Maximilian Gruber als Erzähler im Stück "Der Club der geheimen Sorben"
Maximilian Gruber als Erzähler im Stück "Der Club der geheimen Sorben" Bildrechte: MDR/Martin Kliemank

Uraufführung Theaterstück in Bautzen thematisiert Gewalt gegen Sorben

08. Mai 2024, 20:57 Uhr

Junge Sorben werden in ihrer Heimat immer wieder angefeindet. Jugendliche berichten von Pöbeleien und Gewalt. Ihre Erfahrungen und Ängste haben sie in einem modernen Märchen verarbeitet.

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"Ja mam strach", singen Milena Scholze und Wanda Schweitzer auf der Bühne. "Ich habe Angst, dass ich die sorbische Gemeinschaft nie wieder erleben darf, dass ich nie wieder meine sorbische Tracht tragen darf", singen sie Sorbisch und Deutsch im Wechsel. Die Liedzeilen haben sie selbst mitverfasst und darin eigene Erfahrungen verarbeitet.

"Wir haben Angst, dass wir in Zukunft nicht mehr so leben dürfen, wie wir es gerade dürfen", sagt Milena. Die junge Sorbin erzählt, dass sie auf der Straße angepöbelt werden, wenn sie Sorbisch sprechen. In Deutschland hätten sie Deutsch zu sprechen, hören sie dann. "Viele Mitmenschen wissen nicht, wie es ist, Sorbe zu sein und mit diesen Ängsten leben zu müssen", betont Milena Scholze. "Wir müssen um unsere Existenz kämpfen." In diesen Zeiten zunehmender Anfeindungen wieder umso mehr.

Eine Zukunft Sachsens als Terrorstaat

Milenas und Wandas Lied ist Teil des Theaterstücks "Club der geheimen Sorben", das am Mittwochabend im Burgtheater in Bautzen uraufgeführt wird – gespielt von sorbischen, ukrainischen und afghanischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 21 Jahren – allesamt Laienschauspieler. Ihr Märchen erzählt von neuen Machthabern, die im Jahr 2025 in Sachsen eine Terrorherrschaft errichtet haben.

Unter diesen Herrschern werden andere Sprachen und nicht-deutsche Traditionen31 verboten. Wer dagegen aufbegehrt, werde zu Stein verwandelt, erklärt ein junger Schauspieler in dem Stück. Eine Gruppe sorbischer Jugendlicher probt dennoch den Aufstand – zuerst in einem geheimen Bund. Später werden die Geister der sieben sorbischen Könige zu ihren Verbündeten.

Schock für den Regisseur

Georg Genoux vom Thespis-Zentrum des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen hat das Theaterstück mit den Jugendlichen erarbeitet. Er habe immer gedacht mit den Sorben sei alles super. "Was soll ich über eine glückliche slawische Minderheit ein Theaterprojekt machen?", fragte sich der Regisseur. Doch als er das Gespräch suchte mit jungen Sorben hätten ihn die Berichte von Übergriffen schockiert. Dass die Sorben Angst haben müssen, im eigenen Geburtsort – "das ist Wahnsinn", sagt Genoux. Er hat vor seiner Zeit in Bautzen acht Jahre lang als Theaterpädagoge an Schulen im ukrainischen Donbass gearbeitet.

Hauptdarsteller Maximilian Gruber hat das Stück geholfen, eigene Ängste auszudrücken
Hauptdarsteller Maximilian Gruber hat das Stück geholfen, eigene Ängste auszudrücken Bildrechte: MDR/Martin Kliemank

"Die Gewalt hat wahnsinnig zugenommen in den letzten Jahren", berichtet Hauptdarsteller Maximilian Gruber. Auch er habe schon Sprüche gehört wie: "Ihr scheiß Sorben! Sprecht deutsch!" Ein Freund sei attackiert worden. Das verunsichere junge Menschen in der Lausitz, sagt der 21-Jährige. "Da steckt so eine Angst dahinter – vor allen Dingen, wenn man auf den 1. September schaut, was vielleicht danach passiert." An diesem Tag wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Wahlprognosen sagen voraus, dass die AfD die meisten Stimmen bekommen könnte.

Eine Suche nach der eigenen Identität

Über zwei, drei Monate traf sich eine Gruppe Schülerinnen und Schüler am sorbischen Gymnasium immer wieder mit den Theatermachern, um darüber zu sprechen, wie es ist, Sorbe zu sein, was die Sorben ausmacht und was sie beschäftigt. "Alle, die Lust hatten, haben sich getroffen und mit Fragen von Georg Genoux über ihr sorbisches Dasein gesprochen. Wir haben unsere Erinnerungen geteilt", berichtet Milena Scholze. Danach gefragt zu werden, hat ihr gefallen. Denn sie stellt fest: Wie es den Sorben mit den Anfeindungen geht, das sei deutschen Jugendlichen nicht sehr präsent.

Aus dem, was die Jugendlichen berichteten entwickelten Regisseur Georg Genoux und Dramaturgin Yana Humenna die Szenen für das Bühnenstück. "Mit unseren Ideen sind wir dann wieder zu den jungen Sorben gegangen, haben mit ihnen die Szenen diskutiert. So haben wir Stück für Stück das Theaterstück gebaut", erinnert sich Genoux. Herausgekommen ist ein Märchen über die Suche nach der Identität der Sorben und einem Weg, diese Identität in einer bedrohlicher werdenden Welt zu bewahren.

Austausch mit Ukrainern und Kurden

Vor einer ähnlichen Herausforderung stehen auch junge ukrainische und kurdische Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Bautzen gekommen sind und an der Aufführung mitwirken. "Wie erhalte ich mir in der deutschen Lebenswelt meine Identität und wie nehme ich gleichzeitig die Kultur des Landes an, das mich gerettet hat?", fragt Genoux. Der Austausch über diese Fragen habe die Jugendlichen unterschiedlicher Nationalität zusammengebracht, erzählt Maximilian Gruber. Trotz Sprachbarrieren sei Verständnis füreinander entstanden. "Es hat mir auf jeden Fall auch gezeigt, dass wir viel mehr Solidarität miteinander zeigen müssen."

Ein Ziel: Selbstbewusstsein vermitteln und widerstandsfähiger werden

Auch der Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters hält diese Zusammenarbeit für sehr wertvoll. Mit Gesprächen über die eigenen Ängste könne man einander beruhigen und Selbstbewusstsein trainieren. "Man kann vielleicht auch ein bisschen widerstandsfähiger werden und ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln und sagen: Uns geht’s allen so und wir lassen uns das nicht gefallen."

Hauptdarsteller Maximilian Gruber kann im Bühnenstück in Worte fassen, was für ihn sonst sehr schwierig greifbar ist. "Das hat geholfen die Ängste wegzuspielen", sagt der Schauspieler. Wanda Schweitzer wünscht sich, ihr gemeinsames Theaterstück möge ein Weckruf sein, die Ängste der Sorben ernst zu nehmen.

Das Projekt "Phōnē – Minderheitensprachen eine Stimme geben" Das Theaterstück "Der Club der geheimen Sorben" ist im Rahmen des Projektes "Phōnē - Minderheiten eine Stimme geben" entstanden. An dem von der Europäischen Union geförderten Projekt sind neben dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater sieben weitere Minderheitentheater im Ausland beteiligt. Es will kulturelle und sprachliche Vielfalt fördern und Menschen unterschiedlicher sprachlicher Minderheiten vernetzen. Von 2022 bis 2025 werden dabei kreative Formate entwickelt, die von den einzelnen Minderheiten erzählen. Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 08. Mai 2024 | 16:30 Uhr

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