienstags zwischen 11 und 12 Uhr kehrt im Supermarkt an der Stolpener Straße in Bischofswerda Ruhe ein.
- Das Angebot soll für Rücksicht auf unsichtbare Krankheiten wie Autismus sensibilisieren.
- Einige Kunden wünschen sich wegen der Arbeit eine andere Uhrzeit.
Fast geräuschlos schiebt eine Frau ihren Einkaufswagen durch die Gänge. Leise surren die Kühltheken. Irgendwo raschelt eine Tüte. Kein Musikgedudel, keine Durchsagen, niemand packt Ware aus oder ruft laut durch die Gänge. Selbst die Kassen piepsen nur halb so laut wie sonst.
Rebekka Schirma bemerkt es sofort: Ihre fünfjährige Tochter Emma ist ungewöhnlich ruhig. Sonst wird sie in lauter Umgebung schnell unruhig und aufgewühlt, erzählt die 33-Jährige MDR SACHSEN. Doch heute, während der "Stillen Stunde" im Edeka-Markt von Maik Kurth bewegt sich Emma entspannt zwischen den Regalen. "Sie ist selbst viel leiser", sagt ihre Mutter und sieht ihre Tochter lächelnd an. ""Ich find' das wirklich gut", sagt sie noch und setzt ihren Einkauf fort.
Eine Stunde ohne Lärm – für ein entspanntes Einkaufen
Jeden Dienstag zwischen 11 und 12 Uhr gibt es nun in dem Supermarkt an der Stolpener Straße keine Musik, keine lauten Durchsagen, gedämpfte Kassengeräusche. Die Mitarbeitenden sprechen leise, vermeiden lärmende Arbeiten und verräumen keine Ware: "Wir versuchen, alle störenden Geräusche zu minimieren", erklärt Marktinhaber Maik Kurth MDR SACHSEN. Und auch die Kundschaft bewegt sich scheinbar leiser als sonst. Wer zu zweit einkauft, geht schweigend nebeneinander her oder unterhält sich leise.
Markt erst seit September 2024 geöffnet
Seit Januar gibt es die "Stille Stunde" in dem erst im September eröffneten Markt. Initiiert wurde sie von David Grazl, Koordinator des Projekts "Bischofswerda Inklusiv", das von der Aktion Mensch gefördert wird. "Viele Menschen mit Autismus, Epilepsie oder psychischen Erkrankungen meiden Supermärkte, weil die Reizüberflutung zu groß ist", erklärt Grazl MDR SACHSEN. Für sie sei das Einkaufen eine echte Herausforderung. Die "Stille Stunde" soll ihnen das Einkaufen erleichtern.
Woher kommt die Idee? (zum Ausklappen)
Ein Angestellter einer Supermarktkette in Neuseeland hatte vor mehr als sechs Jahren die Idee für die "Stille Stunde". Er ist Vater eines autistischen Kindes. Nach dem positiven Feedback der Kundschaft hat die neuseeländische Supermarktkette das Konzept in allen 180 Filialen eingeführt.
In Sachsen bieten neben Bischofswerda auch weitere Supermärkte "Stille Stunden" an - beispielsweise die inhabergeführten Edeka-Märkte in Annaberg-Buchholz und in Dippoldiswalde oder der Dresdner Cap Markt.
Inhaber war schnell überzeugt
Als Inhaber Maik Kurth gefragt wurde, die "Stille Stunde" in seinem Geschäft anzubieten, musste der 29-Jährige nicht lang überlegen: "Das Ziel ist, dass wir Menschen mit diversen Einschränkungen ein schöneres Einkaufserlebnis schaffen und sie hier in dieser Zeit gemütlich einkaufen gehen können, ohne gestört zu werden", erklärt Maik Kurth seine Motivation. Gesunde Menschen finden die Aktion ebenfalls gut, neben der Kundschaft mittlerweile auch die Angestellten.
Von Skepsis zur Begeisterung
Anfangs war das Markt-Team überrascht, erzählt Inhaber Maik Kurth. Denn die "Stille Stunde" bedeutet weit mehr, als das Marktradio auszuschalten. Es bedarf Planung: "Wir müssen uns schon anders verhalten und auch planen, die Arbeit in dieser Stunde weitestgehend stillzulegen", sagt Maik Kurth.
"Wir legen viele Arbeiten bewusst auf andere Zeiten, etwa das Einräumen von Waren. Das bedeutet, dass wir vorher für volle Regale sorgen müssen." Außerdem versuche er, möglichst viele Angestellte in dieser Zeit in die Pause zu schicken. Am Anfang sei das alles schwierig gewesen, "Aber mittlerweile funktioniert es super."
Man nimmt den Laden anders wahr, geht mit offeneren Augen durch den Laden und sieht Dinge, die man vorher nicht so wahrgenommen hat.
Mitarbeiterin Sabine Hobohm sagt: "Die Ruhe tut gut." Sie findet das Arbeiten während der Stillen Stunde entspannter als sonst: "Man nimmt den Laden anders wahr, geht mit offeneren Augen durch den Laden und sieht Dinge, die man vorher nicht so wahrgenommen hat." Außerdem könne sie sich viel mehr auf die Fragen der Kundschaft einlassen.
Hobohm hat auch beobachtet: "Viele Kundinnen und Kunden bleiben länger, stöbern mehr und rennen nicht einfach so durch."
Meinen Rollstuhl sieht man. Es gibt aber auch Behinderungen, die man nicht sieht. Ich finde toll, dass Möglichkeiten gefunden werden, diesen Menschen zu helfen und ihnen Alltagsqualität wieder zurück zu bringen.
Für Autismus und unsichtbare Krankheiten sensibilisieren
Für Menschen mit Autismus, Epilepsie, psychischen Erkrankungen und anderen Sinnesbeeinträchtigungen sei Einkaufen oft mit großen Belastungen verbunden, sagt David Grazl von "Bischofswerda Inklusiv". Viele seien von den vielen Reizen überfordert.
"Meinen Rollstuhl sieht man. Es gibt aber auch Behinderungen, die man nicht sieht. Ich finde toll, dass Möglichkeiten gefunden werden, diesen Menschen zu helfen und ihnen Alltagsqualität wieder zurück zu bringen", sagt David Grazl.
Idee kommt an
Das Feedback sei positiv, erzählen Chef und Angestellte, einige Leute kommen mittlerweile extra in dieser Zeit zum Einkaufen, erzählt Maik Kurth. "Wir wollen das jetzt auch fortführen und vielleicht weiten wir das auch mal auf zwei Stunden aus."
Manchen geht die "Stille Stunde" aber nicht weit genug: "Einige würden gerne die 'Stille Stunde' auf einen 'Stillen Tag' ausgeweitet haben, aber das geht nicht, weil wir nicht einen ganzen Tag lang alles so leise machen können oder die Ware unausgepackt lassen können", erklärt Maik Kurth.
Wermutstropfen: Uhrzeit und Dauer
Einziger Knackpunkt: Die Uhrzeit. Menschen mit Jobs würden in dieser Zeit eher selten einkaufen können, gibt Maik Kurth unumwunden zu. "Für Berufstätige wäre ein späterer Zeitpunkt besser", merkt auch David Grazl an.
Dennoch überwiegt die positive Resonanz - für Emma und ihre Mutter ist diese Stunde ein kleines Stück mehr Lebensqualität.
MDR (kav)
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