Todesursachen Verkehrsunfälle, Jagd, illegale Abschüsse: Wie Wölfe in Sachsen-Anhalt sterben
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28. Februar 2025, 10:38 Uhr
Jedes Jahr werden in Sachsen-Anhalt etwa 20 tote Wölfe geborgen. Autopsien der Kadaver liefern wertvolle Erkenntnisse darüber, wie es um die Tiere steht und woran sie sterben. In den seltensten Fällen ist die Todesursache natürlich.
- Vergangenes Jahr wurden in Sachsen-Anhalt mehr tote Wölfe geborgen als je zuvor.
- Die häufigste Todesursache sind Verkehrsunfälle auf Landstraßen oder Autobahnen.
- Immer wieder kommt es auch zu illegalen Abschüssen, so wie im Fall der jungen Wölfin Ronja.
Antje Weber erinnert sich noch genau an ihren jüngsten Kadaver. Ende Januar rief die Polizei sie an: ein angefahrener Wolf bei Wolmirstedt im Landkreis Börde, querschnittsgelähmt, aber noch am Leben. Während des Telefonats mit den Beamten verstarb das Jungtier. Am Unfallort fotografierte Weber den toten Wolf, verstaute ihn in einem Leichensack und brachte ihn nach Iden in der Altmark. Dort legte sie ihn in eine Tiefkühltruhe – aufbewahrt für eine spätere Autopsie.
Wenn in Sachsen-Anhalt ein Wolf stirbt, läuft die Bergung meist so oder so ähnlich ab. Weber arbeitet beim Wolfskompetenzzentrum Iden (WZI), das die Wiederansiedlung der Tiere in Sachsen-Anhalt fachlich begleitet. Auch für Totfunde ist das WZI zuständig. Im vergangenen Monitoringjahr – von Mai 2023 bis April 2024 – registrierten Weber und ihre Kollegen 22 tote Tiere. "So viele wie in keinem Monitoringjahr zuvor", sagt Weber.
Rund 120 Autopsien an Wölfen aus Sachsen-Anhalt
Von Iden aus werden die Kadaver nach Berlin ans Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) gebracht. Dort untersuchen Pathologen die Tiere: Was verraten Gewebe-, Blut- und Kotproben? Gibt es Hinweise auf übertragbare Krankheiten? Stecken Kugeln, Schrot oder Drahtschlingen im Körper? Mehr als 1.000 solcher Autopsien hat das IZW bereits durchgeführt, rund 120 davon an Wölfen aus Sachsen-Anhalt. Die Ergebnisse liefern wertvolle Erkenntnisse über den Zustand der Tiere – und die oft unnatürlichen Umstände ihres Todes.
Mehr zu den Daten
Die Daten zu den toten Wölfen stammen aus Erhebungen der Bundesländer und Analysen des Leibniz-IZW. Zusammengestellt werden sie von der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW). Der Datensatz reicht bis ins Jahr 1991 zurück, als in Brandenburg mehrere Wölfe illegal getötet wurden. Seitdem hat die DBBW mehr als 1.100 Totfunde in ganz Deutschland registriert – die meisten davon in Brandenburg (362), Niedersachsen (264), Sachsen (208) und Sachsen-Anhalt (120). Stand: 10. Dezember 2024.
Die meisten Wölfe kommen demnach bei Verkehrsunfällen ums Leben. Rund drei Viertel der Totfunde sind darauf zurückzuführen. Besonders viele Unfälle passieren Wolfs-Expertin Weber zufolge rund um die Colbitz-Letzlinger Heide in der Altmark. Am dortigen Truppenübungsplatz seien drei Rudel beheimatet. Bis auf einige wenige Soldaten setzt dort kaum jemand seinen Fuß hin – ideale Bedingungen für die scheuen Tiere.
