Gesellschaft in Sachsen Schwarze Sorbinnen in Bautzen: "Leider sind wir nicht mehr gern hier"
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11. August 2024, 09:00 Uhr
Sie sind Schwarze Sorbinnen in einer Stadt mit AfD-Mehrheit im Rathaus. Josephina und Sarah Bretschneider fühlen sich in Bautzen zu Hause und privat wohl - bei Familie, Freunden und in der sorbischen Gemeinschaft. Den Rechtsruck in ihrer Heimatstadt ertragen sie jedoch nicht. Für sie ist klar: "Wir werden die Stadt verlassen."
- Die Schwarzen Sorbinnen Sarah und Josephina glauben, dass sie nicht in Bautzen bleiben können und bedauern das sehr, "weil hier auch unsere Heimat ist".
- Die Sorben sind Opfer und Wähler der Rechtsaußen-Partei: Das verstehen weder die Zwillinge noch eine Expertin des Sorbischen Instituts Bautzen.
- Ihre Frisur ist ihre Emanzipation: Erst seit 2023 trauen sich die jungen Frauen, ihre Haare offen zu tragen.
An dem Tag, an dem Josephina und Sarah im Café Marx am Postplatz ihr Würzfleisch bestellen, scheint die Sonne. Bautzen flirrt im Sommerlicht, auf den Straßen herrscht reges Treiben, Menschen plaudern. Hier deprimiert kein Leerstand und keine Moll-Stimmung. Kein Streit in Sicht, kein Hass. Nichts mutet nach Problemen an. Lavendel blüht vor einer Tür, ein bisschen Urlaub, ein bisschen Frankreich-Feeling.
Das Deutschland-Feeling oder besser die aktuelle deutsche Realität in Bautzen beginnt nach dem Blumenladen auf der linken Seite der Einkaufsstraße. Die AfD hat die Türen ihres Büros weit geöffnet, drinnen stapeln sich Aufsteller für den Wahlkampf der Landtagswahl. Im Bautzener Stadtrat ist die Partei seit Juni mit 29 Prozent bereits stärkste Kraft.
Glücklich das Abitur bestanden
Im Café Marx freuen sich die Zwillinge Josephina-Maria Rose und Sarah-Maria Rose Bretschneider auf ihren Sommer und die nächste Etappe in ihrem Leben. Gerade haben sie ihr Abitur bestanden, sind sie 18 Jahre geworden. Gerade hat das Leben ganz neu begonnen. Anfang Oktober startet ihr Flieger, mit "Work and Travel" wollen sie Portugal entdecken. "Später werden wir weitersehen", erklären sie. Josephina möchte Medizin studieren, Sarah schwankt zwischen Jura und einer Karriere als Sängerin und Schauspielerin. Berühmt sind die Zwillinge im Raum Bautzen jetzt schon. Fast jeder in der Region kennt das Gesangs-Trio "Trojozynk". Fast jeder kennt ihre Mutter und ihre Oma, beide bekannt, die eine als Sängerin beim Sorbischen Rundfunk, die andere als Schauspielerin am Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen.
Der Kellner hat sie als Babys auf dem Arm gehalten
Dass die Beiden nicht übertreiben, wird spätestens klar, als der Kellner im Café Marx verzückt einen Zwischenstopp einlegt. "Klar, wir kennen sie alle", betont Oberkellner Rüdiger. "Ich habe die Mädels schon als Babys auf dem Arm gehalten." Josephina und Sarah lächeln, natürlich können sie sich nicht erinnern. Später werden sie im Café Marx mit einer Oma in sorbischer Tracht sprechen und auch die von uns befragte Forscherin weiß um die Sängerinnen, "fast jeder kennt sie".
Schwarze Sorbinnen in einer Stadt mit AfD-Mehrheit
Joesphina und Sarah sind in Bautzen geboren und groß geworden, sie haben hier ihre Familie und Freunde. Sie lieben Musik und sind als Sorbinnen in der sorbischen Gemeinschaft integriert. Es gibt nur einen klitzekleinen Unterschied: Sie sind Schwarze Sorbinnen* in einer Stadt mit AfD-Mehrheit. Im April sind sie erwachsen geworden. Wie erleben sie als Schwarze Sorbinnen ihre Jugend? "Anfeindungen gab es schon immer. Wir sind damit aufgewachsen und abgehärtet", meint Josephina.
