Ein Teenager drückt einen kleineren gewaltsam gegen eine Wand, gestellte Szene
Vorfälle wie rassistische Beleidigungen oder Pöbeleien melden oftmals betroffene Schülerinnen und Schüler nicht. Sie haben Angst vor den Konsequenzen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Rechtsextremismus an Schulen Schulsozialarbeiterin warnt vor Hilflosigkeit und Angst

03. Juli 2023, 05:00 Uhr

Das zu Ende gehende Schuljahr hat neben dem Lehrermangel auch ein anderes Problem wieder an die Oberfläche gespült: Rechtsextremismus an Schulen. Vor allem ein öffentlicher Brief zweier Lehrkräfte aus Südbrandenburg zu rechten Tendenzen an ihrer Schule schreckte viele auf. Auch um viele Oberlausitzer Schulen macht Rechtsextremismus keinen Bogen. MDR SACHSEN hat deshalb eine Schulsozialarbeiterin aus der Oberlausitz gefragt, wie sie das Thema an ihrer Schule erlebt.

Rechte Parolen, einschlägige Sticker im Schul-WC oder rassistische Anfeindungen sind an vielen Schulen in der Oberlausitz keine Seltenheit. Strafrechtlich verfolgt werden die wenigsten.

Laut Sächsischem Kultusministerium sind an Schulen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz im vergangenen Jahr zwölf Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund angezeigt worden. In ganz Sachsen sind es laut offizieller Statistik 48. Dazu gehörten unter anderem ein Hitlergruß im Schulhaus, Sieg-Heil-Aufkleber auf dem Schulbuch und Hakenkreuze auf Schulmöbeln. 

Schulsozialarbeit braucht Vertrauen

Die Sozialarbeiter an den Oberlausitzer Schulen kennen solche Vorfälle. An sie können sich die Jugendlichen wenden, wenn sie so etwas oder Ähnliches erleben. Damit sie das auch tun, brauche es aber Vertrauen, sagt eine Schulsozialarbeiterin. Deshalb möchte sie auch ihren Namen nicht öffentlich nennen, um dieses Vertrauensverhältnis nicht zu zerstören. Sie arbeitet an einer Schule, an der rechtsextreme Vorfälle schon häufiger Thema waren.

Rechtes Gedankengut im Elternhaus

Doch woher kommt das rechte Gedankengut der Jugendlichen? Das sei sehr unterschiedlich, erzählt die Sozialarbeiterin. Manche würden über das Elternhaus so sozialisiert und seien in ihren Gruppen unterwegs. Dann gebe es natürlich auch Schülerinnen und Schüler, die auf diesen Zug aufspringen, weil sie eben einer Gruppe angehören möchten. Im Geschichtsunterricht seien dann manche von ihnen erstaunt, wie es tatsächlich im Zweiten Weltkrieg zuging. Das rege einige zumindest zum Nachdenken an.

Jugendliche zwischen den Stühlen

Das Interesse, mehr über diese Zeit zu erfahren, sei also durchaus da, sagt sie. Aber manchmal sei das eben auch schwierig für die Jugendlichen: "Ich merke, dass manche Schüler zwischen den Stühlen sitzen. Sie sind bei der rechten Thematik einerseits ihrer Familie so ein bisschen verpflichtet. Andererseits wollen sie da eigentlich gar nicht mitmischen. Doch es ist schwierig, glaube ich, aus diesen Kreisen herauszukommen." Sie könne nur versuchen, die Jugendlichen zu bestärken, damit sie irgendwann für sich sprechen können.

Ich merke, dass manche Schüler zwischen den Stühlen sitzen. Sie sind bei der rechten Thematik einerseits ihrer Familie so ein bisschen verpflichtet. Andererseits wollen sie da eigentlich gar nicht mitmischen.

Schulsozialarbeiterin

Schule erfährt nicht alles

An ihrer Schule würden ihrer Erfahrung nach rechte Vorfälle nicht unter den Teppich gekehrt. Allerdings bekämen die Lehrkräfte vieles nicht mit, gibt die Sozialarbeiterin zu bedenken.