"Wenn die Welpen ihre ersten eigenen Exkursionen machen, treffen sie oft auf Straßen oder Bahnlinien, die sie noch nicht kennen", sagt Weber. Dann könne es schnell passieren, dass ein junger Wolf vor ein Auto oder einen Zug läuft. An der B71 westlich des Truppenübungsplatzes komme es besonders häufig zu Unfällen, aber auch im Süden Sachsen-Anhalts, an der A14, der A9 und der B100 bei Halle.
Ein Viertel der Wölfe stirbt jedoch an anderen Ursachen. Einige verenden auf natürliche Weise, etwa durch Infektionen oder bei Kämpfen mit Artgenossen. Selten wird außerdem ein Problemwolf von Jägern erlegt – und jeder zehnte Totfund geht auf einen illegalen Abschuss zurück. Bei Autopsien am Leibniz-IZW entdecken die Pathologen immer wieder Jagdkugeln oder Schrot in den Kadavern. Nicht alle akzeptieren, dass der Wolf sich weiter ausbreitet und gelegentlich Nutztiere reißt.
In Sachsen-Anhalt hat sich die Wolf-Population innerhalb von zehn Jahren versechsfacht
Mittlerweile leben in Deutschland rund 1.600 Wölfe in mehr als 200 Rudeln. Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. 2024 untersuchte das Leibniz-IZW den tausendsten Kadaver. Die Todesursachen unterscheiden sich kaum je nach Region, überall stirbt die große Mehrzahl der Wölfe bei Verkehrsunfällen. Die meisten seien bei der Autopsie in einem bemerkenswert guten Zustand, sagt IZW-Direktor Heribert Hofer. "Es gibt wenig abgemagerte Tiere, die Population ist sehr gesund."
Auch in Sachsen-Anhalt hat sich die Population seit 2015 auf fast 300 Wölfe versechsfacht. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf hat in diesem Zeitraum zwölf illegale Tötungen in Sachsen-Anhalt dokumentiert.
Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch höher liegen. Im jüngsten Wolfsmonitoringbericht des Landesamts für Umweltschutz vom Dezember 2024 heißt es: "Von einer sehr hohen Dunkelziffer illegal geschossener Wölfe ist auszugehen", die Tiere seien einem "hohen illegalen jagdlichen Druck" ausgesetzt.
Einige Kadaver werden womöglich vergraben und tauchen nie wieder auf. Der Wolf steht in Deutschland unter Naturschutz, und wer ohne Erlaubnis ein Tier tötet, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.
"Sie wurde nach dem Beschuss in der Elbe entsorgt"
Wolfs-Expertin Antje Weber erinnert sich noch gut an den Fall der jungen Wölfin Ronja, die 2022 ums Leben kam. Das Tier trug ein Senderhalsband und wurde per Satellit überwacht. "Der letzte Ortungspunkt lag im elterlichen Territorium, dann brach die Verbindung ab", sagt Weber.
Zwei Wochen später fand man Ronja an einer Steinböschung am Elbufer – ohne Senderhalsband und mit abgeschnittenen Ohren. "Sie wurde nach dem Beschuss in der Elbe entsorgt", sagt Weber. Die Identität der Wölfin konnte per DNA-Analyse bestätigt werden, die Ermittlungen laufen bis heute.
Wer einen toten Wolf findet – sei es am Flussufer, im Wald oder am Straßenrand – sollte das Wolfskompetenzzentrum in Iden benachrichtigen, damit jemand den Kadaver bergen kann. Antje Weber und ihre Kollegen haben eine 24-Stunden-Rufbereitschaft. Nach Verkehrsunfällen ist zunächst die Polizei zuständig, die dann das WZI benachrichtigt.
Von dort aus werden die Kadaver zur Autopsie an das Leibniz-IZW in Berlin überführt. Viele landen anschließend nach Angaben von IZW-Direktor Heribert Hofer in Museen, die die toten Wölfe entweder aufbewahren oder ausstopfen und für die Öffentlichkeit ausstellen.
MDR (Max Schörm, David Wünschel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Februar 2025 | 09:00 Uhr
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