Positiver Rassismus als schwierigste Form des Rassismus
Dabei empfinden die Zwillinge nicht nur negativen Rassismus als problematisch. "Die schwierigste Form des Rassismus ist der positive Rassismus, weil es gut gemeint ist und der andere nicht verletzt werden soll", erklärt Sarah. Das geschehe immer, wenn pauschal Eigenschaften zugeordnet werden. "Mir haben sie beim Sport gesagt: 'Du bist so schnell, doch das ist ja klar, du bist ja schwarz'." Josephina hat auch gleich noch ein Beispiel parat: "Wenn Dir jemand sagt, klar, 'Du kannst gut tanzen, denn du bist ja schwarz'. Hier fühlt man sich wie stigmatisiert, obwohl es nicht böse gemeint ist." Sarah nickt. "Ja, als Kind hat man das wirklich geglaubt, es sei einem in die Wiege gelegt, weil man diese eine Hautfarbe hat."
Anfeindungen gab es eigentlich schon immer, wir sind damit aufgewachsen und abgehärtet.
Wie wirken die Debatten über Rassismus?
In den vergangenen Jahren haben sich die zwei Sängerinnen - auch getragen von den aktuellen Debatten - viel mit Rassismus beschäftigt. "Ich setze mich mit meiner Identität auseinander", sagt Sarah. "Das Wichtigste bei Rassismus ist, dass man sich bewusst macht, welche Begriffe in der Gesellschaft falsch verwendet werden", erklärt Josephina. Beide Frauen bezeichnen sich als Schwarze Sorbinnen oder auch POC (People of Colour). Was ihnen besonders wichtig ist: "Wir sehen uns auf keinen Fall als Opfer. Uns stören die Faschos und der Rechtsruck genauso, wie viele andere Jugendliche auch."
Wir sehen uns auf keinen Fall als Opfer. Uns stören die Faschos und der Rechtsruck genauso wie alle anderen Jugendlichen.
"Wir fühlen uns nicht anders als die anderen"
Es gibt nur sehr wenige Schwarze Sorbinnen und Sorben in der sehr traditionellen Oberlausitz. Wie fühlt es sich an, allein unter so vielen Weißen? "Wir fühlen uns nicht anders als die anderen", erklären die jungen Sängerinnen fast entrüstet. "Wir haben viele tolle Freunde und Bekannte, die wir nicht nach Hautfarbe betrachten." Sarah wirft ein: "Klar, wenn man in Berlin ist und sieht auf einmal andere POC, ist es schon ein anderes Gefühl." Josephina meint: "Bei unseren Freunden, der Familie und in der sorbischen Gemeinschaft fühlen wir uns wohl, hier sind wir zu Hause." Obwohl, einmal habe sie schon geschluckt, als jemand meinte: "Ihr seid ja nicht das typische Bild eines sorbisch-katholischen Mädchens".
Stolz auf sorbische Muttersprache
Das typische Sorbische – was ist das überhaupt? Das Übliche, erklären die Zwillinge, Ostereier, Osterreiten. Traditionen könnten jedoch auch erneuert werden. "Ich selbst reite zwar nicht, doch Frauen als Osterreiterinnen kann ich mir gut vorstellen", erklärt Josephina. Sie fühle sich "auf jeden Fall als Sorbin". "Ich bin stolz, dass Sorbisch meine zweite Muttersprache ist." Für beide junge Frauen ist klar: Wir sind Sorbinnen und lieben das auch. "Wir waren in der sorbischen Kita, haben immer sorbische Freunde gehabt und jetzt unser Abitur auf dem sorbischen Gymnasium gemacht", erklärt Sarah.