Einschlägige Gesten, rechte Pöbeleien oder Beleidigungen behielten die Jugendlichen oft für sich. "Wir sind aber darauf angewiesen, dass das Opfer spricht, sonst wissen wir ja nichts davon." Natürlich gebe es Situationen, wo beispielsweise Schmierereien oder rechte Sticker hinterlassen werden. Das wird der Schulleitung gemeldet, die, wenn es nötig ist, auch die Polizei dazu holt. Das sei wichtig und richtig, aber nicht genug.

Frühere Aufklärung nötig

Der Lehrplan greife entsprechende Themen viel zu spät auf, Antisemitismus zum Beispiel erst in der 8. Klasse. Prävention müsse aber viel früher ansetzen, damit man nicht erst reagiert, wenn es brennt.

Das könne auch außerhalb des Lehrplans und altersgerecht aufbereitet passieren: "Ich finde, ab der fünften Klasse muss man schon diese Thematik behandeln, um eben auch Schüler und Schülerinnen zu schützen, die eventuell in solche Kreise geraten könnten und das in ihrem Alter noch gar nicht im Blick haben." Schule könne zwar rechtes Gedankengut nicht verhindern, dürfe aber in ihrem Einflussbereich keinen Raum bieten, es auszuleben.

Schule kann nicht verhindern, dass rechtes Gedankengut da ist. Aber sie kann für das Thema sensibilisieren und verhindern, dass es in ihrem Bereich ausgelebt wird.

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Grafik, in der junge Nazis einen jungen Mann verprügeln.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Opfer haben Angst vor Folgen

Dann könnte auch ein Schulklima entstehen, in dem Jugendliche, die von Mitschülern rassistisch beleidigt oder angegriffen wurden, sich gleich an ihre Lehrer oder die Schulsozialarbeiter wenden. Jetzt gebe es aber Schülerinnen und Schüler, die Angst haben nach Haus zu gehen, weil sie fürchten, dass an der Ecke eine Gruppe auf sie wartet.

Vieles erfahre die Schule erst hinterher. Die Opfer würden sich oft nicht trauen etwas zu sagen, weil sie Angst haben, was dann passiert. "Aber das finde ich nicht gut, denn dann bekommen die Täter eine Plattform und Opfer halten sich zurück. Dabei sollte es andersherum sein." Selbst besorgte Eltern hätten ihr aus Angst vor den Folgen schon gesagt, sie sollte einen Vorfall der Schulleitung zwar melden, den Namen ihres Kindes aber nicht nennen.

Schutzkonzept fehlt

Helfen könnten unter anderem die Lehrkräfte. Doch die Sozialarbeiterin erlebt, dass sich manche bei solchen Vorfällen hilflos und machtlos fühlen. Sie würde sich deshalb klare Strukturen und Handlungsstrategien für diese Fälle wünschen. Bisher gebe es das nicht.

Mit einem entsprechenden Schutzkonzept wüssten alle Beteiligten, wie sie bei bestimmten Vorfällen reagieren sollen, wer wann informiert werden muss, was mit den Tätern passiert. Auch für die Jugendlichen, die zum Opfer geworden sind, gebe es mehr Klarheit. "Sie müssten begreifen, dass das jetzt einen Rattenschwanz nach sich zieht, aber nicht für sie. Ihnen wird geholfen, es setzt sich jemand für sie ein und nimmt sie ernst." Wenn in der Schule alle für das Thema sensibilisiert sind, dann gebe das den Opfern auch mehr Sicherheit, sich zu öffnen. 

Integration ukrainischer Schüler

Im neuen Schuljahr wartet schon die nächste Herausforderung: Dann wechseln überall die ukrainischen Schülerinnen und Schüler in die normalen Klassen. "Das hat hohes Konfliktpotenzial", findet die Schulsozialarbeiterin. Zumindest, wenn das wie bei ihrer Schule ohne große Vorbereitung passiert. "Ich fände es wichtig, dass nicht gleich der Schulalltag losgeht, sondern die Jugendlichen sich erst in Ruhe kennenlernen können." Dann wäre zumindest eine gute Basis geschaffen, um spätere Konflikte besser meistern zu können.

MDR (vis)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 03. Juli 2023 | 16:30 Uhr

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