"In Bautzen sind die Rechten überall
Das Café Marx in Bautzen liegt am Postplatz, nur wenige Meter vom AfD-Büro entfernt. Wie ist es, hier zu sitzen, wenn die wenn die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei um die Ecke mit offener Tür zum Plausch einlädt? "Das ist normal. Die AfD ist die stärkste Partei und hier sehr erwünscht. Die Menschen, die sie wählen, sind auch stolz darauf", sagt Sarah und zuckt mit den Schultern. Josephina erklärt: "In Bautzen sind die Rechten überall präsent. Entweder laufen einem Faschos entgegen und pöbeln, oder man sieht Sticker - und jetzt gibt es eben überall Plakate."
"Schade, weil Bautzen auch unsere Heimat ist"
Sarah wird nachdenklich, während sie spricht. Gerade sei sie aus der Neustadt in Dresden gekommen und immer wieder überrascht, dass es dort gar kein Thema ist – "so normal ist das schon für uns". Eine Zukunft für sich, sehen die Zwillinge in Bautzen nicht. "Ich finde es sehr schade, weil klar ist, dass wir hier nicht bleiben werden und können", erklärt Sarah. Das mache sie traurig. "Es ist sehr schade, weil Bautzen auch unsere Heimat ist und wie hier unsere Freunde haben. Ich würde jedoch nie sagen, dass Bautzen eine Wohlfühlzone ist. Leider sind wir nicht mehr gern hier."
Ich finde es sehr schade, weil klar ist, dass wir hier nicht bleiben werden und können.
Provokation auf dem Theaterplatz
Während Sarah spricht, nickt Josephina die ganze Zeit mit dem Kopf. "Selbst, wenn wir einfach nur einmal abends auf dem Theaterplatz ein Bier trinken wollen, sitzen die Faschos in Gruppen auf den Bänken und versuchen zu provozieren", erklärt die 18-Jährige und atmet tief aus. "Manchmal nervt es mich, dass hier alles so sehr politisch ist. Entweder ist man rechts oder man ist links. Doch manchmal will man einfach nur sein." Auf dem Dorf, auf dem sie früher lebten, sei das anders gewesen, in Bautzen gehöre es dazu, sich zu positionieren. Das sei einerseits gut, andererseits aber auch "verdammt anstrengend".
Hoffnungsschimmer "Happy Monday"
"Wir sind dankbar, dass es hier viele Menschen gibt, die weltoffen und engagiert sind", sagt Josephina. "Deswegen haben wir uns auch über die 'Happy Mondays' so gefreut, das auch unterstützt. Es war ein Hoffnungsschimmer. Endlich gab es mal wieder eine Gegenreaktion, die gezeigt hat, dass es auch Bautzner gibt, die fremdenfeindliche und rassistische Politik nicht unterstützen."
Der "Happy Monday" war eine von der Stadtgesellschaft initiierte Veranstaltungsreihe, die mit Kultur, Musik und Veranstaltungen Zuversicht und positive Stimmung verbreiten wollte. Der durch rechtsextreme Demonstrationen geprägte Montag sollte inhaltlich neu besetzt werden. Mehr als 50 Initiativen und Einrichtungen aus der Stadt – auch viele aus der sorbischen Gemeinschaft - beteiligten sich daran.
Die Sorben: Opfer und Wähler der Rechten
Sarah hat ihre Abschlussarbeit über Alltagsrassismus in Sachsen geschrieben und dafür auch sorbische Freunde interviewt. Das Klima wird zunehmend ungemütlicher. Erst im Juli überfielen Vermummte den Jugendclub "Kurti" in Bautzen, zu Pfingsten attackierten Rechte einen sorbischen Jugendclub. Auf sorbischen Partys kommen oft Faschos, die Stunk machen und 'Sorbenschweine" rufen", erzählt Sarah. "Es gibt viele konservative Sorben, die sich als AfD-Wähler outen. Das verstehe ich nicht", erklärt Josephina und schüttelt mit dem Kopf. Es gibt also Angriffe auf sorbische Jugendliche durch die Rechten und es gibt Sorben, die sie wählen. Die Sorben sind Opfer und Wähler der Rechten.
Konsequenzen nicht mitdenken
Kann man als Minderheit Opfer und Täter gleichzeitig sein? Dr. Theresa Jacobs ist Wissenschaftlerin am Sorbischen Institut in Bautzen. "Ja, es gibt Sorbinnen und Sorben, die mit der AfD sympathisieren und auch für sie kandidiert haben. Die Zuwendung zu einer andere Kulturen diskreditierenden Partei verstehe ich nicht. Das macht mich wütend.", erklärt Jacobs, die selbst Sorbin ist. "Ich glaube, viele setzen Hoffnungen in diese Partei, ohne die Konsequenzen mitzudenken. Es ist traurig. Doch wir müssen so ehrlich sein und sagen, ja, so ist es, auch im Sorbischen."
Menschen trauen sich nicht mehr auf die Straße
Während man mit Theresa Jacobs spricht, könnte man fast meinen, sie mache sich Sorgen um "Die Zwillinge" der Stadt. "Als Schwarze Sorbinnen ist es für Josephina und Sarah sicher immer wieder eine Herausforderung. Wir haben hier die AfD jetzt als stärkste Partei im Stadtrat. Wir wissen alle, worüber wir hier reden und was das bedeutet." Und: "Mittlerweile trauen sich einige Menschen nicht mehr auf die Straße, es gibt auch wieder Angriffe auf sorbische Jugendliche. Sich aktiv mit ihrer Rolle zu beschäftigen und Position zu beziehen, ist für die Zwillinge eine große Aufgabe, die mitunter Mut erfordert."
Die Frisur als Emanzipation
Die jungen Sängerinnen jedenfalls sind reifer und selbstbewusster geworden. "Seit letztem Jahr trauen wir uns, unsere Haare offen zu tragen. Unsere große Schwester hat uns viel gezeigt und einen großen Anteil daran, dass wir jetzt selbstbewusster sind." Während Josephina das erklärt, muss Sarah anfangen zu lachen. Sie erinnert sich: "Als wir jünger waren, haben wir versucht, weiße Frisuren zu tragen. In der Grundschule glätteten wir immer unsere Haare. Wir wollten aussehen wie die anderen."
Erst seit letztem Jahr trauen wir uns, unsere Haare offen zu tragen. In der Grundschule glätteten wir immer unsere Haare, wir wollten aussehen wie die anderen.
"Hört auf, eure Haare zu zerstören"
Josephina hakt ein: "Gerettet hat uns unsere Tante, die bei der schwarzen Familie ihres Freundes in den USA lebte. Sie meinte, hört endlich auf damit. Ihr zerstört eure Haare!" Dies sei eine Wende gewesen. "Wir haben sie dann einfach gefragt, ob sie uns wie unserer älteren Schwester auch Braids flechtet – und sie hat es getan", erinnert sich Sarah. Braids sind mit Kunsthaar geflochtene Strähnen. Sie haben den Vorteil, dass sie im Alltag relativ pflegeleicht sind. "Man macht sich gar keine Vorstellung, wie aufwendig die Pflege unserer Haare ist", erklärt Sarah. "Für eine Frisur, mit der ich mich wohlfühle, brauche ich mindestens eineinhalb Stunden. Jospehina nickt: "Jede Strähne muss einzeln eingedreht werden".
Sängerinnen der Gruppe "Trojozynk"
Josephina und Sarah glauben an ein junges und zeitgemäßes Sorbentum. "Es gibt viele Initiativen und Bands, die sich engagieren, Dinge ansprechen, Veranstaltungen und Festivals organisieren", sagen die Sängerinnen. Das Miktival-Festival sei immer ein Höhepunkt, ebenso wie sorbische Pop- und Rapsongs. "Da Bautzen nicht unsere Zukunft wird, hat sich vielleicht schon etwas Distanz eingestellt. Doch na klar, fühlen wir uns als Sorben und werden das auch weiter tun". Mit ihrer sorbischen A-Capella-Gruppe "Trojozynk" (Dreiklang), in der sie mit der dritten Sängerin Clara Kochan auftreten, gehören sie zur jungen sorbischen Künstlergeneration. Sie singen auf dem Weihnachtsmarkt, dem Bautzner Frühlingsmarkt, im Sorbischen Rundfunk, bei MDR Jump und vielleicht auch bald in Portugal – und sie träumen von einer guten Zukunft.
* Anmerk. d. Autorin: Josephina und Sarah bezeichnen sich selbst als Schwarze Sorbinnen und POC (People of Colour).